Datenschutz Behördenstriptease

Als erstes Bundesland verpflichtet Hamburg seine Behörden, alle Dokumente offenzulegen. Datenschützer feiern das Transparenzgesetz und fordern die Ausweitung. Doch der Praxistest zeigt: Sorge ist angebracht.

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Schatz in der Hand: Der Hamburger Piraten-Politiker Burkhard Masseida Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

Als einer der Ersten wird Christoph von Rauchhaupt durchleuchtet. Insgesamt 43.925 Euro und 48 Cent hat der Hamburger Arzt von der städtischen Denkmalbehörde seit 2012 erhalten, um eine historische Immobilie zu Wohnzwecken umzubauen und zu sanieren. Zu viel? Völlig in Ordnung? Darüber können sich ab sofort seine Nachbarn oder Patienten den Kopf zerbrechen. Denn seit dem 6. Oktober ist diese Information öffentlich.

Seit einer Woche gilt in Hamburg das Transparenzgesetz. Alle Behördendokumente, deren Nutzung nicht auf den Dienstgebrauch beschränkt wird, müssen nun online veröffentlicht werden. Maschinenlesbar und mit Suchfunktion. Unternehmen, die Aufgaben der Daseinsvorsorge übernehmen, sind ebenfalls betroffen. Das Denkmalschutzamt hat den Anfang gemacht: Am Montagmorgen stellten die Beamten eine Liste aller Zuwendungsempfänger der vergangenen zwei Jahre online.

Trends im Datenschutz

Seitdem folgten über 100 weitere Dokumente, gut 26 000 waren zuvor bereits zu Testzwecken veröffentlicht worden. Das Gesetz ist ein absolutes Novum. In der Slowakei, wo die Idee ihren Ursprung hat, ist nur ein kleiner Teil aller behördlichen Dokumente betroffen. Datenschützer sind begeistert, fordern eine flächendeckende Einführung. In mehreren Bundesländern sind Gesetze nach Hamburger Vorbild geplant. Dabei ist schon nach einer Woche absehbar, dass der Hamburger Feldversuch mittelfristig vor allem eines offenbaren wird: die Risiken, die im Transparenzjubel untergehen.

Das Thema Transparenz hat die Piratenpartei groß gemacht

Burkhard Masseida wird einer der regelmäßigen Gäste auf der Plattform sein. „Ich interessiere mich vor allem für die Daten über die Arbeit der Hamburger Polizei“, sagt Masseida. Der 40-Jährige arbeitet als Türsteher, im kommenden Jahr soll er nebenbei die Hamburger Piratenpartei als Spitzenkandidat in die Bürgerschaftswahl führen. Er ist einer der Erfinder des Gesetzes, im Herbst 2011 hat Masseida selbst mehr als 1500 Unterschriften gesammelt, um aus der Idee ein Bürgerbegehren zu machen. Am Anfang hatte er die Initiative „Mehr Demokratie“ an seiner Seite, später kamen Transparency und der Chaos Computer Club hinzu. Um die Überparteilichkeit zu ermöglichen, zogen sich die Piraten dann aus der Projektspitze zurück. Das Thema Transparenz hat seine Partei groß gemacht.

Jetzt ist das Gesetz da und die Partei längst nicht mehr groß. Masseida ist dennoch begeistert: „Das Portal wird einen Paradigmenwechsel einläuten“, sagt er. „Die Behörden werden merken, dass Offenheit ihnen nicht schadet.“ Zumindest Renate Mitterhuber hat er schon überzeugt. Die stellvertretende Leiterin der IT-Abteilung der Hamburger Finanzbehörde hat die Umsetzung des Gesetzes koordiniert. „Von immer mehr Kollegen bekomme ich positive Rückmeldungen, denn auch wir erhalten durch das Portal einen neuen Überblick über unsere eigenen Aktivitäten.“

