CDU-Parteitag Merkel will verunsicherte Menschen erreichen

Beim CDU-Parteitag hält Kanzlerin Angela Merkel eine Rede, in der sie persönlicher wird als sonst. Spürbar wird allerdings, dass ihr die Furcht vieler Bürger vor Veränderung fremd ist.

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„Eiserne Lady“ ohne Vision
Angela Merkel Quelle: dpa
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Der Applaus stimmt. Nach ihrer Rede spenden die 1000 Delegierten ihrer Parteivorsitzenden elfeinhalb Minuten Applaus. Stehend natürlich. Zuvor hat Angela Merkel begründet, warum sie erneut Parteichefin und 2017 ein viertes Mal Bundeskanzlerin werden will. Sehr patriotisch wird sie: "Ich weiß, welch ein Glück es ist, in diesem Land zu leben."

Daraus erwachse für sie die Pflicht, "alles zu geben". Optimistisch erinnerte sie an ihr Motto, das sie schon zur deutschen Vereinigung durch alle Umwälzungen geleitet habe. "Geh ins Offene." Freiheit sei ein Gut, das nicht hoch genug zu schätzen sei. So wolle sie weiter an die Dinge heran gehen.

Kanzlerin weit entfernt von den Bürgern

Doch mit dieser Aussage zeigt die Kanzlerin, wie weit sie persönlich von der aktuellen Stimmung und Sorge vieler Bürger entfernt ist. Die will Merkel allerdings rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2017 wieder von der CDU überzeugen. Sie wirbt vor allem um verunsicherte Menschen, verunsichert wegen vieler Flüchtlinge, der geschwächten EU oder der Globalisierung und Digitalisierung.

"Viele Menschen haben das Gefühl, die Welt sei aus den Fugen geraten", beschreibt Merkel. Das Jahr 2015, als viele Flüchtlinge nach Deutschland geströmt seien, habe viele Bürger verunsichert. Dieses Jahr biete keine stabileren Aussichten: "2016 hat die Welt nicht stabiler, sondern eher schwächer und instabiler gemacht."

Die EU zeige sich in nicht eben guter Verfassung, nach der US-Wahl müsse sich die Welt noch sortieren. Sie kritisiert Wirtschaftsvertreter, die kunstvoll Steuern vermieden. Man müsse sich dann nicht wundern, "dass Menschen, die ehrlich und jedes Jahr ihre Steuern zahlen, sich vom politischen System abwenden". Viel Applaus gibt es, als sich die Kanzlerin gegen die Vollverschleierung ausspricht. Bisher hatte sie sich an der Debatte kaum beteiligt. Nun sagt sie: "Wir zeigen Gesicht, deshalb sollte bei uns die Vollverschleierung verboten sein - wo immer das rechtlich möglich ist."

Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik

Sie vollzieht zudem eine weitere Kehrtwende bei der Flüchtlingspolitik und schwenkt auf Forderungen von Partei-Vize Thomas Strobl ein, der nach deutlich härteren Regeln abgewiesene Asylbewerber abschieben will. Noch vor wenigen Monaten hatte Merkel größere Änderungen an der Flüchtlingspolitik abgelehnt. Nun räumt sie ein, gut ein Drittel der Bewerber hätten nach einem sorgfältigen Verfahren kein Bleiberecht. "Wir müssen ihnen sagen, dass sie unser Land wieder verlassen müssen. Nur so werden wir die Kraft haben, den anderen auch zu helfen." Offen lässt sie freilich, ob sie die Abschiebung von wesentlich mehr Zuwanderern für umsetzbar hält.

Auch bei der Digitalisierung geht Merkel auf ihre Wähler zu. Der Umbau aller Lebensbereiche durch neue Technologien überfordere viele. "Manche fühlen sich durch diese Veränderungen freier als je zuvor, die anderen sorgen sich." Ihnen sei das Tempo zu schnell, mit denen sich die Arbeit und die Wirtschaft ändere.

Merkel kündigt an, die Union wolle die Sorgen ernst nehmen und die Menschen begleiten. Allerdings sprach sie sich sogleich für ein forsches Vorgehen bei der Digitalisierung aus. Daten könnten nicht nur geschützt, sondern müssten auch genutzt werden. "In den nächsten Jahren entscheidet sich, ob der Wohlstand weiter seine Heimat in Deutschland und Europa hat." Deshalb müssten gute Bedingungen für die digitale Wirtschaft geschaffen werden und das Arbeitsrecht für die Vernetzung und neue technische Möglichkeiten angepasst werden.

CDU soll wieder Sicherheit bieten

An vielen Stellen ist die optimistische Naturwissenschaftlerin zu hören und die DDR-Bürgerin, die den Übergang in die Bundesrepublik gemeistert hat. Ein Lebensweg, den viele in der CDU bewundern, der ihnen aber nach wie vor fremd ist. Merkel appelliert an die Delegierten, den liberalen Rechtsstaat und die Freiheit des Einzelnen hochzuhalten - gegen Populisten wie gegen Hetze im Netz. Dieses Ziel habe sie geleitet, als sie sich für einen neuen Anlauf aufs Kanzleramt entschieden habe. "Ich will immer noch und immer weiter ins Offene gehen", sagt Merkel. "Aber ihr müsst mir helfen", duzt sie dann die CDUler eher ungewohnt.

Im Anschluss an Merkels Rede muss dann Parteivize Volker Bouffier zeigen, dass die Parteispitze die Unsicherheit vieler Bürger tatsächlich verinnerlicht hat und berücksichtigen will. Der hessische Ministerpräsident zieht das Publikum mühelos auf seine Seite, als er sagt: "Die Menschen sagen ja nicht, dass es ihnen heute schlecht geht. Sie haben nur Sorgen, ob es morgen und für ihre Kinder noch so ist." Genau das sei der Job der CDU: Wieder "Kompass und Sicherheit" zu bieten.

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