Demo Pegida - das Aufbegehren der Mitte

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Politik ignoriert den Konflikt

Die Köpfe hinter Pegida nutzen die Angst vor dem Islamismus und einem islamistischen Terror, um Stimmung gegen Flüchtlinge und Ausländer zu machen. Ihnen kommt zugute, dass die gefühlte Wahrheit die Statistiken der Behörden schlägt.

Ein Beispiel: Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge kamen im Jahr 2014 etwa 200.000 Asylbewerber nach Deutschland. Das sind 0,4 Prozent der 51,2 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind. Der Ausländeranteil in Deutschland lag im Jahr 2012 mit 13 Prozent nur leicht über dem Durchschnitt aller OECD-Staaten (12,3 Prozent). Trotzdem ist die Angst vor der Überfremdung hierzulande besonders groß.

Es stimmt, dass Deutschland ein gefragtes Zuwanderungsland ist und auch der Anteil von Menschen mit ausländischen Wurzeln zunimmt. Es ist allerdings auch so, dass die Zahl der Asylbewerber schon seit Jahren zunimmt und in Deutschland lebende Ausländer deutlich mehr Steuern zahlen, als sie Sozialleistungen vom Staat beziehen. 2012 brachten sie den Sozialkassen einen Überschuss von 22 Milliarden Euro ein, besagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Konflikt zwischen Einheimischen und Ausländern

Das Thema Einwanderung berührt laut Schmidt aber einen der großen Konflikte in der deutschen Gesellschaft: den Konflikt zwischen Einheimischen und Ausländern. „Dieser Konflikt bleibt normalerweise latent. Deshalb ignoriert ihn die Politik gerne. Starke Einwanderungsschübe machen allerdings aus dem versteckten Konflikt einen offenen“, sagt Schmidt.

Eine Einwanderungspolitik, die aber weiterhin liberal bleiben will, müsse aber viel mehr tun – mit mehr Personal, mehr Ausbildung für Einwanderer und Flüchtlinge und mehr Sicherheitskräften zur Kriminalitätsbekämpfung. „Die zwei Milliarden Euro, die der Bund jetzt großzügig zur Verfügung gestellt hat, sind ein Witz“, sagt der Heidelberger Politikwissenschaftler. Dies sieht auch Donsbach so: „Ich habe das Gefühl, dass man versucht hat, das Thema Zuwanderung unter dem Radar zu halten. Es geht eben nicht, dass wir Flüchtlingen zwar helfen wollen, sie aber gleichzeitig nicht auffallen und unser Stadtbild verändern sollen“, sagt Donsbach.

Aber die Zuwanderungspolitik ist nicht der einzige Grund für das Erstarken von Bewegungen wie der Pegida, die eher am rechten Rand zu verorten sind – und die sich in fast allen europäischen Ländern finden lassen: Es sei an die brennenden Autos in den französischen Banlieues erinnert, oder an das Erstarken der rechtspopulistischen Parteien in den Niederlanden, der Schweiz oder in Frankreich.

Europaskepsis und Islamfeindlichkeit

Vielen dieser Bewegungen ist eine bunte Mischung aus Europaskepsis und Islamfeindlichkeit gemein, verbunden mit einem extremen Zulauf an Sympathisanten. Ihre politischen Ziele reichen vom Wunsch nach "Ordnung", "Autorität" und "Identität" über die Agitation gegen Minderheiten wie Asylsuchende, Muslime, Sinti und Roma.

Das wird auch in der aktuellen Mitte-Studie der Universität Leipzig deutlich: Im Jahr 2014 geben sich 20 Prozent der Deutschen als ausländerfeindlich zu erkennen, doch erfahren Asylsuchende, Muslime sowie Sinti und Roma eine weit höhere Stigmatisierung, schreiben die Autoren der Studie.

„In Zeiten einer Großen Koalition ist die parlamentarische Opposition schwach, ja: kraftlos. Das schafft Anlässe und Spielraum für eine außerparlamentarische Opposition“, sagt Schmidt. Nun bringt Pegida auch Menschen auf die Straße, die ihre allgemeine Verdrossenheit mit der Politik und mit den Medien zum Ausdruck bringen wollen. Das gab es auch schon in der Vergangenheit, allerdings erschrecke das Ausmaß nun selbst Politiker und Experten.

Ob Pegida mit seiner Strategie erfolgreich ist, will Schmidt nicht bewerten. „Ich würde das vorsichtiger formulieren und sagen, dass sie trotz ihres jungen Alters überraschend viel Resonanz findet: bei den Medien, bei den Parteien und bei Nachahmern in anderen Städten. Besonders aufgeregt reagieren die im Bundestag vertretenen Parteien, weil sie befürchten, Wähler-Stimmen zu verlieren, sagt Schmidt.

„In der Regel haben Bewegungen wie Pegida aber keine lange Überlebensdauer, es sei denn, sie hätten zweierlei auf ihrer Seite: vorzeigbare, mediengewandte politische Führungsfiguren und Medien, die dauerhaft und sympathisierend über sie berichten.“

Mit Material von dpa

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