Demografie Die Jungen halten still

Die Politik umgarnt mit höheren Renten die Alten. Die Zeche soll die nächste Generation zahlen. Widerstand gibt es kaum: Gegen die zahlenmäßige Übermacht der Senioren haben die Jungen keine Chance.

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Der Sozialexperte - Jens Spahn, 32, ist der einflussreichste CDU-Youngster in Berlin. Zum Praktikum erschien er inkognito in diesem Pflegeheim. Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche, dpa

Das Papier ist schon reichlich vergilbt, die Buchstaben erinnern an Sütterlin. Der Handschrift nach zu urteilen, muss es sich um eine etwas reifere Wählerin handeln. „Herr Spahn!“, hat sie auf einen Briefbogen gekritzelt. Mit Ausrufezeichen, ohne überflüssige Höflichkeiten. „Schicke Ihnen hier meine Rentenerhöhung. Sicher reicht es für eine Tasse Kaffee!“ An das Blatt geheftet ist ein Fünf-Euro-Schein. Der Brief datiert aus dem Jahr vor der letzten Bundestagswahl und hängt noch immer über dem Schreibtisch von Jens Spahn. Spätestens seit dieser Zeit weiß der CDU-Politiker, dass Wut keine freundliche Anrede kennt. Und dass man sich als Anwalt der Jungen sehr schnell sehr viele Feinde machen kann.

Damals hatte die große Koalition eine außerplanmäßige Rentenerhöhung versprochen – und Spahn hatte es gewagt, laut zu protestieren. Die junge Generation wisse nicht mehr, worauf sie sich verlassen könne, hatte er gesagt, und das war noch reichlich vorsichtig formuliert. Gehör fand er nicht, Union und SPD beglückten die Rentner am Ende trotzdem. Doch dem ganz normalen Zeitungsleser wurde Spahn bekannt, weil ihn der Vizechef der Senioren-Union, ein rüstiger Ruheständler namens Leonhard Kuckart, „ungespitzt in den Boden rammen wollte“.

Zuschussrente zu Lasten der Jungen

Nun ist Spahn 32 Jahre alt, die nächste Bundestagswahl steht bevor, und er hat wieder Gelegenheit, sich ein paar graumelierte Feinde zu machen. Dieses Mal will der gelernte Bankkaufmann die Rentenpläne der Sozialministerin (CDU) stoppen. Mit 13 anderen Abgeordneten aus Union und FDP hat er ein Papier verfasst, das Ursula von der Leyens Zuschussrente als ungerecht bezeichnet – weil sie „einseitig die jüngeren Beitragszahler belastet“. Es ist ein zarter Hinweis auf ein Ziel, von dem lange niemand mehr gesprochen hat: die Generationengerechtigkeit. Keiner der Unterzeichner ist älter als 40.

Übersicht zum Alter der Wahlberechtigen und -beteiligten bei der Bundestagswahl 2009 (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

2013 wird gewählt, und wieder gibt es einiges zu verteilen. Ursula von der Leyen hat die Altersarmut zum drängendsten Thema erkoren – dabei ist derzeit keine Gruppe weniger auf Hilfe vom Sozialamt angewiesen als die Senioren. Sie will magere Altersrenten aufstocken, selbst wenn ihr Modell am Ende nicht mehr Zuschussrente heißt. Und dabei allein soll es nicht bleiben: Auch wer Angehörige pflegt, könnte eine höhere Altersversorgung bekommen. Die Frauenunion drängt, außerdem die Renten aller Mütter zu erhöhen, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben. Anderenfalls will sie dem Betreuungsgeld nicht zustimmen, das außer der CSU ohnehin niemand in Berlin will. Am 4. November werden CDU, CSU und FDP im Koalitionsausschuss über ihr schwarz-gelbes Wohlfühlpaket beraten.

Nach Schätzungen summieren sich die Kosten auf einen zweistelligen Milliardenbetrag jährlich. Irgendwer wird schon dafür aufkommen. Irgendwann. Ihre Präsente finanziert die Regierung auf Pump. Mögen die Steuerschätzer in dieser Woche auch ein Allzeithoch bei den Haushaltseinnahmen verkünden – neue Schulden plant Schwarz-Gelb auch im Wahljahr.

