Die Golfregion erlebt derzeit auf politischer Ebene eine beispiellose Phase des Umbruchs. Iran, der lange Zeit als Bedrohung für Frieden und sicheren Zugang zu Ressourcen des Mittleren Ostens betrachtet wurde, beschreitet politisch neue Wege.
Sichtbar wird dieser Wandel insbesondere durch die neue iranische Außen- und Sicherheitspolitik. Diese hat sich von einem defensiven, konfrontativen Ansatz hin zu einem proaktiven und kooperativen Verstehen entwickelt.
Aktuell kommt es zu iranisch-westlichen Konsultationen im Rahmen der gemeinsamen Bekämpfung des Islamischen Staats im Irak und in Syrien. Dies war vor wenigen Jahren noch undenkbar. Genauso wenig wie die aktive Beteiligung Teherans an der langfristigen, gemeinsamen Entwicklung eines regionalen Konzepts zur Stabilisierung und Sicherheit in der Golfregion.
Zu den Autoren
Bernd Bühler studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Poitiers in Frankreich und ist Absolvent der französischen „Ecole de Guerre Economique“. Er ist Dozent an der Managementschule ESLSCA in Paris, Geschäftsführer der Janus Consulting GmbH und Spezialist für Schutz und Entwicklung unternehmerischer Aktivitäten in politisch sensiblen Ländern.
Michael Hellerforth ist ein deutsch-französischer Rechtsanwalt und Unternehmensberater, der sich auf die internationale Projektanbahnung und -entwicklung spezialisiert hat. Er war lange Jahre tätig für internationale Organisationen mit den Schwerpunkten Zentralasien und Golfregion.
Claus Rämer ist seit über 20 Jahren im Iran aktiv. Durch seine guten Verbindungen und seine Kenntnis der lokalen Gegebenheiten hat er in diesem Zeitraum mehrere Investitionsprojekte begleitet. Hierbei handelte es sich u.a. um großangelegte Infrastrukturprojekte in den Bereichen Energie, Transport und Verkehr.
Die eingeleiteten Veränderungen haben dazu geführt, dass Iran wieder als respektierter Partner auf die Bühne der internationalen Gemeinschaft zurückgekehrt ist. Dadurch werden Spannungen reduziert, was sich positiv auf die Stabilität in der Region auswirkt. Eine Regierung hat augenscheinlich Schwierigkeiten, an den Neuanfang der Beziehungen zu glauben. Das ist einerseits nachvollziehbar, da man auf beiden Seiten jahrzehntelang auf Konfrontation eingestellt war, andererseits dürfen die Verwerfungen in der Vergangenheit eine friedliche Zukunft nicht verhindern.
Die Entwicklungen Irans sind nicht abgeschlossen
Diese Entwicklung zeichnete sich bereits seit mehreren Jahren ab. Die iranische Gesellschaft hat ein reiches, kulturelles Erbe und ist gleichzeitig eine der ältesten Zivilisationen auf diesem Planeten. Die iranische Nation hat daher ihre eigenen Traditionen, Bedürfnisse und Wünsche, die weit über das Bild hinausgehen, das die islamische Revolution vermittelt hat.
Der Prozess, der die iranische Gesellschaft aktuell verändert, ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Hinzu kommt, dass er einerseits nicht gradlinig war und andererseits eben nicht in den selben Bahnen verläuft, wie wir das in Europa erwarten würden. Die aktuellen Entwicklungen sind dynamisch. In ihrer Konsequenz werden sie selbst von den treibenden Kräften, insbesondere der jungen Generation, nicht vollständig überblickt.
Bei einer solchen Gemengelage bleiben Rückschläge nicht aus. Der Wandel wird weitergehen und sich weiter beschleunigen. Es wird wohl noch ein bis zwei Generationen brauchen, bevor das definitive Ergebnis feststeht, und die gesellschaftlichen Strukturen zu einem neuen internen und externen Gleichgewicht gefunden haben.
Teheran zwischen Tradition und Moderne
Ein erfreuliches Ergebnis dieses Wandels ist die Rückkehr Teherans in die internationale Gemeinschaft. Iran nimmt gerade wieder seinen angestammten Platz unter den Nationen ein. Er schlägt dabei einen Weg ein, der einerseits modern und andererseits respektvoll gegenüber seinen eigenen Wurzeln ist.
Das Land am Golf ist hervorragend vorbereitet. Es verfügt beispielsweise über ein ausgezeichnetes Bildungssystem mit erstklassigen Schulen und Universitäten. Iran entsendet zudem seit vielen Jahren Studenten an ausländische Hochschulen. Wegen seiner hohen Kompetenz und der Qualität seiner Absolventen gilt das Schulsystem bereits heute als Vorreiter in der Region. Im Ergebnis steht daher eine ganze Generation von hervorragend ausgebildeten, motivierten und weltoffenen Fachkräften bereit, die kommenden Herausforderungen zu bewältigen.
Für den iranischen Staat und die iranische Wirtschaft war es schon seit langem keine Frage mehr, „ob“ das Embargo fallen wird, sondern nur noch „wie schnell“. Für das Ende hat der iranische Staat in diesem Zusammenhang Finanzreserven und Investments im Wert von mehreren hundert Milliarden US-Dollar bereitgestellt. Geplant ist deren Verwendung als Direktinvestitionen in strategische Projekte oder als Sicherheit für ausländische Investitionen.
