Debatte um Big Data Digitalverbände fordern Ende der Datensparsamkeit

Das Prinzip der Datensparsamkeit ist umstritten. Das Justizministerium meint, der Grundsatz stehe der ökonomischen Nutzung des Datenreichtums nicht im Weg. Die Wirtschaft warnt vor Nachteilen bei strikter Regulierung.

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Alles wird gespeicher: herkömmliche Texte, Nachrichten, das private Video, Mails, Telefonate, Fotos, Blogs und und und. Quelle: AP

Berlin Das beharrliche Festhalten des Bundesjustizministeriums am Grundsatz der Datensparsamkeit stößt in der Digitalwirtschaft auf scharfe Kritik. „Datensparsamkeit steht der Lebenswirklichkeit einer digitalen Gesellschaft diametral entgegen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom), Bernhard Rohleder, dem Handelsblatt.

„Denn Daten, die nicht erhoben werden, können auch nicht sinnvoll genutzt werden – für eine bessere medizinische Versorgung, zur Vermeidung von Staus und Unfällen oder für mehr Sicherheit.“ Dass dabei die Privatsphäre geschützt werden müsse, sei selbstverständlich.

Der Staatssekretär im Justizministerium, Ulrich Kelber (SPD), hatte in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt eine Abkehr vom Prinzip der Datensparsamkeit zugunsten der Wirtschaft abgelehnt und den Gegnern dieses Grundsatzes vorgehalten, für „Datenreichtum“ zu werben und Datensparsamkeit lächerlich zu machen. „Daten als Öl des 21. Jahrhunderts zu bezeichnen ist zum Allgemeinplatz geworden. Dabei geht es nicht um ein Schmiermittel für Geschäftsprozesse, sondern um grundlegende Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und um unsere Freiheit in der digitalisierten Gesellschaft“, schrieb Kelber.

Zugleich plädierte er dafür, die anstehende Harmonisierung des europäischen Datenschutzes dafür zu nutzen, „Konzepte zu entwickeln, wie Big-Data inklusive Datensparsamkeit aussehen und funktionieren kann, Datensparsamkeit 4.0 sozusagen“.

Oliver Süme, Vorstand beim Internetverband eco, hält wenig von Kelbers Vorschlag. „Ich glaube nicht, dass uns so ein offensives Label wie Datensparsamkeit 4.0 bei der Lösung der Frage weiterhilft, wie wir die wirtschaftlich sinnvolle Nutzung von Daten und einen effektiven Datenschutz in Einklang bringen können“, sagte Süme dem Handelsblatt. „Der Schlüssel für einen souveränen Umgang mit den eigenen Daten sind transparente Datenverarbeitungsprozesse und eine konstruktive Debatte über eine sinnvolle Klassifizierung von Daten.“ Dabei spielten beispielsweise die Pseudonymisierung und die Etablierung von Branchenstandards eine wichtige Rolle. Beides sei im neuen Datenschutzrecht auch angelegt. „Darauf müssen wir aufbauen“, so Süme.


„Wer einen Produktionsfaktor nicht einsetzt, verliert“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich schon beim Thema Datensparsamkeit offen für die Interessen der Wirtschaft. „Wir müssen auch eine gesellschaftliche Debatte darüber führen, dass Daten der Rohstoff der Zukunft sind und dass das uns einst vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Prinzip der Datensparsamkeit nicht mehr zur heutigen Wertschöpfung passt“, erklärte die Kanzlerin kürzlich in einer Rede beim Tag der Deutschen Industrie. Denn heute seien Daten Rohstoffe. „Daten müssen zu neuen Produkten verarbeitet werden. Wer an diesem Teil der Produktion nicht teilnimmt, wird auch nicht die Arbeitsplätze der Zukunft schaffen können.“

Der Vorstandschef der Hypo-Vereinsbank, Theodor Weimer, beklagte jüngst in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt, dass hierzulande „eifrig über Risiken und negative Auswirkungen“ gesprochen, aber kaum die Chancen ähnlich intensiv thematisiert würden. „Um die Möglichkeiten der intelligenten Datennutzung weitaus besser ausschöpfen zu können, brauchen wir eine geistige Datenwende“, forderte er. „Wir brauchen Gesetze und Strukturen, die dem neuen Produktionsfaktor Daten Raum geben.“

Ähnlich wie der Digitalverband Bitkom wandte Weimer ein, dass Datensparsamkeit nicht zeitgemäß sei. „Der Grundsatz der Datensparsamkeit und das Prinzip der Zweckbindung, die nun auch die jüngst verabschiedete Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union festschreibt, kollidieren diametral mit den Möglichkeiten der Big-Data-Analyse und der ökonomisch sinnvollen Nutzung des Datenreichtums“, erklärte der Bankenchef.

Weimer appellierte daher, Europa in die Lage zu versetzen, „selbst mit den Datenschätzen zu arbeiten und sie nicht anderen zu überlassen“. Denn die Historie zeige: „Wer einen Produktionsfaktor nicht einsetzt, verliert im ökonomischen Wettbewerb. Schnell. Brutal. Auf Dauer.“

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