Störe meine Greise nicht

Dabei liegt die Staatsverschuldung schon jetzt bei über zwei Billionen Euro und wächst pro Sekunde um weitere 1335 Euro. Bereits heute fließt mehr als ein Drittel des Bundeshaushaltes nicht in Zukunftsinvestitionen, sondern geht für Zinsen und Rentenzuschüsse drauf. Dabei haben die Jungen längst das Gefühl, dass sie auf sichere Renten und eine gute Infrastruktur selbst nicht mehr hoffen dürfen. Die Politik wendet sich lieber den Alten zu, auch aus eigenem Interesse: Schon heute ist jeder dritte Wähler älter als 60. Bis 2050 wird sich ihr Anteil noch verdoppeln. Und anders als die Jungen pilgern die Senioren auch treu ins Wahllokal. Das Motto des Wahlkampfes lautet daher: Störe meine Greise nicht. Schon gar nicht mit Debatten über hohe Schulden oder die Finanzierung sozialpolitischer Mildtaten.

Die Schuldenkrise trifft vor allem die Jungen

Welche Auswirkung die Inflation auf die Rentenlücke hat
Eine Hand hält Geldscheine und einen Kassenbon über einer Einkaufskiste mit Lebensmitteln Quelle: dpa
Eine Hand nimmt am 22.01.2010 eine Euro-Münze aus einem Geldbeutel Quelle: dpa
Eine Kundin bezahlt an der Kasse in einem Supermarkt in Karlsruhe ihren Einkauf Quelle: dapd
Ein Rentner demonstriert und hält dabei eine Weste in den Händen, auf der "Rente muss zum Leben reichen" zu lesen ist. Quelle: dpa
Hinter dem Griff seines Gehstocks ist ein Rentner vor einem Computer zu sehen Quelle: dpa/dpaweb
Als Miniaturfiguren sind zwei Senioren am Montag (10.09.2012) in Schwerin auf Euro-Münzen zu sehen Quelle: dpa

Clemens Fuest gehört mit 44 Jahren zur jüngeren Generation der Ökonomen. Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium, bis 2010 war er auch der Vorsitzende. „Das Verteilen von Geschenken zulasten künftiger Generationen war politisch schon immer attraktiv“, sagt er. Vor vier Jahren zog er nach Großbritannien, um in Oxford zu lehren. Wenn er nun mit Distanz auf sein Heimatland blickt, überkommt ihn eine Sorge: „Das Thema Generationengerechtigkeit war vor wenigen Jahren noch sehr präsent. Inzwischen ist es von anderen Themen wie der Finanzkrise überlagert worden.“

In der vergangenen Legislaturperiode starteten junge Abgeordneten aus allen Fraktionen eine Initiative, um die Generationengerechtigkeit im Grundgesetz zu verankern. Wer heute fragt, was daraus geworden ist, erntet Schweigen. Nur ein Treffen hat es gegeben, Spahn hatte dazu eingeladen. „Die Euro-Krise hat vieles verändert. Vor allem lässt sie uns allen weniger Zeit für andere wichtige Themen“, sagt er. Es ist kein Aufstand zu sehen, nirgends.

Dabei kommt es zu einem paradoxen Effekt. Längst ist die überbordende Staatsverschuldung als ein Auslöser der Euro-Krise enttarnt. So verordneten sich mit dem Fiskalpakt alle Euro-Länder eine Schuldenbremse – ein solider Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Die Jungen von 2012 haben trotzdem wenig davon. In Deutschland gilt das Verbot erst ab 2016, im Wahlkampf darf noch geprasst werden.

