Datenschutz Wettlauf um die besten Kräfte

Die Umsetzung der EU-Datenschutzgrundverordnung könnte die deutsche Datenschutzaufsicht an ihre Belastungsgrenze bringen. Vor allem die Rekrutierung neuen Personals stellt die Behörden vor große Herausforderungen.

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Datenschutzexperten verzweifelt gesucht: Wegen der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung müssen die deutschen Aufsichtsbehörden neues Personal rekrutieren - und stehen dabei in Konkurrenz zu anderen Arbeitgebern. Quelle: dpa

Berlin Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff könnte für die zusätzlichen Aufgaben durch die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) mehr Personal benötigen als ursprünglich geplant. Ob der bereits bewilligte Stellenzuwachs „ausreichend sein wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend abschätzbar“, sagte Voßhoff dem Handelsblatt.

„Insbesondere hat der Gesetzgeber im Rahmen der Anpassung der DSGVO an nationales Recht noch zu entscheiden, wer die gemeinsame Vertretung der nationalen Datenschutzaufsicht im künftigen europäischen Datenschutzausschuss übernimmt und welche nationale Datenschutzaufsicht die zur Koordinierung dieser Aufgabe notwendige Anlaufstelle einzurichten hat.“ Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Anpassungs- und Umsetzungsgesetz sei hierzu ihre Behörde vorgeschlagen. „Die Übernahme dieser Aufgabe erfordert einen weiteren Stellenbedarf.“

Bisher – für das Jahr 2017 - hat der Bundestag laut Voßhoff insgesamt 49 neue Stellen bewilligt. Von diesen Stellen seien 32 für die Datenschutz-Grundverordnung vorgesehen. Allerdings seien 20 dieser Stellen bis Dezember 2017 gesperrt. „Für die Freigabe ist eine Bedarfsanalyse mit Blick auf die neuen Aufgaben nach der DSGVO erforderlich.“ Bei Umsetzung der bewilligten Stellen würde die Anzahl der Mitarbeiter seit dem Amtsantritt der Bundesbeauftragten Andrea Voßhoff von etwa 85 im Jahr 2014 auf etwa 160 steigen.


Der Gesetzentwurf zur Anpassung des nationalen Rechts an die Datenschutz-Grundverordnung ist heute auch Thema eine Sachverständigen-Anhörung im Bundestags-Innenausschuss. Nach jahrelangen Verhandlungen soll die EU-Verordnung bis Mai 2018 in allen europäischen Ländern in jeweils nationales Recht umgesetzt sein.

Voßhoff sieht die Rekrutierung neuen Personals als große Herausforderung, auch weil ihre Behörde dabei in Konkurrenz zu anderen Arbeitgebern steht. „Nicht zuletzt wegen der demographischen Entwicklung stellt die Personalgewinnung insgesamt für alle – öffentlichen wie privaten – Arbeitgeber eine anspruchsvolle Aufgabe dar“, sagte. Sie sei aber „zuversichtlich, dass sie insbesondere aufgrund ihrer interessanten Aufgaben sowie der guten Rahmenbedingungen als oberste Bundesbehörde im Wettbewerb um qualifiziertes Personal bestehen kann“.

Erste Einstellungen seien bereits erfolgt, weitere Ausschreibungen liefen derzeit oder seien noch vorgesehen. „Das Gros der neuen Stellen wird jedoch erst im Laufe des Jahres besetzt werden können“, so Voßhoff. Gesucht würden Mitarbeiter im juristischen, technischen und verwaltungstechnischen Bereich.

Für den personellen Mehraufwand erhält die Bundesdatenschutzbeauftragte mehr Geld aus dem Bundeshaushalt. Für 2017 sind laut der Behörde für die Beamtenbesoldung sowie für die Entgelte der Tarifbeschäftigten insgesamt rund eine Million Euro mehr gegenüber dem Vorjahr veranschlagt. Dies betrifft sowohl zusätzliches Personal für neue Aufgaben wie die DSGVO als auch Tariferhöhungen.


