„Da läuft etwas mächtig schief“ Steuerzahlerbund attackiert Verteidigungsministerin

Wer ist für die Bundeswehr-Pannen verantwortlich? Die SPD schiebt der Verteidigungsministerin die Schuld in die Schuhe. Und auch der Steuerzahlerbund wirft Ursula von der Leyen schwere Versäumnisse vor.

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Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU): Wegen Bundeswehrmängeln unter Druck. Quelle: dpa

Berlin Angesicht der mangelhaften Bundeswehr-Ausrüstung hat der Bund der Steuerzahler Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) scharf kritisiert. „Offensichtlich hat es die Ministeriumsspitze immer noch nicht geschafft, die verkrusteten Beschaffungsstrukturen der vergangenen Jahrzehnte aufzubrechen. Da hilft es auch nicht, wenn Ministerin von der Leyen nicht ausgegebenes Geld am Jahresende behalten will“, sagte Verbands-Präsident Reiner Holznagel dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Die Bundeswehr habe kein Geld-, sondern ein Strukturproblem, sagte Holznagel weiter. „Hier werden Ursache und Wirkung verwechselt.“ Holznagel erinnert zudem daran, dass die Bundeswehr trotz laufender Reform und großer Materialprobleme ursprünglich einen Beitrag zu Haushaltskonsolidierung leisten sollte. „Davon ist aber weit und breit nichts zu sehen.“

Aus Holznagels Sicht  ist nun daher „dringend eine substanzielle Bestandsaufnahme“ nötig, um Klarheit darüber zu bekommen, welche Qualität das Material der Bundeswehr überhaupt hat. „Sowohl die Verteidigungs- als auch die Haushaltspolitiker im Bundestag brauchen eine schonungslose Analyse über den Zustand der Bundeswehr, um strukturelle Entscheidungen treffen zu können“, sagte der Steuerzahlerbund-Chef. „Wir dürfen es keinesfalls bei diesem Durchwursteln und Abhaken der Pannen belassen“, betonte Holznagel. „Wenn ich sehe, dass die Bundeswehrreform in den letzten Jahren fast ausschließlich höhere Personal- und Verwaltungskosten hervorgebracht hat und gleichzeitig das Material verrottet, dann läuft da etwas mächtig schief.“

Für Holznagel steht außer Frage, dass die bereits vom ehemaligen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) angestoßene Bundeswehrreform in punkto Beschaffungsstrukturen in einer Sackgasse stecke. „Der desolate Materialzustand großer Teile der Bundeswehr ist nicht neu – doch die Verantwortlichen reden ihn schön und verstecken das Problem damit vor den Augen der Öffentlichkeit“, kritisierte Holznagel.


Nato-Einsatz in der Türkei beschert von der Leyen neue Probleme

Von der Leyen versucht derweil, den Rückfluss der Gelder von gescheiterten Rüstungsprojekten an den Bundeshaushalt zu stoppen. Wie „Bild“ unter Berufung auf Regierungskreise berichtet, sollen die Finanzmittel für größere Anschaffungen mit Ersatzverwendungen abgesichert werden. Damit könne die Ministerin weiter über das Geld verfügen, selbst wenn die Projekte scheiterten. Durch das gegenwärtige Verfahren seien der Bundeswehr im vergangenen Jahr 1,2 Milliarden Euro verloren gegangen. Die neue Vorgehensweise solle ab 2016 greifen, schreibt das Blatt weiter.

Die Ausrüstungsmängel bei der Bundeswehr haben nicht nur eine Debatte über die Höhe des Bundeswehr-Etats entfacht, in der Koalition wird auch über die Verantwortung für die Misere gestritten.

SPD-Vizechef Thorsten Schäfer-Gümbel hatte der Ministerin am Montag nach einer Telefonkonferenz des SPD-Präsidiums den „dringenden Rat gegeben, ein bisschen weniger Fototermine zu machen und sich mehr mit dem Handwerk zu beschäftigen“. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich demonstrativ hinter von der Leyen. „Die Ministerin (hat) meine volle Unterstützung, wenn es darum geht, Mängel abzustellen und zukünftigen Beschaffungen noch einmal unter die Lupe zu nehmen.“ Danach müsse diskutiert werden, was dies bedeute, sagte sie auf die Frage nach der Höhe des Wehretats. „Ich glaube, dass Ursula von Leyen gerade im Augenblick eine sehr verdienstvolle Arbeit leistet und damit mehr Transparenz auf den Tisch kommen wird. Und das begrüße ich außerordentlich.“

Unterdessen steuert die Ministerin auf neue Probleme zu. Der Nato-Einsatz zum Schutz der Türkei vor Angriffen aus Syrien bringt offenbar die Raketenabwehr-Einheiten der Bundeswehr an die Grenze der Belastbarkeit. Bei gut einem Viertel (28 Prozent) der seit Anfang 2013 eingesetzten Soldaten konnte die Karenzzeit von 20 Monaten zwischen zwei Einsätzen nicht eingehalten werden, schreibt der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Ralf Brauksiepe, in einer Antwort auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Tobias Linder. Um die Einsatzbelastung zu mindern, gebe es Entspannungsseminare und Betreuungsangebote sowie eine entlastende Einteilung der Einsatzzeiten.

„Zur Gewährleistung der maximalen Einsatzbereitschaft der Patriot-Staffeln in der Türkei werden diese vorrangig mit Ersatzteilen versorgt“, heißt es in dem Schreiben weiter. Bei einer Fortführung der Mission im nächsten Jahr könne das aber die Einsatzbereitschaft der für Ausbildung zur Verfügung stehenden Waffensysteme beeinträchtigen.


Grüne sorgen sich um das Leben der Soldaten

Das Bundestagsmandat für den „Patriot“-Einsatz läuft am 31. Januar aus. Dann muss neu entschieden werden. Die Verteidigungsministerin hatte der Türkei bei einem Besuch der Soldaten im März zugesagt, den Einsatz im Zweifelsfall bis zu einer Lösung des Syrien-Konflikts fortzusetzen. Es bedürfe noch starker Anstrengungen der Völkergemeinschaft bis zu einer Lösung, sagte sie damals. „Solange dies so ist, ist es auch richtig, hier den Schutz zu liefern.“

Der Grünen-Politiker Lindner sieht indes wegen der Bundeswehr-Mängel das Leben von Soldaten im Einsatz in Gefahr. „Wenn Luftfahrzeuge nicht zuverlässig zur Verfügung stehen, kann das Probleme bei einer Evakuierung bedeuten und das Leben der Soldatinnen und Soldaten gefährden“, sagte das Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestags der „Passauer Neuen Presse“.

Der Ministerin warf er Führungsschwäche und Verschleierung vor. „Frau von der Leyen befindet sich in einem Dauerprüfmodus, entscheidet aber nicht“, sagte Lindner. „Was den Abgeordneten an Informationen vorgelegt worden ist, grenzt an Verschleierung. Wenn hier den Verteidigungsexperten des Bundestages erklärt wird, dass die Luftwaffe einsatzfähig ist, auf der anderen Seite klar wird, dass wir unsere Beistandsverpflichtungen gegenüber der Nato nicht mehr erfüllen können, ist das höchst irreführend.“

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