Coronakrise Ein Lob der Langsamkeit

Leere Straßen in Zeiten der Corona-Pandemie. Quelle: imago images

Was passiert mit uns in der Corona-Pandemie? In schnellstem Tempo brechen Gewissheiten weg und zugleich ist der Alltag auf Schritttempo verlangsamt. Für manche ist Zeit für grundsätzliche Gedanken, für andere eine Zeit voller Existenzangst. Über das Anhalten der Wirtschaft, über Haltlosigkeit im Kapitalismus und eine Gesellschaft, die eine neue Haltung sucht.

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Wenn die Welt runterfährt, fast gleichzeitig und überall, herrschen Stillstand und rasendes Tempo zugleich. In einer Geschwindigkeit werden Fakten geschaffen, die wir kurz vorher noch für Fantasie gehalten hätten: Ganze Belegschaften werden vom einen Tag auf den anderen ins heimische Büro verbannt, Menschen mit Mundschutz und Gummihandschuhen verlieren sich auf der Straße. Geschäfte geschlossen, Kontaktsperren, Besuchsverbote, Veranstaltungsabsagen. Hunderttausende Unternehmen, die ihre Leute in Kurzarbeit schicken, erste Pleiten, Milliarden-Programme des Staates zur Rettung von Unternehmen, Existenzen und Wirtschaftskraft.

Zugleich leben wir mit der verordneten Langsamkeit. Wenn private Isolation gilt, bleibt Zeit zu überdenken, was mit uns wegen eines Virus geschieht und wie sich die Gesellschaft dauerhaft verändern könnte.

Anhalten

Der Lärm ist weg, die Autos, die Flugzeuge im Anflug auch – weg. Die Luft klar, das Wasser rein und das Klima doch gerettet? Nicht wirklich. Der Umwelt ist mit diesem Schock noch nicht geholfen. Danach würde ja alles weitergehen, vielleicht mit umso mehr Gasgeben, um das Versäumte aufzuholen.

Und der geplante Umbau hin zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft? Die Klimabilanz sieht 2020 für Deutschland erstmal freundlicher aus als vorher, als wir die selbst gesteckten Zielen glatt verfehlten. Doch der Einbruch wirkt schwer. Schon klagen Unternehmen, ihnen fehle bald das Geld für den Umbau oder steigende Preise fürs klimaschädliche CO2 machten ihr Geschäft vollends unmöglich. Und umgekehrt gedacht: Was wäre denn, wenn die Nachfrage nach Flugreisen, nach Autos, nach Energie und Reisen dauerhaft und deutlich zurückginge? Die Unternehmen würden ihre Produktion nach unten fahren, sie investierten weniger. Und wer weniger investiert, bei dem kommt weniger Einkommen zurück. Weniger Einkommen heißt, dass Menschen dann weniger kaufen können. Kein guter Dominoeffekt.

von Malte Fischer, Dieter Schnaas, Julian Heißler, Max Haerder

Für mehr Nachhaltigkeit wäre also nur ein anderer Weg sinnvoll, für den Zeit bleibt nach dieser Vollbremsung: Wenn Konjunkturprogramme für die Industrie und für Mittelständler starten, dann bitte keine Bazookas. Es geht hier stattdessen besser um zielgerichtete Unterstützung, die neue Technologien fördert und Unternehmen wie Gesellschaft umweltverträglicher macht.

Gebremst ist auch unser Konsum. Fastenzeit von oben verordnet. Wie wir Geld ausgeben, könnte sich mit der Krise verändert haben. Weniger Konsum kann auch Spaß machen, Improvisieren bei manchen als neue Leidenschaft durchgehen. Lieber ausmisten und auffrischen als neu auffüllen.

Haltlosigkeit

Doch weniger Konsum kann noch andere Gründe haben, die nicht immer so positiv aufgenommen werden. Die kleine oder manchmal auch große Angst beginnt in manchen hochzukriechen. Vielen bricht ihr Einkommen weg, manchen das ganze Geschäft, andere rutschen in Kurzarbeit.

In der Finanzkrise 2008/2009 lernte eine Generation, fortan sehr vorsichtig mit ihrem Ersparten umzugehen. Dieses Mal könnte Konsumverzicht in und nach der Krise die grundsätzliche Lehre sein. Abgenabelt vom Angebot und unsicher über die Dauer, für die das Virus dominiert, könnte das für einige zum Maßstab werden. Leben in der Unsicherheit. Und das gegenseitige Ausleihen von den Nachbarn schlägt zurzeit ohnehin vieles, was als „Sharing“-Ökonomie daherkommt. Improvisieren funktioniert eben auch.

Die Pause, die den Menschen verordnet wurde, macht viele auch nachdenklich, ob die Regeln für alle gleich gewählt sind und ob es gerecht zugeht. Kritischer werden Bürger auch mit dem Kapitalismus, wie er in den Jahren vorher durchaus erfolgreich im Land praktiziert wurde. Der Wohlstand stieg, aber die Maßstäbe vieler Großunternehmen waren vor allem von finanziellen Maßstäben und denen des Kapitalmarktes geprägt. Und nicht davon, welchen Beitrag Unternehmen in einer Gesellschaft leisten, von der sie ja auch profitieren durch Infrastruktur, ein gutes Bildungswesen und ein funktionierendes Gemeinwesen.