Die Lasten der alternden Gesellschaft

Für die Jungen wird die Finanzkrise aus ganz anderen Gründen zum Problem. „Wenn die Europäische Zentralbank ihre Geldschleusen öffnet, betreibt sie eine Niedrigzinspolitik mit einer starken Umverteilungswirkung: Sie trifft damit vor allem junge Menschen, die sparen wollen und noch kein Vermögen aufgebaut oder geerbt haben“, erklärt Ökonom Fuest. „Alle, die nicht über Kapital verfügen, haben es umso schwerer.“

Die Rente ist noch weit weg

Komisch ist nur, dass dies bei den Jungen noch nicht ganz angekommen ist. An einem Dienstag im Oktober hat sich bei Jens Spahn eine Besuchergruppe angemeldet. Der CDU-Politiker hat einen Raum im Reichstag reserviert. 40 Stühle reihen sich dort auf, in der Mitte verlieren sich acht schüchterne Mitglieder der Jungen Union. Ausnahmsweise ist Spahn hier der Älteste.

Übersicht zum Verhältnis der Menschen über 65 Jahren zu Menschen im Erwerbsalter (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Er hat viel zu berichten, nicht nur, dass er in dieser Woche seit zehn Jahren im Parlament sitzt. Die Union streitet um die Rente, das Parlament debattiert über Hilfen für Griechenland und irgendwer wird das alles bezahlen müssen. Spahn trägt keine Krawatte, „wir sind hier per Du“, und schließlich will er wissen, ob es Fragen gibt. Die jungen Gäste interessieren sich vor allem für die neuen Wahlplakate, und Spahn fragt, ob denn niemand etwas zur Rente sagen möchte. „ Das ist für mich noch viel zu weit weg“, antwortet Jan Alexander Debowski. Er ist 19 Jahre alt.

Dabei lastet auf der jungen Generation eine große Hypothek. Der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, Chef des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg, hat nachgerechnet. Die offizielle Verschuldung des Staates beträgt 83 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Addiert man aber alle Lasten, die sich in Sozialversicherungen und den Pensionsverpflichtungen des Staates verstecken, summiert sich die Last auf 230 Prozent. Und würde Schwarz-Gelb tatsächlich alle Ankündigungen wahr machen, ohne im Gegenzug zu sparen, stiege die Belastung auf über 250 Prozent. „Wer dafür später zahlen muss, geht ja heute noch nicht zur Wahl“, sagt Raffelhüschen.

Das alternde Parlament

Der Liberale - Johannes Vogel, 30, leitet die Jungen in der FDP-Fraktion. Im Kreisverband daheim ist er einer der Jüngsten – und trotzdem MdB. Quelle: Dominik Asbach für WirtschaftsWoche

Auch das Parlament wandelt sich in eine Opakratie. Lag das Durchschnittsalter der Abgeordneten 1990 noch bei 48,7 Jahren, so ist es inzwischen auf 49,3 geklettert. Vor allem die Sozialdemokraten sehen alt aus. In der Fraktion stieg das Durchschnittsalter von 48,8 auf inzwischen 51,7 Jahre.

Übersicht zum Alter der deutschen Abgeordneten im Bundestag (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Im Bundestag sind die Jungen eine Randgruppe. Die unter 30-Jährigen besetzen nur 1,9 Prozent aller Sitze unter der Reichstagskuppel, die unter 40-Jährigen nur 19,5 Prozent. Auf den Wahllisten stehen sie weit unten. Ein Leben zwischen Praktika und befristeten Jobs, zwischen Umzügen und Auslandsaufenthalten lässt es nicht zu, an jedem zweiten Dienstag bei der Sitzung des heimischen Ortsvereines zu präsidieren. Der Erfolg der Piraten lässt sich auch damit erklären, dass ihr Liquid Feedback die einzige Partizipationsform für den modernen Jobnomaden ist.

Zu Union, SPD, Grünen oder FDP verirrt sich diese Spezies nur selten, die klassische Ochsentour ist mit dem Leben der Jungen nur schwer zu vereinen. „Die typische Parteikarriere beruht noch immer auf dem Wohnortprinzip“, sagt Johannes Vogel. Seit 2009 sitzt der 30-Jährige für die FDP im Bundestag, er pendelt zwischen seinem Wahlkreis Olpe-Märkischer Kreis I und der Hauptstadt. Am vergangenen Dienstag erst haben ihn seine Kreisverbände wieder als Bundestagskandidat aufgestellt.

