Chaos bei den Grünen Klarer Kurs dringend gesucht

Das Jahr der Bundestagswahl hat für die Grünen turbulent begonnen. Sie streiten heftig und öffentlich über die innere Sicherheit. Hilft es der Partei, dass sie in wenigen Tagen ihre Spitzenkandidaten kürt?

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Nicht nur die umstrittenen Aussagen von Parteichefin Simone Peter, zum Polizeieinsatz in der Silvesternacht, führen zu innerparteilichen Streitereien bei den Grünen. Quelle: dpa

Berlin Es kommt nicht oft vor, dass der grüne Dauer-Provokateur Boris Palmer seiner Partei aus dem Herzen spricht. Aber dem knappen Kommentar des Tübinger Oberbürgermeisters zu den jüngsten Umfragewerten wird kaum ein Grüner widersprechen: „Da läuft offensichtlich was richtig schief, liebe Parteifreunde.“ Nur neun Prozent für die Partei, die sich in den ersten Tagen des jungen Jahres mal wieder öffentlich zerlegt hat. Ein Fehlstart, der zwei grundlegende Probleme offenlegt.

Erstens: das Thema. Diesmal streiten die Grünen nicht über Steuern oder politisch korrekte Sprache, sondern über Sicherheit. Erst gab es Zoff um den Kölner Polizeieinsatz an Silvester. Dann preschte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit der Einstufung von Marokko, Tunesien und Algerien als „sichere Herkunftsländer“ vor. Sicherheit bewegt die Deutschen nach dem Berliner Anschlag wie kein zweites Thema - und ist keine Kernkompetenz der Partei. Jedenfalls nicht in der öffentlichen Wahrnehmung.

Da hilft es wenig, dass Jürgen Trittin das via „Zeit Online“ als „Mär“ abtut. Er bringt das Problem selbst auf den Punkt: Seit den revoluzzerhaften Gründungsjahren der Partei „behaupten viele, die Grünen wären im Zweifel gegen Polizei und gegen Sicherheit“. Trittin hat zwar Gegenargumente, aber fraglich ist, ob die am Image der Grünen in der breiten Öffentlichkeit etwas ändern.

Beim Thema „Kriminalität und Verbrechen bekämpfen“ hielten im ARD-Deutschlandtrend im September gerade mal zwei Prozent der Deutschen die Grünen für die kompetente Partei. Infratest dimap stellte in der Umfrage zwar keinen Bezug zur Terrorbekämpfung her, aber dass die Grünen in Sachen „Law und Order“ nicht punkten, wird deutlich. Bleibt das Thema Sicherheit bis zur Bundestagswahl im Herbst so wichtig, dann hat die Partei ein Problem.

Und dann ist da, zweites, die innere Verfassung der Grünen. Ausgelöst hat die aktuelle Sicherheitsdebatte Parteichefin Simone Peter, die nach Silvester den Einsatz der Kölner Polizei kritisch hinterfragte - und zwar schon am 1. Januar. Inzwischen hat sie selbst gesagt, sie hätte „abwarten sollen“.

Dieser Einsicht voraus gingen verbale Prügel, auch aus den eigenen Reihen. Peters Co-Parteichef Cem Özdemir ging demonstrativ auf Distanz, ebenso wichtige Fachpolitiker aus der Bundestagsfraktion. Selbst Trittin, der als enger Vertrauter und Stichwortgeber Peters gilt, nennt die Bewertung „vorschnell“.

Bei den Wählern bleibt hängen: Die Grünen zoffen sich mal wieder. Und interne Kritiker der Parteiführung sehen sich darin bestätigt, dass das Duo Özdemir/Peter einfach nicht funktioniert. An wem liegt's? Da sind die Meinungen geteilt, aber als starke Führungspersönlichkeit nimmt Peter auch beim linken Flügel kaum jemand wahr.

Umso mehr hofft die Partei auf Spitzenkadidaten, die gut miteinander auskommen und im Wahlkampf einen klaren Kurs vorgeben. Am Samstag in Berlin präsentieren sich die Anwärter auf die beiden Plätze ein letztes Mal im direkten Vergleich auf der Bühne, das Ende einer langen Tour durch die Bundesländer.

Realo-Vertreterin Katrin Göring-Eckardt hat ihren Platz sicher, denn Peter trat gegen die Fraktionschefin gar nicht erst an. Über den Mann an ihrer Seite im Wahlkampf können 60 791 Mitglieder entscheiden, nicht ganz 30 000 haben ihre Wahlunterlagen nach Parteiangaben schon eingesandt. Das Ergebnis wird am 18. Januar bekannt gegeben.

Göring-Eckardt wird die Grünen entweder mit Amtskollege Anton Hofreiter in den Wahlkampf führen, mit dem sie die Bundestagsfraktion ziemlich reibungslos managt. Oder mit Cem Özdemir, überzeugter Realpolitiker wie sie selbst. Oder mit Robert Habeck, bisher Umweltminister in Schleswig-Holstein, der von Ideologie auch wenig hält. Alle Kombinationen könnten funktionieren - aber nur, wenn die Partei mitmacht.

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