Verfügungen und Dienstvereinbarungen für Jedermann

So bunt wie das Behördenleben ist der erste Eindruck von der Plattform. Nach dem Denkmalschutzamt hat die Behörde für Stadtentwicklung die „Kooperationsvereinbarung mit der Vattenfall-Gruppe“ ins Netz gestellt, wenig später das Personalamt die „Dienstvereinbarung über verlängerte Mittagspausen“. Da ist zu lesen, dass die Mitarbeiter ihre Pause von den regulären 30 Minuten auf bis zu zwei Stunden ausweiten dürfen, wenn sie es anderswo durch die Mehrarbeit reinholen. Wenig später folgt die „Anstaltsverfügung“ der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg über die Einrichtung von „DVD-Gruppen“. Insassen und Sicherheitsverwahrte dürfen demnach DVDs anschauen – aber nur gemeinsam. Und: „In der Regel sind Filme mit einer FSK-Zulassung ,ab 18 Jahren‘ nicht geeignet.“ Und solche Sachen sollen die Hamburger jetzt täglich zum Morgenkaffee studieren?

Vertrauen wird durch Kontrolle ersetzt

„Wir haben da ein Werkzeug geschaffen, mit dem jeder arbeiten kann, wenn es nötig ist“, erklärt Masseida. „Wenn Sie eine Kettensäge kaufen, laufen Sie ja auch nicht gleich in den Wald und machen alle Bäume platt.“ Schon recht, und dennoch zeigen gerade diese banalen Beispiele, dass die allumfassende Transparenz etwas Grundsätzliches verändern könnte im Umgang zwischen Bürgern und Staat. Vertrauen in die Arbeit der Behörden wird durch die Illusion umfassender Kontrolle ersetzt.

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Die Kontrolle des Staats durch seine Bürger ist ein hehres Ziel, für das es bereits einige Instrumente gibt. Das Informationsfreiheitsgesetz garantiert, dass auf konkrete Anfragen ziemlich umfassende Antworten folgen müssen. „Wir müssen wegkommen von dieser Rolle als Bittsteller, wo der Bürger im Prinzip als Querulant gesehen wird“, sagt Masseida. Bisher musste der Bürger sich rechtfertigen, warum er etwas wissen will. Ab jetzt soll der Staat begründen, wenn er Dinge nicht verraten will.

Unternehmer haben Angst vor ihrer Konkurrenz

Das ist mit dem Gesetz zweifellos gelungen. Doch vor lauter Begeisterung über die Vorzüge der Offenheit wurde wohl vergessen, dass diese auch jemanden bloßstellen kann: den Menschen dahinter. „Wenn ich eine Ausschreibung der Stadt gewinne, kann ab sofort jeder Konkurrent sehen, mit welchen Preisen ich kalkuliere“, sagt Tobias Bergmann, Geschäftsführer des Hamburger Beratungsunternehmens nordlicht consultants.

Zwar gilt das Transparenzgesetz für alle Aufträge in gleicher Weise, aber eben nur innerhalb Hamburgs. „Ein Unternehmer aus Bayern kann seine Kalkulation darauf abstimmen, ohne dass ich Ähnliches über seine Angebote wüsste“, sagt Bergmann. Zwar dürfen Unternehmen der Verwaltung vorschlagen, was in einem Vertrag geschwärzt werden soll, die Entscheidung aber verbleibt bei den Beamten. So erfährt man auf dem Transparenzportal, dass das Ingenieurbüro WKC Hamburg für die „Instandsetzungsplanung für die 85 Meter lange Kaimauer am Lotsekai“ insgesamt 130.827 Euro erhalten hat. Wäre es ein Wunder, wenn bei der nächsten Kaimauer einer 129.000 Euro bietet?

Selbst wenn es nicht zu solchen direkten Folgen kommt, ändern wird sich der Geist, der durch die Behördenflure weht. Am Dienstag folgte das Dokument „Hausordnung der Behörde für Justiz und Gleichstellung“. Punkt 11.3.2: „Das Abstellen von Fahrrädern in Büros oder auf Verkehrsflächen innerhalb des Dienstgebäudes ist untersagt.“ Oder 11.4: „In die Papierkörbe sind nur Papierabfälle zu entsorgen.“ Geht jetzt ein Bürger hin und schwärzt einen Mitarbeiter wegen solcher Verstöße an, wenn der sein Begehren ablehnt? Wer zur Blockwartmentalität neigt, dem eröffnen sich ganz neue Betätigungsfelder.

Bis auf Weiteres scheint der Hamburger im Allgemeinen noch recht harmlose Ziele zu verfolgen: Der meistgesuchte Begriff in den ersten Tagen lautete „Baumkataster“.

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