Ein Erfolg der Jungen

In Berlin ist Vogel Vorsitzender der Jungen Gruppe seiner Fraktion. Alle Liberalen unter 40 treffen sich dienstagmittags im Reichstag. „Die Perspektive der jungen Generation darf in der alternden Demokratie nicht unter die Räder geraten“, sagt Vogel. Dass seine Fraktion sich für einen schon 2014 ausgeglichenen Bundeshaushalt einsetze, sei ein Erfolg der Jungen. Dumm nur, dass der Finanzminister die schwarze Null erst 2016 in den Haushalt schreiben will.

Die Konkurrenz von der Jungen Gruppe der Union tafelt donnerstags in der Parlamentarischen Gesellschaft. So entstanden Konzepte für eine Kapitalrücklage in der Pflegeversicherung oder für eine Demografieabgabe für Kinderlose – und die Initiative zum gemeinsamen Anti-Zuschussrenten-Papier mit der FDP: „Wir haben es im Interesse der jungen Generation geschafft, dieses prominente Projekt zu stoppen und zu überarbeiten“, sagt Spahn.

Die Alternative, die die Jungen vorschlagen: Kleinverdiener, die geriestert und gespart haben, sollen ihre Privatrente bis zu einer Höhe von 100 Euro nicht auf die Grundsicherung im Alter anrechnen müssen. Bei SPD und Grünen haben die Koalitionäre indes gar nicht erst angeklopft, um Unterstützer einzuwerben. Sie hätten eine Abfuhr kassiert. Oft liegen die Jungen im Parlament parteiübergreifend über Kreuz.

Übersicht zum Durchschnittsalter der deutschen Parlamentarier im Parteienvergleich (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Daniela Kolbe ist mit 32 Jahren die jüngste Abgeordnete der SPD. „Erschütternd, oder?“, sagt sie und kann sich ein Grinsen kaum verkneifen. Die Vorschläge der schwarz-gelben Jungen hält sie für unsinnig. „Man kann Geringverdienern doch nicht im Ernst vorschlagen, dass sie riestern sollen, wenn die private Vorsorge derart schlechte Renditen abwirft“, sagt sie. „Ich halte es für sinnvoller, das Rentenniveau nicht so weit abzusenken wie bislang geplant“ – jedenfalls nicht auf 43 Prozent im Jahr 2030. „Wir brauchen ein ambitionierteres Ziel von um die 50 Prozent.“

Im Bundestagswahlkampf verspricht die SPD Linderung für das Alter: Arbeitnehmer sollen nach 45 Versicherungsjahren abschlagsfrei in Rente gehen können, Geringverdiener von 850 Euro Solidarrente profitieren. Was Parteichef Sigmar Gabriel bislang versprochen hat, könnte nach Berechnungen des Sozialministeriums 2030 mehr als 35 Milliarden Euro kosten. Jährlich. Dennoch stützt auch die Parteijugend die Pläne. „Die Jusos agieren da einseitig wie eine Rentnerorganisation“, frotzelt FDP-Politiker Vogel.

Reserven für die Rentenversicherung

Als Anwalt der Jugend jedenfalls tritt in der SPD derzeit nur der 65-jährige Kanzlerkandidat auf. Peer Steinbrück sagt, es sei „nicht so vernünftig“, den Rentenbeitragssatz von 19,6 im nächsten Jahr auf 18,9 Prozent zu senken. Bis 2025 werde die demografische Entwicklung die Zahl der Erwerbstätigen um mehr als sechs Millionen schrumpfen lassen. Irgendwann brauche die Rentenversicherung wieder Reserven. Doch nutzen die wenig, wenn sie im Wahlkampf gleich wieder verteilt werden.

Furor? Welcher Furor?

