DDR-Aufarbeitung „Versenkt in den Abgründen der Geschichte“

Die Kommission zur Zukunft der Stasiunterlagen-Behörde hat ihre Empfehlungen fertiggestellt. Offiziell wurden die Vorschläge noch nicht an den Bundestag übergeben, doch über Details wird jetzt schon heftig gestritten.

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Was wird aus der Stasi-Unterlagenbehörde? Quelle: dpa

Berlin Die vor mehr als einem Vierteljahrhundert gegründete Stasi-Unterlagen-Behörde soll nach Ansicht einer Expertenkommission in der jetzigen Form nicht weiterbestehen. Die Stasi-Akten sollten in das Bundesarchiv überführt sowie eine Stiftung „Diktatur und Widerstand. Forum für Demokratie und Menschenrechte“ gegründet werden, heißt es in den Empfehlungen der Kommission. Installiert werden soll demnach auch ein „Bundesbeauftragter für die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und ihren Folgen“.

Die Eckpunkte, die jüngst im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien in nicht öffentlicher Sitzung vorgestellt wurden sorgen noch vor ihrer offiziellen Übergabe an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am morgigen Dienstag für heftigen Streit.

Ihren Unmut über die Kommissionsempfehlungen tat Hildigund Neubert, selbst Mitglied des vom Bundestag eingesetzten Gremiums, in einem „Minderheitenvotum“ kund. In dem Papier, das dem Handelsblatt vorliegt, legt die frühere DDR-Oppositionelle und derzeitige Vizevorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung ihre Vorbehalte in scharfen Worten dar.

Die „Mehrheits-Empfehlungen“ der Kommission eröffneten eine derzeit fachlich nicht notwendige Grundsatzdebatte. „Offenbar soll hier ein politisches, ein geschichtspolitisches Zeichen gesetzt werden“, klagt Neubert. „Das Skandalon der totalitären SED-Herrschaft mit ihren noch schmerzenden Nachwirkungen soll in den Abgründen der Geschichte, den Labyrinthen von Archiven versinken, interessant nur noch für ein paar Spezialisten, die „die DDR als Chance“  für ihre akademische Laufbahn sehen.“ Die Stasiunterlagen bis 2021 dem Bundesarchiv zu übergeben ist für Neubert daher auch „nicht plausibel“.

Widerspruch kommt von der SPD. „Die Zuordnung der Stasi-Akten zum Bundesarchiv bei gleichzeitiger Wahrung ihrer Zugänglichkeit in den Außenstellen halte ich für mehr als sinnvoll“, sagte der Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, Siegmund Ehrmann, dem Handelsblatt. Alle anderen Vorschläge würden „sorgfältig“ abgewägt. „Doch wollen wir in der Großen Koalition noch in diesem Jahr die Weichen stellen“, betonte der Sozialdemokrat.


Auch Bundesarchiv kein „Aktenparadies“

Dagegen teilt der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, die Kritik Neuberts.  „Ich kann nicht erkennen, dass sich durch die Vorschläge irgendetwas verbessert bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Im Gegenteil: Die wichtigste Institution auf diesem Gebiet soll zerschlagen werden, ohne dass etwas Adäquates an ihre Stelle tritt“, sagte Knabe dem Handelsblatt. „Das ist entweder fahrlässig oder ein bewusster Versuch, die Beschäftigung mit den SED-Verbrechen in den Hintergrund zu drängen.“

Neubert warnte vor vorschnellen Entscheidungen und verwies darauf, dass der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, bereits eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Bundesarchiv eingerichtet habe, in der beide Behörden mit gleicher Software gemeinsame Standards für die archivische Arbeit entwickelten“. Damit ist ein längerer Prozess begonnen, der ergebnisoffen erfolgen sollte, so dass durch Eile und politische Eingriffe keine Verzögerungen der aktuellen Arbeit oder gar Verluste entstehen“, erklärte Neubert in ihrem Minderheitenvotum.

Eine Entscheidung einer Überführung der Stasi-Akten müsse auch deshalb nicht getroffen werden. Die „einseitige Ausrichtung auf die Integration“ in das Bundesarchiv verkenne zudem, dass die Fachleute und der Bundestag auch am Bundesarchiv-Gesetz Kritik hätten und derzeit eine Reform begonnen werden solle. Auch das Bundesarchiv, so Neubert, sei also kein „Aktenparadies“.

Das Stasi-Unterlagen-Archiv soll laut den Empfehlungen „unter eigenem Namen und mit sichtbarer Eigenständigkeit unter dem Dach des Bundesarchivs“ fortgeführt werden. Die Papiere des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) würden in der früheren Stasi-Zentrale an der Normannenstraße bleiben. Die Akten in den zwölf ostdeutschen Außenstellen der Behörde sollten an einem Ort pro Bundesland zusammengefasst werden. Dieser Prozess sollte bis 2021 – dem Ende der nächsten Legislaturperiode – abgeschlossen sein.

Da die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur gesellschaftlich wichtig bleibe, soll der Bundesbeauftragte „neuen Typs“ Bundestag, -regierung und -behörden beraten und Ombudsmann für SED-Opfer sein. Außerdem soll er das Bundesarchiv zu den MfS-Unterlagen beraten. Sein Dienstsitz soll im Umkreis des Bundestages sein, von dem er auch gewählt werden soll.


„In Sachen Hohenschönhausen sehe ich keinerlei Änderungsbedarf“

Auf Ablehnung stößt indes der Vorschlag der Kommission, auf dem Areal des früheren Stasi-Ministeriums eine Stiftung zu gründen, in die auch die Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen überführt werden sollte. Die beiden zentralen Berliner Orte der Auseinandersetzung mit der Stasi würden laut den Kommissionempfehlungen von einer gemeinsamen Struktur profitieren.

In der CDU wird das anders gesehen. „In Sachen Hohenschönhausen, einer sehr gut funktionierenden Berliner Landesstiftung, sehe ich keinerlei Änderungsbedarf. Hier wird es mit der Union keine Änderungen geben. Diese hätten keinerlei Nutzwert“, sagte der kulturpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Marco Wanderwitz (CDU), dem Handelsblatt.

Empfohlen wird auch die Gründung einer „Forschungsstelle DDR-Staatssicherheit in vergleichender Perspektive“, die ebenfalls an der Normannenstraße angesiedelt werden könnte.

Für die historisch-politische Bildung wird nach dem Vorschlag der Kommission auch künftig Geld bereitgestellt. Die Mittel sollen demnach bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Bundeszentrale für politische Bildung beantragt werden. Die Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde - derzeit sind es etwa 1600 - sollen in die neuen Strukturen übernommen werden, hieß es.

Inwieweit die Politik letztlich den Empfehlungen der Expertenkommission folgen wird, ist derzeit noch eine offen Frage. „Der Ausschuss für Kultur und Medien wird am 27. April ein öffentliches Fachgespräch zu den Kommissionsempfehlungen führen“, sagte der SPD-Abgeordnete Ehrmann. Er dann werde sich seine Fraktion hierzu positionieren.

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