Hüber fordert allerdings noch mehr: Die Ausländerbehörden und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), aber auch die kommunalen Behörden, sollten sich zukünftig als Teil der Sicherheitsarchitektur begreifen. „Die Sicherheitsbehörden können weder kriminelle Schleuserbanden bekämpfen noch 'Gefährder' oder 'Schläfer' rechtzeitig aus dem Verkehr ziehen, wenn Verwaltungsbehörden strafrechtlich relevante Sachverhalte für sich behalten“, warnte Hüber.
Die kurze Lebensgeschichte des tunesischen Attentäters Anis Amri hatte die Mängel der Kommunikation der staatlichen Stellen innerhalb Deutschlands aber auch zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union überdeutlich gemacht. Ein Mann, der in Italien nicht nur nicht asylberechtigt, sondern auch noch mehrfach straffällig, verurteilt, und nach Absitzen einer Haftstrafe ausreisepflichtig war, konnte ungehindert in Deutschland einreisen, einen Asylantrag stellen, Sozialleistungen erhalten, mehrere Identitäten annehmen und sich der Abschiebung durch Vernichtung seiner Ausweispapiere entziehen.
Die Beobachtung Amris durch die Sicherheitsbehörden hatte keine Folgen. Er konnte, obwohl als islamistischer „Gefährder“ bekannt, nach einem Tag in Abschiebehaft ungehindert „seinen Lebensmittelpunkt in Berlin suchen“, obwohl er eigentlich in Kleve hätte bleiben müssen.
Auch die jetzt bekannt gewordenen Fälle von Asylbewerbern, die in Niedersachsen mit bis zu 12 verschiedenen Identitäten gemeldet waren und entsprechend mehrfach Sozialleistungen kassierten, offenbaren einen Staat, der ganz offensichtlich auf die Einwanderungswirklichkeit nicht eingestellt ist. Die Behörden haben die betreffenden Menschen bei ihrer Einreise 2015 aufgrund der schieren Zahl nicht ausreichend erkennungsdienstlich erfassen können, sondern wie in der Hochphase der „Flüchtlingskrise“ hunderttausendfach praktiziert, einfach deren Selbstauskünfte notiert.
Die Flüchtlingskrise war tatsächlich also eine Chance für Einwanderer, ihre Identität gegenüber einem völlig hilflos agierenden Staat zu verschleiern. Eine unbestimmbare Zahl von Menschen hat, wie der Fall Amri und die jetzt in Niedersachsen bekannt gewordenen belegen, diese Hilflosigkeit des Staates ausgenutzt. Nach aktueller Lage droht den Betrügern weder Abschiebung noch Strafe. Wie ein Ermittler der Braunschweiger Sonderkommission „Zentrale Ermittlungen“ in der FAZ sagt: „Wenn einer hier zehnmal angemeldet ist und dann zehnmal im Land verteilt wurde, wo kriege ich ihn dann zu fassen?“
Diese Fälle machen deutlich, wie weit Deutschland von dem Anspruch de Maizières, ein „starker Staat in schwierigen Zeiten“ zu sein, entfernt ist. Ob der Bund, wenn er die Kompetenzen an sich reißt, eher die vermisste Stärke zeigen kann als die Länder, dürfte eine zweitrangige Frage sein, die vor allem Berufs- und damit Machtpolitiker persönlich interessiert. Entscheidender für die Zukunft des Landes dürfte sein, dass sich endlich auf allen Verwaltungs- und Politikebenen ein Bewusstsein bildet für die eklatante Lücke zwischen einwanderungspolitischen Idealen und der der tatsächlichen Einwanderungswirklichkeit. Das wäre die Voraussetzung dafür, dass Deutschland endlich zu einem wirklichen Einwanderungsland würde, nämlich einem, das kontrolliert, wer einwandert.
Mit Material von dpa