Auch die Jungen klagen über die Kurzsichtigkeit der Politik. „Abgeordnete sind für vier Jahre gewählt“ sagt Daniela Kolbe. „Nachhaltigkeit bedeutet aber, sich jetzt anzustrengen, um erst in Jahrzehnten zu ernten.“ Um mehr Langfristigkeit will sich die SPD-Politikerin jetzt kümmern. Sie ist Vorsitzende einer Enquetekommission, in der Politiker und Wissenschaftler nach einem nachhaltigen Wohlstandsindikator fahnden: „Wenn wir über einen neuen Wachstumsbegriff reden, geht es immer auch um Generationengerechtigkeit.“

Es geht darum, wie sich Ressourcen bewahren lassen, und darum, wie man Staat und Sozialsysteme organisiert, ohne den Jungen einen Lastenberg zu hinterlassen. Die Kommission will nichts weniger, als die Defizite parlamentarischer Entscheidungen zu verringern. Neulich traf Kolbe CDU-Urgestein Kurt Biedenkopf, der die Generationengerechtigkeit zum Lebensthema gemacht hat: „Ich setze auf die Jungen, damit neues Denken einsetzt“, sagte er.

Gründe für die Frührente
An letzter Stelle stehen die Krankheiten des Kreislaufsystems, also zum Beispiel Herzinfarkte, Schlaganfälle und Durchblutungsstörungen. An ihnen erkrankten im Jahr 2010 18.068 Personen (10,0 Prozent). Interessant: mehr als die Hälfte der Erkrankten sind männlichen Geschlecht - gleich 13.023 Männer. Quelle: dpa
Die Anzahl der Personen, die an früheren Krankheiten wiedererkrankten, liegt dagegen bei 24.036 Personen (13,3 Prozent), die fast gleichmäßig auf Männer und Frauen verteilt sind. Die Veränderung zu 2007 ist marginal - die Zahl stieg um 3,5 Prozent im Vergleich zu 2007. Quelle: Fotolia
Dagegen mussten 26.494 Personen (14,7 Prozent) wegen Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes ihre Arbeit ruhen lassen. Das waren 2,1 Prozent mehr als im Jahr 2007, die an Arthritis, Rückenschmerzen oder Bandscheibenvorfällen leiden mussten. Quelle: Fotolia
Die übrigen Diagnosen, also andere Krankheiten, haben 41.206 Personen (22,8 Prozent) aus dem Beruf geworfen. Auch hier ist die Veränderung zum Jahr 2007 minimal - ein Plus von 2,8 Prozent. Quelle: dpa
Der Hauptgrund für die frühzeitige Pensionierung: Psychische Krankheiten und Verhaltensstörungen. Darunter fallen Erkrankungen wie Depression und Burn-Out. Gleich 70.946 Menschen (39,3 Prozent) mussten deswegen 2010 die Arbeit ruhen lassen. Gegenüber 2007 ist die Zahl dramatisch gestiegen - um satte 31,7 Prozent. Quelle: Fotolia

"Die Ausbeutung der Enkel"

Doch Biedenkopf bringt mit seinen 82 Jahren mehr Furor mit als die meisten 28-Jährigen. In seinem Buch „Die Ausbeutung der Enkel“ warnt er vor der „Greisenrepublik“. Doch von „Ausbeutung“ würde kein junger Politiker sprechen. Zu Hause arbeitet man sich nicht an den Eltern ab, sondern nistet sich mit ihnen in Mehrgenerationen-Häusern ein. Auf den Zusammenhalt lässt kein Junior etwas kommen.

Übersicht zum Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

„Natürlich kenne ich 30-Jährige, die in Panik ausbrechen, weil sie nicht wissen, wie sie für ihr Alter vorsorgen können“, sagt Kolbe. „Das hat aber nichts mit einem Krieg der Generationen zu tun, sondern mit der Finanzkrise.“ Und FDP-Politiker Vogel mahnt: „Wir dürfen uns nicht auf eine Debatte Jung gegen Alt einlassen.“

CDU-Politiker Spahn schätzt den Kontakt zu den Älteren. Im vergangenen Jahr hat er zwei Tage lang inkognito im Pflegeheim Senioren-Domizil am Prenzlauer Berg gearbeitet. Um zu ergründen, wie das in der Praxis ist mit dem bürokratischen Aufwand in der Pflegeversicherung. Und um den Draht zum echten Leben zu halten. „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben einen völlig fremden Menschen rasiert“, sagt Spahn. „Davor habe ich großen Respekt.“ Normalerweise üben Pflegekräfte so etwas erst mit Luftballons.