Nun aber stürzen sich Unternehmen auf Hilfsangebote des Staates, sogar wenn diese nicht unbedingt für sie gedacht sind. Weil es schnell gehen musste mit den Gesetzen, sind solche Mitnahmeeffekte wahrscheinlich zahlreicher als sie derzeit sichtbar werden. Finanzstarke Großunternehmen wollen die Miete für geschlossene Ladengeschäfte zunächst nicht überweisen. Kurzarbeit wird womöglich auch dort beantragt, wo die Arbeit nicht weniger wird, dafür aber die Einnahmen zurückgegangen sind.

Springen die Steuerzahler den Unternehmen über Staatshilfen bei, kommen neue Fragen auf, die Unternehmen gut beantworten müssen. Nicht nur Gewinne und Verluste müssen dann offengelegt werden, sondern auch, wie sie zu Stande gekommen sind. Dann spielt eben schon eine Rolle, wie viel die Vorstände verdienen, wo produziert wird und unter welchen Bedingungen die Mitarbeiter beschäftigt sind. Das ist noch lange kein Sozialismus. Das ist der gerechtfertigte Anspruch, wenn Unternehmen eine Gegenleistung von der Gesellschaft wollen.

Die verordnete Langsamkeit lässt einige Jugendliche auch erstmals ernsthaft über Wirtschaft nachdenken. Woher nimmt der Staat die vielen Milliarden, die nun als Hilfe an die Wirtschaft gehen sollen? Warum zerstreiten sich die europäischen Finanzminister derart, wo sie doch einander beistehen wollen? Hinter all diesen Fragen kriecht die Ahnung hoch, dass Hilfe zwar Not tut, dass das Geld aber nicht vom Himmel fällt. There is no free lunch. Gerade die Jüngeren werden sehr lange abstottern müssen, was jetzt an Schulden aufgenommen wird, um der Krise Herr zu werden.

Haltung

Das bringt die Frage auf, was die Gesellschaft zusammenhält und wie dieser Zusammenhalt zwischen Generationen, Armen und Reichen, Männern und Frauen bestehen bleibt nach einem solchen Einbruch. Wie Freiheit und Gemeinwohl danach zusammengehen. Die Coronakrise zeigt, dass die Jüngeren wie die Älteren das können, was mit dem altmodischen Wort Solidarität gemeint ist. Sie haben bisher weitgehend nach der Einsicht gehandelt, dass alle Rücksicht aufeinander nehmen und selber auch zurückstecken. Das hilft allen, lässt sich aber nicht verordnen und auch nicht unbegrenzt einfordern. Dass es funktioniert hat, ist ein gutes Zeichen. Bisher ist auch wenig von den angeblich so pessimistischen, angstgetriebenen Deutschen zu spüren.

Deshalb gelten drei Maßstäbe, die es aus der heutigen Phase der Langsamkeit in die neue Normalität nach Corona mitzunehmen gilt. Einer für die Bürger: Was an Solidarität sichtbar wurde, sollte sich nach der Krise auch in greifbarer Anerkennung niederschlagen. Es geht darum, die Leistungen derer, die den Laden am Laufen halten, künftig auch in besserer Bezahlung oder besseren Bedingungen anzuerkennen. Das gilt für Kassiererinnen, für Pflegekräfte und für etwas mehr Mütter, aber auch für Väter, die zuhause den Laden samt Kindern und zugleich die Live-Schaltung zu den Kollegen schmeißen. Bei dieser Aufzählung der „Systemrelevanten“ wird auch deutlich, dass der Job, den Frauen oft so machen, zwar überall in Anspruch genommen wird, aber nicht ganz so oft die Anerkennung findet, die andere für sich schnell einfordern.

Einen anderen Maßstab gilt es für den Staat einzuhalten: Das Geld der Allgemeinheit muss sparsam und sorgfältig eingesetzt werden. Nicht knapp, sondern überlegt. Es ist eben nicht egal, wer alles Förderung bekommt und ob er die Bedingungen kaum erfüllt. Im Kleinen wie im Großen. Es ist eben auch nicht egal, wie viele Schulden aus der Krise übrigbleiben. Ohne Sparsamkeit schwindet der Kitt in der Gesellschaft und die Jüngeren werden mit den Resten der Krise über Gebühr belastet.

Und ein dritter Maßstab findet sich für Unternehmen: Wehrt euch, wenn der Staat sich anschickt, der bessere Unternehmer sein zu wollen, wenn zu viel Bürokratie auferlegt wird. Aber spätestens nach dieser Krise darf auch für große Konzerne nicht vorrangig oder allein der Kapitalmarkt der Maßstab für erfolgreiches Unternehmertum sein. Unternehmen in Deutschland müssen auch sozialverträglich sein. Sie profitieren von den Bedingungen für Betriebe, die auf der Leistung aller hier beruhen. Sie können sich im Notfall zudem auf einen Rettungsschirm verlassen, den die Allgemeinheit, den der Staat, über ihnen aufspannt. Zugegeben: Alles zusammenzubringen ist nicht ganz einfach.

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