Debatte "Konsumverweigerung bringt uns nicht weiter"

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Wann driftet die politische Lenkung ins Totalitäre?

Schmutziges Wachstum
Brasilien Quelle: dpa
Platz 12: ChinaVeränderung CO2-Ausstoß (zum Vorjahr): +10,4% Zuwachs Bruttoinlandsprodukt: +10,3% Quelle: dpa
Platz 11: IndienVeränderung CO2-Ausstoß (zum Vorjahr): +9,1% Zuwachs Bruttoinlandsprodukt: +9,7% Quelle: dapd
Südkorea Quelle: AP
Japan Quelle: AP
Russland
USA Quelle: Reuters

In einer aktuellen Studie argumentiert der Club of Rome, die westlichen Demokratien seien in der Umweltpolitik unfähig zu weitreichenden Entscheidungen. Autor Jorgen Randers rät, sich am "effizienten" Regierungsstil Chinas zu orientieren. Wollen Sie eine Ökodiktatur?

Von Weizsäcker: Nein. Einen klaren Ordnungs- und Preisrahmen zu setzen ist das Gegenteil von Diktatur. Der Rahmen muss diejenigen begünstigen, die klima- und umweltverträglich produzieren und konsumieren. Dann ist auch Wachstum kein Problem mehr. Autoritäre Formen der Umweltpolitik sind nur im Ausnahmefall richtig.

Paqué: Hier sind wir an einem fundamentalen Punkt der Debatte zwischen Wachstumsbefürwortern und -kritikern. Es geht um die Frage, wann politische Lenkung ins Totalitäre abdriftet. Da rate ich zu größter Sensibilität, die ich bei manchen Wachstumskritikern vermisse. Wenn der Staat zum Beispiel bestimmte Produkte immer weiter künstlich verteuert, schafft er irgendwann einen Prohibitivpreis, der Geringverdiener vom Konsum ausschließt. Wenn man das, was Sie wollen, konsequent zu Ende denkt, läuft alles auf eine enorme Freiheitsbeschränkung hinaus. Mit Marktwirtschaft und dem Lebensglück breiter Bevölkerungsschichten hat das nichts mehr zu tun.

Von Weizsäcker: Freiheitsbeschränkungen entstehen auch durch gefährliche Naturzerstörung. Nach Ihrer Logik wäre jedes Gesetz eine Art von Freiheitsberaubung. Ich sage nicht, dass der Staat den Ingenieuren in den Unternehmen vorschreiben soll, wie sie ihre Arbeit zu machen haben. Aber er kann Vorgaben machen, welche Anforderungen die Produkte erfüllen müssen.