Die Lobby der Alten

Der Vordenker - Wolfgang Gründinger, 28, ist Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Sein Lieblingscafé ist auch sein Büro. Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche, dpa

„Das Verhältnis zwischen den Generationen war noch nie so gut wie heute“, meint Spahn. „Alle Großeltern würden sofort zustimmen, wenn man sie bitten würde, zugunsten ihres Enkelkindes auf etwas zu verzichten.“ Wenn es indes darum gehe, konkret bei der Rente für die junge Generation insgesamt zurückzustecken, sänken die Zustimmungswerte rasant.

Die Lobby der Alten ist ein monolithischer Block, auch außerhalb des Parlaments. Allein der Sozialverband VdK organisiert über 1,6 Millionen Mitglieder. Das sind mehr Unterstützer, als CDU und SPD zusammen in ihren Listen führen. In Berlin wird der VdK als „Opa-Apo“ gefürchtet. Die Rentengarantie hätte es ohne die Angst vor dem VdK nie gegeben, die Debatte um die Zuschussrente vermutlich auch nicht.

Was reifere Aggressivität bedeutet, das hat auch Wolfgang Gründinger erlebt. Wenn er in Talkshows für die Rechte der Jungen wirbt, überschütten ihn aufgebrachte Senioren mit Mails, er unterstelle dem eigenen Opa, auf Kosten der Enkel zu leben. Und wenn er sagt, die Rente mit 67 sei gar nicht so schlecht, dann schimpfen graumelierte Gewerkschafter, er solle „erst einmal lernen, was Arbeit ist“. Gründinger nimmt es gelassen: „Die älteren Leute werden von der Angst getrieben, die Jüngeren wollten ihnen die Rente wegnehmen“, sagt er. Dabei gehe es nur um Fairness für alle Generationen.