Irans Wirtschaft steckt noch in der Krise
Die Modernisierungsprogramme sind gut vorbereitet, durchgerechnet und wurden teilweise schon gestartet. Erste nationale Investitionsprojekte sind aufgelegt. Dies betrifft insbesondere die Modernisierung von Industrie, Logistik und technischen Fähigkeiten auf der ganzen Linie. Denn die iranische Wirtschaft, unter anderem bedingt durch den hohen Anteil ineffizienter staatlicher Betriebe und die Auswirkungen der Sanktionen, steckt immer noch in einer tiefen Krise.
Gerade nach den Jahren des Embargos wird jetzt ein kooperativer Ansatz mit ausländischen Investoren gesucht. Dies umfasst sowohl öffentlich-private Partnerschaften (Public-Private-Partnership) und die Bereitstellung langfristiger Lizenzen.
Auch die deutsche Politik hat ein Interesse an einer nachhaltigen Stabilisierung der Region. Aus deutscher Sicht ergeben sich dabei zwei eng verbundene, potenzielle Vorteile: Zusätzlich zu den Export- und Wachstumschancen wird eine engere Kooperation mit der iranischen Öl- und Gas-Industrie die deutsche Versorgungssicherheit erhöhen. Gerade vor dem Hintergrund der Abhängigkeit der Bundesrepublik von den russischen Gaserzeugern stellt das Iran-Geschäft hier eine Chance dar.
Wissenswertes zum Iran
Der Iran ist schon alleine wegen der Bevölkerungszahl von fast 80 Millionen eine Macht in der Golf-Region. Der Gottesstaat war jedoch wegen seiner kompromisslosen Atompolitik in den vergangenen zehn Jahren international isoliert. Die im Zusammenhang mit dem Atomstreit verhängten Sanktionen führten in dem öl- und gasreiche Land auch zu einer Wirtschaftskrise. Viele Beobachter rechneten daher mit einem zweiten Nordkorea am Persischen Golf.
Mit dem Sieg von Hassan Ruhani bei der Präsidentenwahl 2013 im Iran änderte sich jedoch das Bild. Sein Wahlslogan „Versöhnung mit der Welt“ führte im Juli 2015 zu einem Atomabkommen mit dem Westen. Der Iran wurde plötzlich zu einem potenziellen politischen und wirtschaftlichen Partner des Westens in einer von Krisen geschüttelten Region. Besonders im Syrien-Konflikt hofft der Westen auf eine positive Rolle Teherans.
Mit seinen beiden gut ausgerüsteten Streitkräften - der klassischen Armee und den Revolutionsgarden - kann der Iran besonders im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) eine entscheidende Rolle spielen. Diese Rolle aber ist innerhalb der Region höchst umstritten, unter anderem bei der anderen Regionalmacht Saudi-Arabien. Ideologische und besonders religiöse Differenzen zwischen dem schiitischen Iran und den sunnitisch-wahhabistischen Saudis sorgen daher immer wieder für Spannungen in der Region.
Durch eine effektive Nutzung seiner Bodenschätze, allen voran die größten Erdgas- und die viertgrößten Erdölvorräte der Welt, und mit mehr als 75 Millionen Einwohnern bietet der iranische Markt schon ein hohes Potential. Gesteigert wird dieses noch durch die strategische Lage des Iran, die einen privilegierten Zugang zu den Nachbarmärkten, sowohl in der Golf-Region wie auch auf asiatischer Seite.
"Made in Germany" wird hoch geschätzt
Die Chancen für die deutsche Wirtschaft sind weiterhin gut. Die Masse des vorhandenen und modernisierungsbedürftigen iranischen Industrieparks läuft mit deutscher Technologie. Deren Langlebigkeit erweist sich jetzt als bestes Werbe- und Verkaufsargument. Es gibt eine erhebliche, gewachsene Wertschätzung für Industriegüter „Made in Germany“. Dies erklärt, warum die iranische Industrie auf ein deutsches Engagement hofft.
Iran hat einen Entwicklungsstau, den es jetzt zu überwinden gilt. Auf der Prioritätenliste ganz oben stehen insbesondere die dringende Modernisierung des Verkehrssektors, einschließlich Luftverkehr, Eisenbahnen, Straßen- und Seeverkehr, die Modernisierung und Verbesserung der Erdöl- und Gasförderung der Industrie, der Ausbau von Förderkapazitäten und die Gewinnung von Rohstoffen.
Bereits dieser erste Überblick lässt das Potenzial für die deutsche Industrie erkennen. Hinzu kommt, dass die vorhandene, deutsche Technologie sowohl einen schnellen Markteintritt, als auch Umsätze und Gewinn befördert.
Iran wird in den nächsten Jahren einen Aufschwung erleben, der in Art um Umfang nur mit der Entwicklung Chinas – oder der Tigerstaaten in den Achtzigern – zu vergleichen ist. Es ist eine seltene Chance, ein bereits entwickeltes Land auf dem Sprung zu einem wirtschaftlichen „Major Player“ zu begleiten und langfristig an diesem Erfolg partnerschaftlich zu partizipieren.