Darknet Das illegale Geschäft mit Waffen im Internet

Der Amoktäter von München hat mit einer halbautomatischen Glock acht Menschen das Leben genommen. Die Pistole soll er auf dem digitalen Schwarzmarkt gekauft haben. Gegen diesen Handel kommt die Polizei nur schwer an.

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Von der Polizei beschlagnahmte Handfeuerwaffen liegen am 10.08.2011 in Heidelberg (Baden-Württemberg) auf einem Tisch. Quelle: dpa

Pistolen, Fernfeuerwaffen, Sprengstoff, Munition - die Auswahl ist groß. Fast 1400 Angebote finden sich unter dem Stichwort „Waffen“ auf nur einer von unzähligen Seiten im digitalen Schwarzmarkt. Hier finden sich auch kostenlose Bastelanleitungen für allerlei Sprengstoffe. Meist verbunden mit der Bitte, diese nur „zur Selbstverteidigung“ zu nutzen.

Eine scharf gemachte Dekowaffe der Marke Glock wird auf der Seite ab tausend Euro aufwärts angeboten. Wie bei Amazon legt man das gewünschte Produkt in den Warenkorb. Bezahlt wird meist über ein anonymisiertes Konto der Krypto-Währung Bitcoin. Verschickt wird die Ware anschließend mit der Post.
So oder so ähnlich könnte auch der Amoktäter von München an seine Tatwaffe gekommen sein. Ermittlern zufolge nutzte er eine wieder schussfähig gemachte Dekowaffe, die er im Internet gekauft hatte.

Im aktuellen Lagebild zur Waffenkriminalität, stellt das Bundeskriminalamt (BKA) fest, dass der illegale Umbau von im Ausland hergestellten „Dekorationswaffen“ zugenommen hat. In Deutschland und vielen anderen Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union können die nicht oder nur eingeschränkt funktionsfähigen Dekowaffen legal erworben werden. Wer das nötige Wissen besitzt kann diese dann ohne großen Aufwand wieder scharf machen. Das haben auch Kriminelle für sich entdeckt. Als Marktplatz für den illegalen Handel mit Waffen dient nach Einschätzungen des BKA immer öfter das Darknet.

Dunkle Tiefen des Webs

Der Begriff Darknet bezeichnet einen Teil des so genannten Deepwebs. Dieser Bereich ist tausend Mal größer als das für den normalen User einsehbare Internet – auch Surface-Web genannt. Das Deebweb macht den Teil des Internets sichtbar, den Suchmaschinen wie Google nicht finden.

Das Darknet geht jedoch noch darüber hinaus. Hier tritt man nicht über Internet Explorer, Firefox oder Chrome ein, sondern über eine spezielle Software, zum Beispiel den Tor-Browser. Dieser erlaubt es Menschen, sich fast vollkommen anonym im Internet zu bewegen.