So viel Rente bekommen Sie
DurchschnittsrentenLaut den aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung bezogen Männer Ende 2014 eine Durchschnittsrente von 1013 Euro. Frauen müssen inklusive Hinterbliebenenrente mit durchschnittlich 762 Euro pro Monat auskommen. Quellen: Deutsche Rentenversicherung; dbb, Stand: April 2016 Quelle: dpa
Ost-Berlin mit den höchsten, West-Berlin mit den niedrigsten RentenDie Höhe der Rente schwankt zwischen den Bundesländern. Männer in Ostberlin können sich mit 1147 Euro Euro über die höchste Durchschnittsrente freuen. In Westberlin liegt sie dagegen mit 980 Euro am niedrigsten. Aktuell bekommen männliche Rentner: in Baden-Württemberg durchschnittlich 1107 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 1031 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 980 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1147 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 1078 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 1040 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 1071 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 1084 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 1027 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 1127 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 1115 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 1069 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 1098 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 1061 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 1064 Euro pro Monat Quelle: AP
Frauen mit deutlich weniger RenteFrauen im Ruhestand bekommen gut ein Drittel weniger als Männer. Auch sie bekommen in Ostberlin mit durchschnittlich 1051 Euro die höchsten Bezüge. Am wenigsten bekommen sie mit 696 Euro in Rheinland-Pfalz. Laut Deutscher Rentenversicherungen beziehen Frauen inklusive Hinterbliebenenrente: in Baden-Württemberg durchschnittlich 772 Euro pro Monat in Bayern durchschnittlich 736 Euro pro Monat in Berlin (West) durchschnittlich 861 Euro pro Monat in Berlin (Ost) durchschnittlich 1051 Euro pro Monat in Brandenburg durchschnittlich 975 Euro pro Monat in Bremen durchschnittlich 771 Euro pro Monat in Hamburg durchschnittlich 848 Euro pro Monat in Hessen durchschnittlich 760 Euro pro Monat in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich 950 Euro pro Monat in Niedersachsen durchschnittlich 727 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich 749 Euro pro Monat im Saarland durchschnittlich 699 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 964 Euro pro Monat in Sachsen durchschnittlich 983 Euro pro Monat in Schleswig-Holstein durchschnittlich 744 Euro pro Monat in Thüringen durchschnittlich 968 Euro pro Monat Quelle: dpa
Beamtenpensionen deutlich höherStaatsdienern geht es im Alter deutlich besser. Sie erhalten in Deutschland aktuell eine Pension von durchschnittlich 2730 Euro brutto. Im Vergleich zum Jahr 2000 ist das ein Zuwachs von knapp 27 Prozent. Zwischen den Bundesländern schwankt die Pensionshöhe allerdings. Während 2015 ein hessischer Staatsdiener im Ruhestand im Durchschnitt 3150 Euro ausgezahlt bekam, waren es in Sachsen-Anhalt lediglich 1940 Euro. Im Vergleich zu Bundesbeamten geht es den Landesdienern dennoch gut. Im Durchschnitt kommen sie aktuell auf eine Pension von 2970 Euro. Im Bund sind es nur 2340 Euro. Quelle: dpa
RentenerhöhungIm Vergleich zu den Pensionen stiegen die normalen Renten zwischen 2000 und 2014 deutlich geringer an. Sie wuchsen lediglich um 15,3 Prozent. Quelle: dpa
Reserven der RentenkasseDabei verfügt die deutsche Rentenversicherung über ein sattes Finanzpolster. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung betrug die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage Ende 2014 genau 35 Milliarden Euro. Das sind rund drei Milliarden Euro mehr als ein Jahr zuvor. Rechnerisch reicht das Finanzpolster aus, um fast zwei Monatsausgaben zu bezahlen. Nachfolgend ein Überblick, mit welcher Rente die Deutschen im aktuell im Durchschnitt rechnen können: Quelle: dpa
Abweichungen vom StandardrentnerWer 45 Jahre in den alten Bundesländern gearbeitet hat und dabei den Durchschnittslohn verdiente, bekommt pro Monat 1314 Euro ausgezahlt. Bei 40 Arbeitsjahren verringert sich die monatliche Auszahlung auf 1168 Euro. Wer nur 35 Jahre im Job war, bekommt 1022 Euro. Quelle: Fotolia

Aufstand verschoben

Der 28-Jährige ist Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Dies ist der bekannteste außerparlamentarischen Thinktank in Sachen Generationengerechtigkeit – und doch dürfte auch er vor allem Eingeweihten ein Begriff sein. Die Arbeit ist zäh. Nur eine Halbtagskraft und ein kleines Büro in Stuttgart kann sich die Organisation leisten. In Berlin arbeitet Gründinger meist im Café Kaffe um die Ecke. WLAN gibt es hier umsonst.

Gründinger hat jetzt ein neues Buch geschrieben, ein kluges dazu. Es heißt „Wir Zukunftssucher – wie Deutschland enkeltauglich wird“, und es geht darin auch um die Frage, ob die Jungen überhaupt noch politisch ticken. „Der Geist der Veränderung liegt in der Luft. Die Bereitschaft zum Widerstand wächst“, notiert Gründinger. Die Jugendbewegung sei existent, sie habe sich nur verschoben. Weg von Parteien, hin zu Sozialunternehmern, Protestcamps oder Hip-Hop-Bands. „Der Aufstand der Jungen hat gerade erst begonnen“, lautet Gründingers Fazit.

Erst im September hat er sein Buch in der Hauptstadt präsentiert. Der Veranstalter hatte dazu einen kleinen Saal am Brandenburger Tor bereitgestellt und Dutzende Einladungen verschickt.

Am Ende erschienen genau vier Journalisten. An den Aufstand der Jungen wollte sonst niemand glauben.

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