Das Kommissionsmitglied Meinhard Miegel sieht das kritischer. Angesichts von zehn Leitindikatoren hält er das neue Modell für zu komplex.
Paqué: Herr Miegel will das BIP als zentralen Indikator ersetzen. Davor kann ich nur warnen. Ich gebe ihm recht, dass es dieses Sammelsurium nicht leicht haben wird, das BIP in der Öffentlichkeit vom Thron zu stoßen.
Von Weizsäcker: Gleichwohl ist es ein Verdienst der Kommission, ein solches Set von Indikatoren überhaupt zusammenzustellen. Das kann aber nur ein Zwischenschritt sein. Ich halte es für überfällig, bei der Wohlstandsmessung die immensen Schäden durch soziale Ungleichheit einzubeziehen. Dies hat bereits ein von der französischen Regierung eingerichtetes und von US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz geleitetes Expertengremium angeregt. Ein "Equity-Index" könnte das BIP trefflich ergänzen. Es ist erwiesen, dass in Staaten mit hoher Ungleichheit bestimmte Phänomene verstärkt auftreten, etwa Krankheiten, Schulversagen und Kriminalität.
Paqué: So einfach geht das nicht. In den USA etwa gibt es eine viel größere Ungleichheit als bei uns, und sie gab es schon immer, typisch für ein Einwanderungsland. Die Amerikaner sind aber nicht bereit, einen Sozialstaat europäischer Prägung zu schaffen, der diese Ungleichheit verringert. Deshalb müssten sie, was die Lebensqualität betrifft, einen solchen Indikator international mit den Präferenzen der Menschen gewichten - praktisch eine unlösbare Aufgabe. Und auch moralisch fragwürdig: Wir sollten uns davor hüten, unterschiedliche Gesellschaftsmodelle von Demokratien zu "gewichten".
Gibt es schon Reaktionen der Politik, wie man das Gutachten verwenden wird?
Paqué: Das Interesse der Öffentlichkeit ist erheblich stärker als bei früheren Enquete-Kommissionen. Ich glaube daher nicht, dass die Politik den Bericht komplett ignoriert.