Wie die digitale Parallelwelt funktioniert
Tor-Browser
Die Zwiebel mit ihren vielen Schalen: Die Abkürzung TOR steht für: The Onion Router – das Zwiebel-Netzwerk. Die kostenlose Open-Source-Software, einst vom US-Militär entwickelt, dient dazu, die eigene IP-Adresse zu verschleiern, indem sie Anfragen nicht direkt an die Zieladresse im Netz schickt, sondern über eine Kette von Proxyservern leitet. Jeder Proxy kennt nur seinen Vorgänger und Nachfolger, aber keiner kennt den ursprünglichen Absender der Anfrage und gleichzeitig den Empfänger. Das sieht in der Praxis dann so aus. 
Seitenadressen bestehen im anonymen Web aus einer zufällig gewählten, und ständig wechselnden Kombination von Zahlen und Buchstaben. Das erschwert das surfen. Deswegen bieten einige Seiten wie „The Hidden Wikki“, Orientierungshilfe. DeepDotWeb ist auch über das freie Internet zugänglich. Hier finden sich Foren, Fragen und Übersichten rund um das Thema Deepweb/Darknet. 
Tor ist nicht nur zum surfen auf nicht frei zugänglichen Websites nützlich. Auch ganz "normale" Seiten können hier anonym und datensicher angesteuert werden. Gleichzeitig lassen sich auch einige Unternehmen mit einer speziellen .onion Adresse registrieren. So hat zum Beispiel Facebook 2014, als erste große Firma einen offen sichtbaren Tor-Dienst mit eigener Adresse im Anonymisierungsnetz Tor aufgesetzt. 
Grams ist die gängigste Suchmaschine für Drogenmärkte im Darknet. Zwar ist der Drogenmarkt im Internet gegenüber dem Straßenhandel (mit einem geschätzten Umsatz von 320 Milliarden Dollar pro Jahr weltweit) noch klein, aber bereits hart umkämpft. Die Betreiber leben gut von der Verkaufsprovision, die sie für jeden Deal erhalten, der auf ihrer Seite geschlossen wird. Laut FBI sollen beim damals 29-jährigen Marktführer Dread Pirate Roberts von der Seite Silkroad, Bitcoins im Wert von 150 Millionen Dollar sichergestellt worden sein. Im Oktober 2013 wurde der US-Amerikaner Ross Ulbricht, der angebliche Silk-Road-Betreiber, ausfindig gemacht und vom FBI verhaftet. Der heute 32-Jährige wurde zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt. 
Aufgrund der steigenden Konkurrenz haben sich Nachfolger wie Alphabay oder Nucleus vom anarchischen Neunzigerjahre-Look verabschiedet und orientieren sich nun an der Optik des legalen Onlinehandels. Da Vertrauen auf anonymen Marktplätzen ein knappes Gut ist, reagieren die Kunden stärker auf die üblichen Onlinereize wie einprägsame Logos, erkennbare Marken, hochauflösende Produktfotos und Marktstandards wie Kundenprofil, Konto-Übersicht und ausführliche Angebotslisten. Drogen sind auf fast jedem Marktplatz der größte Posten, daneben lassen sich hier jedoch auch Waffen, Hacker, Identitäten, Kreditkarten und andere Dinge erwerben. In den dunkelsten Ecken, die allerdings auch im Darknet nicht ohne weiteres zugänglich sind, finden sich sogar Menschenhandel, Kinderpornographie und Live-Vergewaltigungen. 
Ob gehackte Paypal, Amazon oder Ebay-Konten, eine neue Kreditkarte oder die Dienste eines Hackers, der mit Hilfe einer DDoS-Attacke (Distributed Denial of Service) eine Seite lahmlegen soll. Im Darknet werden Angriffe bzw. Daten jeglicher Art angeboten. Für nur ein Pfund, könnte man hier eine russische Kreditkarte mit hohem Verfügungsrahmen erwerben. Auch persönliche Daten wie Namen, Geburtsdaten, Adressen, EMails und alle erdenklichen Zugänge einer bestimmten Person werden hier für wenige Dollar angeboten. Zur Zeit vor der US-Wahl besonders beliebt: personenbezogene Daten, aufgelistet nach Bundesstaaten in Amerika.

In diesem System, das ursprünglich vom US-Militär zur verschlüsselten Kommunikation entwickelt worden ist, finden sich all jene, die auf Anonymität angewiesen sind: Whistleblower, Journalisten, Dissidenten. Zunehmend aber eben auch Kriminelle jeglicher Art.
Sandro Gaycken, Leiter des Digital Society Institute an der European School of Management and Technology in Berlin sieht den Drogenhandel im Darknet zwar an erster Stelle, aber auch der Markt für illegale Waffen wachse unaufhörlich: „Besonders häufig finden sich umgebaute Gas- und Schreckschusspistolen, Kalaschnikows oder auch historische Waffen beispielsweise aus der DDR.“ Allerdings seien natürlich auch viele Betrüger hinter „vermeintlichen“ Angeboten. „Die Gefahr ist groß, dass man den Betrag überweist, aber keine Waffe bekommt. An wen sollten sich die potenziellen Käufer einer illegalen Waffe auch mit dem Betrugsvorwurf wenden?“, wirf der ehemalige Hacker ein. Aber auch die Polizei stößt auf der Suche nach Kriminellen im Darknet an ihre Grenzen.

