Demografie Wie der Bevölkerungsrückgang deutsche Städte umformt

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Blick auf die nördliche Quelle: dpa/dpaweb

Wer ein solches Viertel sehen will, sollte nach Halle-Silberhöhe fahren. Hier, im Süden der Stadt, leben mehr als zwei Drittel der Menschen von Hartz IV, und wer kann, zieht weg. Seit der Wiedervereinigung ist die Einwohnerzahl um 60 Prozent gesunken. Die Sozialstruktur in diesem Viertel zu ändern, das sei kaum noch zu schaffen, gesteht Steffen Fliegner, der bei der Stadtverwaltung als „Stadtumbau-Manager“ arbeitet. „Die Mittelschicht ist weg und wohnt in sanierten Innenstädten oder im Häuschen im Grünen.“

Das Einzige, was jetzt noch für die Silberhöhe spricht, ist der Preis. „Wohnen ab 2,99 Euro/m2“ lockt die Hallesche Wohnungsgesellschaft (HWG) auf metergroßen Plakaten und bietet Interessenten zusätzlich einen „Umzugsbonus“ an. Die HWG gibt sich alle Mühe, in dem Komplex, in dem zu DDR-Zeiten die Arbeiter der Chemie-Kombinate Buna und Leuna zusammengepfercht waren, ein einigermaßen erträgliches Umfeld zu schaffen. Sie hat viele Gebäude abgerissen, andere saniert und Grünflächen angelegt. Es gibt neue Wege und Bäume und die Idee, den Plattenbaukomplex mit der nahen Saale-Elster-Aue zu verbinden; dann soll der Ort „Waldstadt Silberhöhe“ heißen.

Doch auch solche gut gemeinten Entwicklungsprojekte dürften wenig daran ändern, dass sich in Deutschlands Städten der Trend zu isolierten Rentner- und Transferempfänger-Quartieren verfestigt. Der Wohnungswirtschaft ist das ökonomisch sogar durchaus willkommen. Senioren sprühen keine Graffitis auf Häuserwände. Und Hartz-IV-Empfänger sind bei vielen Hausbesitzern gern gesehene Kunden, weil es bei ihnen meist keinen Stress mit der Miete gibt – die zahlt (bis zu einer bestimmten Höhe) der Staat. Hinter vorgehaltener Hand sagen Wohnungsmanager offen, dass die „unsanierte Platte eine echte Cashcow sein kann“.

Das Problem wird sich auch deshalb verschärfen, weil finanzielle Mittel für den Stadtumbau fehlen. Bund, Länder und Kommunen haben in den vergangenen acht Jahren rund 3,4 Milliarden Euro in ein Programm „Stadtumbau West und Ost“ gepumpt. Es soll auch bis 2016 verlängert werden, doch angesichts der desaströsen Haushaltslage dürfte der Umfang deutlich sinken. Die Städte seien in einer „doppelten Zange“ gefangen, warnt Difu-Präsident Beckmann. Die Einnahmen sinken, die Sozialausgaben steigen, daher fehlten nun Mittel für die Stadtentwicklung. Das Difu schätzt den Investitionsbedarf bei der Infrastruktur bis 2020 auf knapp 47 Milliarden Euro jährlich.

Auch positive Effekte möglich

Eine Katastrophe ist der demografische Wandel, trotz aller Risiken, gleichwohl nicht. Sinkende Einwohnerzahlen und eine überalternde Gesellschaft haben auch Vorteile. „Die Kriminalität wird stark zurückgehen, ebenso die Zahl der Verkehrsunfälle“, sagt Kommunalexperte Landsberg. Der Wettbewerb um Neubürger führe zudem dazu, „dass sich die Dienstleistungsqualität der Stadtverwaltungen erheblich verbessert“.

Und auch optisch kann Schrumpfen ein Gewinn sein. Viele Kommunen nutzen den Stadtumbau, um Bausünden der Vergangenheit zu schleifen. Beispiel Halle: Hier fallen im Juni zwei Insignien des sozialistischen Wohnungsbaus, zwei 22-Geschosser am zentralen Riebeckplatz. Die Hochhäuser galten zu DDR-Zeiten als eine Art Wahrzeichen (weshalb es eine Bürgerinitiative für ihren Erhalt gibt), die letzten Mieter sind aber schon vor sieben Jahren ausgezogen. 2,2 Millionen Euro kostet der Abriss die Hallesche Wohnungsgesellschaft. Im Bahnhofsviertel hat die HWG zudem eine Reihe von Hinterhöfen und Baracken aufgekauft und abgerissen; dort entsteht ein komplett neues Wohnviertel.

Beispiel Tübingen: Um junge Familien anzulocken, hat die Stadt auf einem alten Kasernengelände einen komplett neuen Stadtteil aufgebaut – mit ansprechender Architektur und ohne Autos (die müssen in Garagen am Siedlungsrand abgestellt werden). Das „Französische Viertel“ ist keine Schlafstadt, hier gibt es auch Läden, Gewerbebetriebe und ein breites Kulturangebot. Nicht wenige Bewohner arbeiten direkt vor der Haustür.

„Viele Städte haben in den vergangenen 50 Jahren noch nie so schön ausgesehen wie heute“, findet GdW-Chef Freitag. „Vielleicht schaffen wir es ja, zu neuer Größe aufzuschrumpfen.“ 

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