Nein – Angela Merkel sagt nicht, dass sie die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages für falsch hält. Im Juni hatte das Parlament die Vertreibung der Armenier im Osmanischen Reich im Jahr 1915 als Genozid bezeichnet. Die Resolution löste große Empörung in Ankara aus, Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan forderte die deutsche Bundesregierung dazu auf, sich von der Resolution zu distanzieren.
Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert kam dieser Forderung am Freitag ausdrücklich nicht nach. Er sagte nicht, dass sich Merkel von der Resolution distanziert. Vielmehr verwies Seibert darauf, dass die Resolution keine rechtliche Bindung für die Bundesregierung habe. Das ist im Übrigen eine Selbstverständlichkeit. Eine Resolution ist kein Gesetz, sondern eine Art politisches Statement.
Die Botschaft der Bundesregierung lautet also: Ja, der Bundestag darf natürlich von einem Völkermord an den Armeniern sprechen, die Bundesregierung muss deswegen aber nicht handeln oder die Türkei womöglich gar sanktionieren.
Soweit, so bekannt. Denn die Bundesregierung hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie kein großer Fan der Resolution ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel sowie Außenminister Frank-Walter Steinmeier nahmen aus Termingründen damals nicht an der Abstimmung teil. Mehr Missbilligung für die Resolution konnte die Regierungsspitze kaum ausdrücken.
Auch jetzt hat sich die Bundeskanzlerin klar von der Resolution distanziert – nur eben sehr subtil. Der Regierungssprecher stellte am Freitag nämlich zwei wichtige Punkte klar: Zum einen, dass es den Türken ein wichtiges Anliegen war, dass die Bundesregierung nochmal öffentlich klarstellt, dass die Resolution rechtlich nicht bindend ist, also keine Konsequenzen hat. Die Regierung hat also auf Druck der Türkei ihre bekannte Position nochmal öffentlich wiederholt.
Zum anderen wurde der Regierungssprecher gefragt, ob Merkel selbst von einem Völkermord an den Armeniern spricht. Er machte sich diese Worte im Namen der Kanzlerin nicht zu eigen und verwies lediglich darauf, der Begriff Völkermord habe „rechtlich eine ganz bestimmte Bedeutung“. Anders als der Bundestag spricht die Bundeskanzlerin also bewusst nicht von einem Genozid.
Dies zeigt, dass die Bundesregierung zwar behauptet, sie distanziere sich nicht von der Resolution, de facto tut sie aber genau das. Auf Druck der Türkei stellt sie öffentlich klar, dass die Resolution für die Regierung keine Rolle spielt. Und die Kanzlerin mag auch das Wort Genozid lieber nicht verwenden.
Für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ist das eine politische Ohrfeige. Union, SPD und Grüne hatten den Antrag fraktionsübergreifen eingebracht und lange beraten. Die Kanzlerin fällt einem Großteil der Abgeordneten nun in den Rücken, darunter immerhin viele Abgeordnete, die sie ins Amt gewählt haben.
Wie wirkt der Ausnahmezustand in der Türkei über die Grenzen hinaus?
Zehntausende Soldaten und Staatsdiener sind in der Türkei bereits entlassen oder verhaftet worden. Jetzt ist der Ausnahmezustand auch offiziell verkündet. Die Situation nach dem gescheiterten Putschversuch könnte auch hierzulande spürbar werden.
Die Bundesregierung beobachtet die Vorgänge in der Türkei mit zunehmender Besorgnis. Das rigorose Vorgehen der türkischen Regierung nach dem gescheiterten Putschversuch „übersteigt eine angemessene und verhältnismäßige Antwort“, sagte Innenminister Thomas de Maizière am Donnerstag. Eine Fluchtbewegung von Oppositionellen gibt es zwar noch nicht, das kann sich aber ändern.
Quelle: dpa
Jeder, der sich politisch verfolgt fühlt, kann Asyl in Deutschland beantragen. Die Zahl der asylsuchenden Türken war bisher relativ gering. Im ersten Quartal 2016 gingen bei den Behörden gerade mal 456 Anträge ein. Das ist Platz 20 in der Rangliste der Herkunftsländer. Die Anerkennungsquote lag im vergangenen Jahr bei 1,9 Prozent und damit höher als der Durchschnitt aller Länder von 0,7 Prozent.
