Demo Pegida - das Aufbegehren der Mitte

In Dresden begehren Montag für Montag Menschen auf, die sich mehrheitlich zur Mitte der Gesellschaft zählen. Die Politik hat sie in den vergangenen Jahren vergessen – mit schwerwiegenden Folgen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Teilnehmer einer Demonstration der Pegida marschieren zu einer Abschlusskundgebung in Dresden. Quelle: dpa

Auf den Platz vor der Semperoper hatte die Pegida am Montagabend zum Singen von Weihnachtsliedern eingeladen. 17.500 Menschen - 2500 mehr als in der vergangenen Woche - stimmten „O du fröhliche“ an und beschworen im Chor eine „gnadenbringende Weihnachtszeit“. Blanker Hohn für Kritiker der Protestbewegung, die sich gegen die angebliche Überfremdung durch Flüchtlinge richtet und auch Mitglieder des extrem rechten Milieus anzieht. Für viele Pegida-Demonstranten sind die Weihnachtslieder hingegen Zeichen jener „christlichen Werte“, die es gegen eine mutmaßlich drohende Islamisierung zu verteidigen gilt.

Gewaltfrei und vereint gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden: Seit Oktober versammeln sich Familien, Rentner, junge Männer und Frauen in Dresden und anderen Städten, um dort mit solchen und ähnlichen Parolen unter der Fahne der Bewegung "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", kurz Pegida, zu demonstrieren. Mehr als 15.000 Menschen waren es vergangene Woche in Dresden. Auch in Düsseldorf, Leipzig und Frankfurt gab es Proteste.

Die Menschen, die dort demonstrieren, sehen sich selbst als Mitte der Gesellschaft an. „Sie würden sich nie selbst als rechtsextrem bezeichnen“, sagt Oliver Decker, Rechtsextremismus-Forscher an der Universität Leipzig und Mitautor der ‚Mitte-Studie‘. „Sie haben aber extrem rechte Gedanken.“ Die Teilnehmer der Pegida-Demos stammen überwiegend aus einem kleinbürgerlichen Milieu, das normalerweise eher Ruhe und Ordnung präferiere, sagt Decker. Vor etwas Fremdem müsse man sich schützen, so ihre Meinung.

Ähnlich sieht das auch der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach mit seinem Versuch, die Bewegung zu erklären: „Viele Menschen in Ost- und Westdeutschland haben Angst, dass sie mit bestimmten Veränderungen, die unser Land erfährt, nicht klar kommen werden und ihre Routine und Sicherheit verlieren“, glaubt er. „Das führt fast automatisch zu einer Irritation.“ Und diese ist nicht mehr so einfach wegzureden.

17.500 Menschen bei Pegida-Demo

Im Oktober mit 350 Menschen angefangen, ist die Bewegung allein in Dresden und Umland mittlerweile auf über 17.500 angewachsen. Trotzdem ist noch nicht ganz klar, wie die soziale Zusammensetzung der Bewegung eigentlich aussieht, sagt der Heidelberger Politikwissenschaftler Manfred G. Schmidt: „Was man bisher beobachten kann, ist eine sehr heterogene Anhängerschaft.“ Sie bestehe nicht nur aus Rechtspopulisten und Neonazis, sondern auch aus Personen, die unzufrieden mit der Einwanderungspolitik in Deutschland seien.

Vor diesen Problemen stehen die Zuwanderer
Teilnehmer eines Kurses "Deutsch als Fremdsprache" Quelle: dpa
Eine Asylbewerberin wartet in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Berlin Quelle: dpa
Eine Frau sitzt in einem Flüchtlingsheim in einem Zimmer Quelle: dpa
Ein Flüchtling sitzt vor einer Gemeinschaftsunterkunft der Asylbewerber Quelle: dpa
Verschiedene Lebensmittel liegen in der Asylunterkunft in Böbrach (Bayern) in Körben Quelle: dpa

Die Sympathien der Menschen für „Pegida“ sind im Westen ähnlich verteilt wie im Osten. In einer YouGov-Umfrage sagten 36 Prozent der im Osten Befragten, sie fänden es gut, dass jemand auf Fehler in der Asylpolitik aufmerksam mache und sich gegen Islamismus ausspreche; im Westen waren es 33 Prozent. Der Unterschied: Im Osten wird „Pegida“ stärker in der politischen Mitte verortet.

Ausländer in Deutschland

Der Bielefelder Sozialpsychologe Andreas Zick sieht die Anti-Islam-Bewegung als Anzeichen für ein stärkeres Auseinanderdriften der alten und neuen Bundesländer. Die Menschen im Osten Deutschlands hätten einen drastischen gesellschaftlichen Wandel hautnah erlebt, sagte Zick im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Die DDR selbst habe sich nie als multikulturell verstanden. Im Westen dagegen habe man dieses Selbstverständnis langsam und mühsam entwickelt. „Und gegen diese Idee, dass eine vielfältige Gesellschaft zu uns gehört, wendet sich die Bewegung ja am allermeisten.“

Politik ignoriert den Konflikt

Die Köpfe hinter Pegida nutzen die Angst vor dem Islamismus und einem islamistischen Terror, um Stimmung gegen Flüchtlinge und Ausländer zu machen. Ihnen kommt zugute, dass die gefühlte Wahrheit die Statistiken der Behörden schlägt.