Das Problem bei der Strafverfolgung: Die Aufklärungsquote der Polizei ist relativ gering, gemessen an der Masse von Händlern, die sich im Darknet tummeln, erklärt Gaycken, der unter anderem die Bundesregierung im Bereich der IT-Sicherheit berät. Fliegen die Händler doch auf, erlaubt das Einblick in die kriminellen Machenschaften im Darknet.

„Ermittlungen sind extrem aufwendig und zeitintensiv.“

Erst im Februar wurde ein Mechatronik-Student aus Schweinfurt zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Er hatte unter anderem Dekowaffen wieder funktionsfähig gemacht und so Maschinenpistolen über das Darknet vertrieben. Die Originale kaufte der 26-Jährige für 180 bis 200 Euro in der Slowakei, bevor er sie dann für 1500 bis 2000 Euro an Kunden weltweit per Post verschickte.

Er ist bei weitem kein Einzelfall: Im April wurde ein 32-Jähriger Familienvater aus Nordrhein-Westfalen verhaftet, weil er im großen Stil illegale Schusswaffen und Munition über das Darknet gehandelt haben soll. Nur zwei Monate später findet der Stuttgarter Zoll drei Pistolenläufe in einer Paketsendung aus den USA. Adressiert an einen Heidelberger Waffendealer. Er verkaufte im Darknet unter anderem halbautomatische Schusswaffen, Pumpguns und Sturmgewehre. Laut Georg Ungefuk, dem Sprecher der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT), seien 2015, 20 bis 30 Menschen wegen Waffendelikten im Darknet identifiziert worden.


Der Amoklauf von München hat nun eine neue Debatte über schärfere Sicherheitsvorkehrungen in Deutschland ausgelöst. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer, sprach von einer unrühmlichen Rolle des Darknets beim Waffenhandel. Er kritisierte, dass es nicht möglich sein dürfe, Waffen „einfach so mit der Post zu verschicken.“ Und forderte, die Bundes- und Landeskriminalämter müssten ihre Bestrebungen noch intensivieren, um den Händlern und Käufern auf die Schliche zu kommen.
Frank Scheulen, Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA) Nordrhein-Westfalen betont, man wisse um die Gefahren durch den illegalen Handel im Darknet. So habe jedes Bundesland eine eigens eingerichtete Dienststelle „Zentrale Internetrecherche“, für Fälle rund um das Thema Cyber-Kriminalität. „Die Ermittlungen gestalten sich aufgrund der verschlüsselten Server-Adressen allerdings als extrem aufwendig und zeitintensiv,“ erklärt Scheulen.

So konnte eine Ermittlung im Bereich Kinderpornografie erst nach anderthalb Jahren abgeschlossen werden. „Unsere IT-Forensiker konnten die IP-Adresse ermitteln, und sie den zuständigen Kollegen beim FBI in den USA zukommen lassen. Der Täter wurde schließlich festgenommen, und der kleine Junge befreit,“ solche Erfolge seien allerdings vergleichsweise selten, gemessen an der schieren Anzahl der Delikte, sagt der Sprecher des nordrhein-westfälischen LKAs.


Noch ist die Zahl der im Darknet gehandelten Waffen, gemessen an Drogen, dem Handel mit Unternehmensdaten oder anderen Dienstleistungen verhältnismäßig gering. Das liegt in den Augen des IT-Sicherheitsexperten Gaycken auch daran, dass viele Marktplätze mit Waffenhandel nichts zu tun haben wollen. „Ein Grund dafür ist mit Sicherheit, dass das Strafmaß beim Handel mit Waffen naturgemäß höher ist, als bei Delikten im Bereich des illegalen Drogenhandels.“ Viele erklärten aber auch, dass sie aus ideologischen Gründen den Verkauf von Waffen auf ihrer Seite prinzipiell ablehnten.
Denn das Darknet ist eigentlich für Menschen gedacht, die auch in Zeiten des Internets nicht all ihre persönlichen Daten preisgeben wollen. Oder es schlichtweg nicht können, weil sie in totalitären Regimen leben und verfolgt werden. Ein großer Teil der Seiten ist auch immer noch profaneren Aktivitäten gewidmet – persönlichen oder politischen Blogs, Nachrichten, Diskussionsforen, religiösen Themen oder auch Radiostationen. Dafür wurde es zum Beispiel beim arabischen Frühling genutzt.

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