Vielleicht schafft es der schwarz-grüne Vorstoß ins Programm der Union für die kommende Bundestagswahl. Es wäre endlich ein Vorschlag, der es lohnte, weiter diskutiert zu werden. Schließlich bleiben gerade noch gut zehn Jahre, bis die ersten Babyboomer dem Berufsleben den Rücken kehren. Spätestens in 15 Jahren wird aus einer ganzen Generation meist gut verdienender Leistungsträger eine riesige Zahl an Leistungsempfängern geworden sein. Die letzte Frist läuft, bis Politik zulasten der älteren Generation nahezu unmöglich werden dürfte. Weil sie dann nichts anderes bedeutete als politischen Selbstmord. Es wird also höchste Zeit für kluge Weichenstellungen.
Die Reformen - Axel Börsch-Supan hätte da ein paar Vorschläge
Um den Mann ans Telefon zu bekommen, muss man flexibel sein. Gerade erst war Axel Börsch-Supan eine Woche in Los Angeles, dann in München, und nun ist er schon wieder zurück in Amerika, diesmal an der Ostküste, in Cambridge an der Harvard University. „Busy day so far“, mailt er schnell sechs Zeitzonen entfernt über den Atlantik, noch etwas Geduld, bitte, er wolle kurz ein paar wichtige Notizen machen. Dann ist er bereit.
Börsch-Supan ist einer der führenden Demografie-Forscher des Landes, international dekoriert und vernetzt. Er hat die Weltbank beraten, mehrere Bundeswirtschaftsminister, die EU-Kommission. Eine besondere Geschichte verbindet ihn mit der deutschen Rentenversicherung. Der Nachhaltigkeitsfaktor der Rentenformel sorgt dafür, dass sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern automatisch auf die Höhe der Altersbezüge niederschlägt. Der Faktor-Erfinder ist: Börsch-Supan.
Der 61-Jährige hat die Rente mit 67 verteidigt und die bisherigen Reformen der regierenden großen Koalition gescholten. Er mischt sich ein, wenn er glaubt, dass Unsinn passiert. Wie er denn die neue Debatte findet, die gerade in Deutschland läuft? „Überflüssig wie ein Kropf“, antwortet Börsch-Supan. „Das deutsche Rentensystem ist stabil, Politiker sollten es endlich einmal in Ruhe lassen.“
Das Renteneintrittsalter, zum Beispiel. Er hätte da einen Vorschlag, wie man der Politik diese bluthochdrucklastige Debatte ein für alle Mal entziehen könnte. Eine Zwei-plus-eins-Regel würde die viel diskutierte Pensionsschwelle mit der Lebenszeit verknüpfen. Einfach gesagt: Wenn die statistische Lebenserwartung in Zukunft um drei Jahre steigt (was etwa alle drei Jahrzehnte der Fall ist), greift ein Ruhestands-Automatismus. Zwei Jahre müsste länger gearbeitet werden, um ein Jahr zusätzliche Rente zu finanzieren. Würde diese Supan-Regel Wirklichkeit, die Rente mit 69 käme. Aber dann wohl frühestens 2055.
Überhaupt müsse man dringend mit einigen populären Lügen aufräumen. „Altersarmut“, sagt Börsch-Supan, „entsteht nicht vorrangig durch ein sinkendes Rentenniveau. Sie entsteht vor allem, wenn nicht lange genug eingezahlt werden konnte.“
„Das Herumdoktern an der allgemeinen Rentenformel muss ein Ende haben“, lautet deshalb eine Forderung Börsch-Supans. Stattdessen sollten die verantwortlichen Politiker sich ganz auf die Problemfälle konzentrieren: „Nötig sind eine bessere Gesundheitsvorsorge, Präventionsoffensiven und Umschulungsangebote gerade für die über 50-Jährigen.“
Das ist seine lange Sicht: Dafür zu sorgen, dass so viele Menschen wie nötig so lange arbeiten können wie nötig. Anders wird es nicht gehen. In den Siebzigerjahren hatte ein 65-jähriger Mann nun einmal noch etwa elf Jahre zu leben. Heute sind dem durchschnittlichen Rentner sechs weitere Jahre geschenkt. Bei den Frauen sind aus 13 Jahren Rente schon mehr als 21 Jahre geworden. Ein wundervoller Sieg der Medizin. Verbunden mit der nüchternen Wahrheit: Das Glück des langen Lebensabends finanziert sich nicht von selbst.
Zur akuten Armutsbekämpfung schlägt Börsch-Supan einen anderen Weg vor: „Man sollte Klein- und Riester-Renten nicht auf die Grundsicherung anrechnen sowie Hinzuverdienste erleichtern.“ Und darüber nachdenken, ob Hartz IV im Alter bei den Sozialämtern beantragt werden muss. Denn das sei ein Gang, den viele Senioren mit kleinen Renten als entwürdigend empfinden. Warum das also nicht ändern?
Gesunder Menschenverstand, pragmatisch denken, meint Börsch-Supan, viel mehr bräuchte es gar nicht. Eigentlich. So weit ist es also gekommen mit der deutschen Rente: dass Selbstverständlichkeiten kleine Sensationen sind.