Charlotte Knobloch „Antisemitismus erstarkt von allen Seiten“

Wie aus dem Nichts attackiert ein Passant in Berlin mit heftigen Worten einen israelischen Restaurantbesitzer. Das Video zu dem Vorfall sorgt für Empörung. Doch solche Ausfälle sind längst keine Seltenheit mehr.

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Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch: Sorge wegen wachsendem Antisemitismus in Deutschland. Quelle: dpa

Berlin Die antisemitischen Ausfälle eines Passanten gegen einen israelischen Restaurantbetreiber in Berlin sind nach Aussage der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, kein Einzelfall. Der Antisemitismus in Deutschland erstarke „von allen Seiten und auf allen gesellschaftlichen Ebenen“, sagte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland dem Handelsblatt. „Nicht nur im Netz und in sozialen Medien ist Antisemitismus weit verbreitet, sondern eben auch in analogen Begegnungen.“ Gerade jüdische Schüler litten darunter.

In Berlin war am Dienstag ein 60-Jähriger vorübergehend festgenommen worden, nachdem er den Besitzer eines israelischen Restaurants wüst beschimpft hatte. Im Internet wurde ein Video hochgeladen, das die antisemitischen Verbalattacken dokumentiert. Der Staatsschutz ermittelt gegen den Mann unter anderem wegen Volksverhetzung.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) rief am Donnerstag dazu auf, sich solchen Ausfällen entgegenzustellen. Der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff besuchte demonstrativ das Restaurant und stärkte dem Betreiber den Rücken.

„Jüdische Menschen und Einrichtungen sind immer öfter offenem und ungeniertem Antisemitismus ausgesetzt“, sagte Knobloch. „Er kommt von rechts, von links, aus der Mitte und von Muslimen und er hat unterschiedliche Erscheinungsformen: antijüdische Verschwörungstheorien, dämonisierende und delegitimierende sogenannte Israel-Kritik, doppelte Standards, klassische Ressentiments, Stigmatisierung, Kapitalismus- und Globalisierungskritik.“

Mit Blick auf den Berliner Vorfall sagte Knobloch: „Der Mann in dem Video liefert das ganze Potpourri des Antisemitismus - kein Einzelfall, keine Seltenheit.“ Vielleicht helfe das Video dabei, „für das Thema und die Sorgen in der jüdischen Gemeinschaft zu sensibilisieren und den gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen Antisemitismus zu intensivieren“.

Das von einer Freundin des Wirts erstellte Video zeigt, wie der Mann zunächst den Umgang Israels mit Palästinensern kritisiert und sich dann immer mehr in Hass steigert. Der Restaurantchef, der 36-jährige Yorai Feinberg, sagte am Donnerstag, die Beschimpfungen seien „nur die Spitze des Eisbergs“. Sein Lokal bekomme monatlich im Durchschnitt zwei Hassmails.

Maas schrieb im Internetdienst Twitter: „Auch dieser völlig unfassbare und unentschuldbare Vorfall in Berlin zeigt: Wir alle müssen uns antisemitischer Hetze engagiert und mutig entgegenstellen.“ Und: „Den Brandstiftern dürfen wir nie das Feld überlassen. Denn erst kommen die Worte, dann die Taten.“

Botschafter Issacharoff forderte während eines Besuchs bei Feinberg klare Haltung. „Es ist wichtig, dass man angesichts solcher Vorfälle sofort handelt und null Toleranz zeigt.“ Der Botschafter lobte Feinberg für seine Reaktion. Er habe großen Mut an den Tag gelegt, sich gegen diese Anfeindung zu wehren.

Laut Polizei hatte Feinberg mit der Freundin vor seinem Restaurant im Zentrum des Berliner Westteils gestanden, als der Passant an sie herantrat. Feinberg hielt schließlich einen Streifenwagen an, der zufällig vorbeikam. Die Polizisten legten dem aggressiven Mann Handfesseln an und nahmen ihn zunächst mit. Laut Polizei beleidigte dieser auch die Beamten.

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