Ein Beispiel: Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge kamen im Jahr 2014 etwa 200.000 Asylbewerber nach Deutschland. Das sind 0,4 Prozent der 51,2 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind. Der Ausländeranteil in Deutschland lag im Jahr 2012 mit 13 Prozent nur leicht über dem Durchschnitt aller OECD-Staaten (12,3 Prozent). Trotzdem ist die Angst vor der Überfremdung hierzulande besonders groß.

Es stimmt, dass Deutschland ein gefragtes Zuwanderungsland ist und auch der Anteil von Menschen mit ausländischen Wurzeln zunimmt. Es ist allerdings auch so, dass die Zahl der Asylbewerber schon seit Jahren zunimmt und in Deutschland lebende Ausländer deutlich mehr Steuern zahlen, als sie Sozialleistungen vom Staat beziehen. 2012 brachten sie den Sozialkassen einen Überschuss von 22 Milliarden Euro ein, besagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Konflikt zwischen Einheimischen und Ausländern

Das Thema Einwanderung berührt laut Schmidt aber einen der großen Konflikte in der deutschen Gesellschaft: den Konflikt zwischen Einheimischen und Ausländern. „Dieser Konflikt bleibt normalerweise latent. Deshalb ignoriert ihn die Politik gerne. Starke Einwanderungsschübe machen allerdings aus dem versteckten Konflikt einen offenen“, sagt Schmidt.

Eine Einwanderungspolitik, die aber weiterhin liberal bleiben will, müsse aber viel mehr tun – mit mehr Personal, mehr Ausbildung für Einwanderer und Flüchtlinge und mehr Sicherheitskräften zur Kriminalitätsbekämpfung. „Die zwei Milliarden Euro, die der Bund jetzt großzügig zur Verfügung gestellt hat, sind ein Witz“, sagt der Heidelberger Politikwissenschaftler. Dies sieht auch Donsbach so: „Ich habe das Gefühl, dass man versucht hat, das Thema Zuwanderung unter dem Radar zu halten. Es geht eben nicht, dass wir Flüchtlingen zwar helfen wollen, sie aber gleichzeitig nicht auffallen und unser Stadtbild verändern sollen“, sagt Donsbach.

Aber die Zuwanderungspolitik ist nicht der einzige Grund für das Erstarken von Bewegungen wie der Pegida, die eher am rechten Rand zu verorten sind – und die sich in fast allen europäischen Ländern finden lassen: Es sei an die brennenden Autos in den französischen Banlieues erinnert, oder an das Erstarken der rechtspopulistischen Parteien in den Niederlanden, der Schweiz oder in Frankreich.

Europaskepsis und Islamfeindlichkeit

Vielen dieser Bewegungen ist eine bunte Mischung aus Europaskepsis und Islamfeindlichkeit gemein, verbunden mit einem extremen Zulauf an Sympathisanten. Ihre politischen Ziele reichen vom Wunsch nach "Ordnung", "Autorität" und "Identität" über die Agitation gegen Minderheiten wie Asylsuchende, Muslime, Sinti und Roma.

Das wird auch in der aktuellen Mitte-Studie der Universität Leipzig deutlich: Im Jahr 2014 geben sich 20 Prozent der Deutschen als ausländerfeindlich zu erkennen, doch erfahren Asylsuchende, Muslime sowie Sinti und Roma eine weit höhere Stigmatisierung, schreiben die Autoren der Studie.

„In Zeiten einer Großen Koalition ist die parlamentarische Opposition schwach, ja: kraftlos. Das schafft Anlässe und Spielraum für eine außerparlamentarische Opposition“, sagt Schmidt. Nun bringt Pegida auch Menschen auf die Straße, die ihre allgemeine Verdrossenheit mit der Politik und mit den Medien zum Ausdruck bringen wollen. Das gab es auch schon in der Vergangenheit, allerdings erschrecke das Ausmaß nun selbst Politiker und Experten.

Ob Pegida mit seiner Strategie erfolgreich ist, will Schmidt nicht bewerten. „Ich würde das vorsichtiger formulieren und sagen, dass sie trotz ihres jungen Alters überraschend viel Resonanz findet: bei den Medien, bei den Parteien und bei Nachahmern in anderen Städten. Besonders aufgeregt reagieren die im Bundestag vertretenen Parteien, weil sie befürchten, Wähler-Stimmen zu verlieren, sagt Schmidt.

„In der Regel haben Bewegungen wie Pegida aber keine lange Überlebensdauer, es sei denn, sie hätten zweierlei auf ihrer Seite: vorzeigbare, mediengewandte politische Führungsfiguren und Medien, die dauerhaft und sympathisierend über sie berichten.“

Mit Material von dpa

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%