Wie stark Europas Volkswirtschaften geschrumpft sind
Portugal: Für die portugiesische Wirtschaft sieht es besonders düster aus. Im vierten Quartal ist sie das fünfte Mal in Folge geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank um 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Volkswirte hatten sogar einen noch stärkeren Rückgang um 1,5 Prozent erwartet. Portugal erhält derzeit Hilfe aus dem europäischen Rettungsfonds EFSF. Das Krisenland hat weitreichende Spar- und Reformmaßnahmen durchgeführt, die laut Volkswirten zunächst das Wirtschaftswachstum belasten. Für 2012 sind die EU-Kommission eine Verschlechterung der Situation. Sie rechnet mit einem Wachstumsrückgang von 3,3 Prozent. Quelle: dpa
Italien: Auch Italien ist laut Regierungskreisen zum Jahresende in eine Rezession gerutscht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging im vierten Quartal um 0,7 Prozent zurück. Italien konnte sich zuletzt etwas aus dem Klammergriff der Schuldenkrise befreien und unter der neuen Technokratenregierung von Ministerpräsident Mario Monti wieder Vertrauen an den Finanzmärkten zurückgewinnen. Für 2012 erwartet die EU-Kommission einen Rückgang von 1,3 Prozent. Quelle: dpa
Deutschland: Auch die deutsche Wirtschaft hat zum Ende des vergangenen Jahres einen kleinen Dämpfer erhalten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging im vierten Quartal 2011 um 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zurück, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte. Bei einer ersten Schätzung Ende Januar waren die Statistiker von einem Rückgang um etwa ein Viertel Prozent ausgegangen. Positive Impulse für die Wirtschaft kamen im viertel Quartal von den Investitionen: Vor allem Bauinvestitionen waren deutlich höher als im dritten Quartal 2011. Der Außenhandel hatte hingegen zum Jahresende einen negativen Effekt auf die deutsche Wirtschaft. Auch die Ausgaben der Verbraucher waren im Vergleich zum Vorquartal leicht rückläufig, wie die Statistikbehörde mitteilte. Für 2012 sieht die EU-Kommission ein Wachstum von 0,6 Prozent. Quelle: dpa
Belgien:Die belgische Wirtschaft ist 2011 bereits in zwei aufeinander folgenden Quartalen geschrumpft. Das BIP im dritten Quartal fiel um 0,1 Prozent und im letzten Quartal um 0,2 Prozent, wie die Belgische Nationalbank in Brüssel mitteilte. Insgesamt sei die Wirtschaft 2011 aber dank der ersten Jahreshälfte um 1,9 Prozent gewachsen. Quelle: AP
Spanien:Die spanische Wirtschaft ist im letzten Quartal 2011 um 0,3 Prozent geschrumpft . Das Nationale Statistik-Institut (INE) führte den Abschwung vor allem auf einen Einbruch der Inlandsnachfrage zurück, der durch das Wachstum der Exportwirtschaft nicht ausgeglichen werden konnte. Im dritten Quartal 2011 war die spanische Wirtschaft im Quartalsvergleich stagniert. 2012 erwartet die EU-Kommission einen Wirtschaftsrückgang von einem Prozent. Quelle: Reuters
Großbritannien:Großbritanniens Wirtschaft ist im vierten Quartal 2011 etwas stärker als erwartet geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiel im Vergleich zum Vorquartal um 0,2 Prozent. Grund seien unter anderem Rückgänge bei der Strom- und Gasproduktion, weil die Menschen wegen der warmen Witterung die Heizung ausgeschaltet hätten. Auch im Produktionssektor und beim Konsum gab es leichte Einbußen, teilte die Nationale Statistikbehörde mit. Am Dienstagabend hatte der Chef der Bank of England, Mervyn King, gewarnt, die britische Wirtschaft stehe vor einem „beschwerlichen, langen und unebenen“ Erholungsweg. Im dritten Quartal war die britische Wirtschaft noch um 0,6 Prozent zum Vorquartal gewachsen. Quelle: Reuters
Frankreich: Eine rühmliche Ausnahme gab es unter den großen EU-Ländern. Die französische Wirtschaft wuchs zwischen Oktober und Dezember überraschend um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Volkswirte hatten zuvor einen Rückgang um 0,2 Prozent erwartet. Quelle: dpa

Wachstumsskeptiker wie der britische Ökonom Tim Jackson propagieren einen Wohlstand ohne Wachstum, der vor allem durch Konsumverzicht erreicht werden soll. Jackson sieht eine "potenziell zerstörerische Kraft in der unerbittlichen Jagd der Verbraucher nach Neuem". Brauchen wir eine Kultur des Konsumverzichts?

Von Weizsäcker: Ich bin froh, dass es Vordenker wie Tim Jackson gibt. Aber in diesem Punkt teile ich seine Meinung nicht. Eine generelle Konsumverweigerung bringt uns nicht weiter. Verzicht kann gleichwohl positive Wirkungen haben. Ich selbst etwa lebe in einem energieautarken Passivhaus - und kann auf eine Heizung verzichten.

Paqué: Es gibt keinen nachhaltigen Wohlstand ohne Wachstum, das zeigt die Wirtschaftsgeschichte. Wer keine marktfähigen Ideen mehr hat, fällt im globalen Wettbewerb zurück - und verarmt. Was ist an einer ideenlosen Welt wünschenswert? Unsere globalen Probleme lassen sich eben nicht durch Verzicht lösen - sondern allein durch technischen Fortschritt.

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