Bundesländer steuern auf Datenschutz-Chaos zu

Bei den Datenschutzbeauftragen der Bundesländer zeichnet sich schon jetzt ab, dass sie nicht genug Personal bekommen, um die hochkomplexe EU-Datenschutzgrundverordnung umsetzen zu können. Das zeigt eine Umfrage des Handelsblatts unter den zuständigen Behörden in den Bundesländern (Montagsausgabe).

Demnach steckt die Hälfte der 16 Datenschutzbeauftragten noch in Haushaltsverhandlungen, um die nötigen Stellen bewilligt zu bekommen. In sechs Fällen steht dabei bereits fest, dass es im laufenden Jahr kein weiteres Personal geben wird: in Berlin, Bremen, Hamburg, Saarland, Sachsen und Thüringen. In acht Ländern wurden zwar Stellen bewilligt, aber deutlich weniger als beantragt. So hat Sachsen-Anhalt 16 Stellen geltend gemacht, bewilligt wurden jedoch nur vier, davon zwei erst im kommenden Jahr. Brandenburg hält mindestens 15 Stellen für erforderlich, bewilligt wurden acht. Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein fragten jeweils zehn neue Stellen an und bekamen je vier zusätzliche Stellen.

„Es ist zu befürchten, dass die Kluft zwischen den rechtlichen Erwartungen, die der Gesetzgeber mit der neuen Regelung verfolgt, und der defizitären Ausstattungssituation noch viel größer wird als er bereits unter der gegenwärtigen Rechtslage ist“, hieß es etwa beim Hamburger Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar auf Anfrage. „Dass die Behörden handlungsunfähig sind, dürfte nicht zuletzt aus europarechtlicher Sicht nicht hinzunehmen sein“, hieß es weiter.

Nach einem Gutachten, das der Kasseler Rechtsprofessor Alexander Roßnagel im Auftrag der Datenschützer erstellt hat, beträgt der zusätzliche Personalbedarf pro Landesdatenschutzbehörde zwischen 24 und 33 Stellen. Benötigt würden vor allem Juristen, aber auch Informatiker. Die Handelsblatt-Umfrage zeigt, dass keine Behörde so viele Stellen beantragt hat. „Mit einer so hohen Forderung wäre ich bei den Haushaltsverhandlungen ausgelacht worden“, meinte ein Datenschutzbeauftragter.

Der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink kritisierte die mangelnde Rechtssicherheit. „Weder Behörden, noch Unternehmen sind sich sicher, welches Recht für sie gilt“, sagte Brink dem Handelsblatt. Es gebe die EU-Datenschutzgrundverordnung, das Bundes- oder Landesrecht. „Der Bund sorgt mit seinem Datenschutz-Anpassungsgesetz für massive Verwirrung und große Vollzugsprobleme“, betonte Brink.

Voßhoff nannte neben der Personalgewinnung als größten Herausforderungen für ihre Behörde die neuen Verfahren sowie Funktionen und Kompetenzen einschließlich des Sanktionenrechts, die sich aus der Datenschutz-Grundverordnung beziehungsweise der deutschen „Umsetzungsgesetzgebung“ ergeben. So müsse unter anderem eine „ordnungsgemäße und einheitliche Anwendung“ der EU-Verordnung in Europa sichergestellt werden.

„Außerdem werden die Datenschutzbeauftragten im öffentlichen Bereich zukünftig auch zusätzliche Befugnisse erhalten, so beispielsweise ein konkretes Weisungsrecht im Einzelfall“, sagte Voßhoff weiter. Auch die stärkere Einbindung in die mit der DSGVO vorgesehenen „Datenschutzfolgeabschätzung“ der Unternehmen sowie Zertifizierungsverfahren seien mit neuen Herausforderungen verbunden. Für all dies müsse ihre Behörde sich organisatorisch und personell neu aufstellen.

Hinzu komme, dass ihre Behörde aufgrund der Datenschutzgrundverordnung verstärkt in ihrer beratenden Funktion gegenüber der Politik, Behörden, Unternehmen und nicht zuletzt den Bürgern gefragt sei. „Dies wird gerade in den kommenden Jahren einen sehr wichtigen Teil ihrer Arbeit ausmachen“, sagte Voßhoff.

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