Das mag sein, generell kann man das aber nicht sagen. Letztlich kommt es auf den Einzelfall an - zum Beispiel ob jemand nachweisen kann, dass Freunde oder Verwandte bereits verhaftet worden sind. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl geht davon aus, dass die Behörden in Deutschland angesichts der unübersichtlichen Lage in der Türkei Entscheidungen über Asylanträge von dort zunächst zurückstellen. Das werde bei Putschversuchen oder gerade ausbrechenden Bürgerkriegen meistens so gemacht, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl.
Die Türkei hat sich dazu verpflichtet, Flüchtlinge zurückzunehmen, die versuchen, über die Ägäis nach Griechenland zu kommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht davon aus, dass die Vereinbarungen von den Ereignissen in der Türkei nicht berührt werden. Grundlage des Abkommens bleibe, „dass wir Sicherheiten haben für die Menschen, die von Griechenland zurückgeschickt werden in die Türkei“, sagte sie am Mittwochabend. „Ich habe bis jetzt keinerlei Anzeichen, dass die Türkei an dieser Stelle nicht zu den Verpflichtungen steht.“ Die Entwicklung werde aber sehr intensiv beobachtet.
Das wird nicht in Zweifel gezogen. Die Türkei ist 1952 der Nato beigetreten und damit noch vor der Bundesrepublik Deutschland. Alle drei Militärputsche in der Türkei - 1960, 1971 und 1980 - hatten keinen Einfluss auf die Nato-Mitgliedschaft. Aus Nato-Sicht ist entscheidend, dass die Türkei ihre Verpflichtungen im Verteidigungsbündnis erfüllt. Das ist bisher der Fall. Allerdings versteht sich die Nato auch als politisches Bündnis. Deswegen können auch ihr Verstöße gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit nicht egal sein.
Bisher macht die Bundesregierung keinerlei Anstalten, die 240 auf der Luftwaffenbasis Incirlik stationierten deutschen Soldaten abzuziehen. Sie sind mit „Tornado“-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug an den Angriffen auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligt. Die Soldaten bekommen von der Lage im Land nur wenig mit, verlassen ihren Stützpunkt nur selten zu dienstlichen Zwecken. Die Zusammenarbeit mit der Türkei im Kampf gegen den IS funktioniert und wird bisher auch nicht in Frage gestellt.
Die EU hat eine rote Linie gezogen: Wird die Todesstrafe wieder eingeführt, ist für die Türkei kein Platz in der Europäischen Union. Aber auch unabhängig davon ist ein Beitritt derzeit unrealistischer denn je. Zu weit ist die Türkei von den Standards entfernt, die von der EU beim Thema Rechtsstaatlichkeit verlangt werden.
Das Grundgesetz sah ursprünglich keinen Ausnahmezustand oder Notstand vor. 1968 setzte die damalige große Koalition mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit gegen den erbitterten Widerstand der selbsternannten außerparlamentarischen Opposition (APO) 28 Grundgesetzänderungen durch, die so genannten Notstandsgesetze. Danach dürfen bei einer existenziellen Bedrohung des Bundes oder eines Landes oder bei einer Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung per Gesetz - also nur mit Zustimmung des Bundestages - die Freizügigkeit sowie das Brief- und Fernmeldegeheimnis eingeschränkt werden. Zudem darf die Bundeswehr im Inneren unter bestimmten Bedingungen eingesetzt werden.
Warum das alles? Zwischen Berlin und Ankara ist die Stimmung schlecht. In der Flüchtlingspolitik entfernen sich die Partner zunehmend voneinander. Außerdem gestattet die Türkei deutschen Bundestagsabgeordneten nicht, Bundeswehrsoldaten auf dem Stützpunkt in Incirlik im Süden der Türkei zu besuchen. Um die Lage mit Ankara zu beruhigen, kommt sie Erdogan nun entgegen. Das mag realpolitisch nachvollziehbar sein, doch dieser Schritt war einer zu viel.