Zum Beispiel?
Von Weizsäcker: Ein guter Ansatzpunkt ist der Human Development Index der Vereinten Nationen. Dieser setzt sich aus den drei Komponenten BIP, Gesundheit und Bildung zusammen. Dies ist eine vernünftige erste Annäherung - auch wenn hier die Umweltqualität fehlt.
Paqué: Sieger in diesem Ranking war 2007 übrigens Island. Mittlerweile stehen die nur noch auf Platz 13, obwohl Gesundheitswesen, Sozialleistungen und Lebensqualität da immer noch hervorragend sind. Offenbar war den Machern des Rankings nach der Finanzkrise und dem finanziellen Zusammenbruch Islands das Ergebnis so peinlich, dass man das Land wieder vom Thron geholt hat. Da steckt viel Willkür drin. Ich habe nichts gegen multidimensionale Ansätze. Aber man muss bei der Interpretation aufpassen, was da genau gemessen und wie es gewichtet wird.
Besteht bei alternativen Wohlstandsmessungen nicht die Gefahr, dass sich reformunwillige Politiker dahinter verstecken - weil Wachstum nur noch ein Indikator unter vielen ist?
Paqué: Aus meiner Sicht ist die Gefahr eher, dass man die gesellschaftliche Diskussion verwässert. Wenn das BIP um drei Prozent zulegt, weiß jeder, was das bedeutet. Wenn der Gini-Koeffizient, der die Einkommensverteilung einer Gesellschaft widergibt, von 0,24 auf 0,26 steigt, wird die Sache arg abstrakt. Da kann jeder reininterpretieren, was er möchte, und das geschieht auch - mit heilloser Verwirrung der öffentlichen Diskussion.
Sie selbst sind Mitglied einer Enquete-Kommission, die Vorschläge für eine neue Wohlstandsmessung machen soll und gerade ihren Abschluss-bericht vorlegt. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Paqué: Wir haben sicher nicht den Stein der Weisen gefunden. Angesicht der politischen Heterogenität der Kommission haben wir aber ein pragmatisches Ergebnis erzielt mit Vorschlägen, wie sich die klassische Wachstumsmessung ergänzen lässt - etwa indem wir Faktoren wie Schulden, Einkommensverteilung und Beschäftigungslage einbeziehen.