Demografischer Wandel Boomende Metropolen, sterbende Dörfer

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Der Boom ist spürbar

Dresden - Die kinderreiche Stadt

Wenn eins der Kinder krank ist, startet Christian Werner notfalls um sechs Uhr morgens mit der Arbeit. Dann geht der Mediengestalter früh nach Hause. Oder er arbeitet gleich von dort. Vertrauensarbeitszeit heißt das bei der Dresdener Agentur Sandstein, die Netzauftritte erstellt oder Imagekampagnen erdenkt. Was er für familienfreundlich hält, ist für die drei Chefs eigenes Interesse. Viele der 47 Angestellten haben kleine Kinder. Sandstein versucht, mit flexibler Arbeitszeit, Weiterbildung und Kita-Zuschuss zu punkten. Fachkräfte sind rar, wer viel verdienen will, zieht nach Hamburg oder München.

Diese Städte holen auf
Platz 10: OldenburgIm Dynamikranking zeigt sich, welche Städte sich in den vergangenen fünf Jahren am besten entwickelt haben. Die niedersächsische Stadt Oldenburg gehört dazu. Die Aufklärungsquote der Straftaten veränderte sich um 6,3 Prozentpunkte, Rang 6. Auch bei der Kinderbetreuung hat sich in Oldenburg viel getan. Die Betreuungsquote der U3-Jährigen stieg im Untersuchungszeitraum um 21 Prozentpunkte. Keine andere Stadt kommt auf einen ähnlich guten Wert. Im Durchschnitt konnten die Städte die Quote „nur“ um 11,8 Prozentpunkte steigern. Und: Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Oldenburg veränderte sich zwischen den Jahren 2007 und 2012 um 15,5 Prozent (Bundesdurchcshnitt: 9,8 Prozent). Oldenburg erreicht damit Platz 6. Verschlechtert hat sich hingegen die Produktivität (BIP je Erwerbstätigen). Diese Kennziffer veränderte sich von 2007 bis 2011 um -1,3 Prozent (Rang 56). Insgesamt kommt Oldenburg im Niveauranking (jene Tabelle, die den Ist-Zustand bewertet) auf Rang 33. Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Oldenburgs finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 9: KasselDie documenta-Stadt setzt ihren Aufwärtstrend weiter fort. Nachdem Kassel bereits Platz 1 im Dynamikranking 2011 und Platz 3 im Dynamikranking 2012 belegte, erreicht die Stadt auch in diesem Jahr wieder eine Platzierung in den Top 10. In diesem Jahr fiel positiv auf, dass die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen den Jahren 2007 und 2012 um 16,6 Prozent gesteigert werden konnte (Platz zwei). Im Mittel verzeichneten die Städte „nur“ einen Beschäftigungszuwachs von 9,8 Prozent. Gleichzeitig ging in Kassel der Anteil der ALG-II-Empfänger an der Bevölkerung zurück (3,2 Prozentpunkte, Rang zwei) – und auch die Zahl der Straftaten ging spürbar zurück (-17,6 Prozent, Rang 3). Die guten Nachrichten haben sich deutschlandweit offenbar noch nicht rumgesprochen: Die Zahl der Gästeübernachtungen ging gegen den Trend zurück (-0,3 Prozent, Rang 69). Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Kassels finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 8: BerlinDie Hauptstadt holt auf. Während es im Niveauranking weiterhin nur für einen durchschnittlichen 45. Rang reicht, stimmt wenigstens der Trend. Im Dynamikranking belegt Berlin in diesem Jahr den achten Rang. Durch die positive konjunkturelle Entwicklung in Deutschland war auch die Zahl der überschuldeten Erwachsenen in den deutschen Großstädten im Mittel rückläufig. In Berlin aber  veränderte sich der Anteil überdurchschnittlich gut. Um 2,1 Prozentpunkte ging der Anteil der Schuldner zurück, Platz 10. Auch besser als der Durchschnitt entwickelte sich der Anteil der Beschäftigten mit einem Hochschul- oder Fachhochschulabschluss. Er stieg zwischen 2007 und 2013 in allen Vergleichsstädten um durchschnittlich 3,1 Prozentpunkte. Berlin erreicht einen Wert von 4,7, was Rang 7 bedeutet. Negativ fällt ins Gewicht: Die Aufklärungsquote der Straftaten veränderte sich um -5,7 Prozentpunkte. Im Vergleich der Großstädte bedeutet das Rang 66. Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Berlins finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa
Platz 7: BraunschweigDie Kinderbetreuungsquote der unter 3-Jährigen stieg in Braunschweig im Untersuchungszeitraum um 16,4 Prozentpunkte, das reicht für Rang 7. Die untersuchten Städte verbesserten sich bei der Betreuungsquote insgesamt um 11,8 Prozentpunkte. Auch gut: Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Braunschweig veränderte sich zwischen den Jahren 2007 und 2012 um 16,5 Prozent. Im Mittel verzeichneten die Städte einen Beschäftigungszuwachs von 9,8 Prozent. Braunschweig erreicht damit Platz 3. Dadurch stieg auch die Steuerkraft (Grundsteuer, Gewerbesteuer und die Anteile der Gemeinde an der Einkommen- und Umsatzsteuer) um 122 Euro je Einwohner, was Rang 5 im Deutschland-Vergleich bedeutet. Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Braunschweigs finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa
Platz 6: WürzburgDie bayerische Stadt konnte sich auf gutem Niveau weiter verbessern. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Würzburg veränderte sich zwischen den Jahren 2007 und 2012 um 15,2 Prozent. Im Mittel verzeichneten die Städte einen Beschäftigungszuwachs von 9,8 Prozent. Würzburg erreicht damit Platz 9. Auch immer mehr Frauen gehen einer Tätigkeit nach. Die Frauenbeschäftigungsquote stieg zwischen 2007 und 2012 um 6,0 Prozentpunkte (Rang 6). Und: Die Arbeitsplatzversorgung stieg zwischen 2007 und 2012 in allen Vergleichsstädten im Mittel um 4,1 Prozentpunkte. Würzburg erreicht einen Wert von 7,1, was Rang 2 bedeutet. Allerdings: Während die deutschen Städte im Vergleichszeitraum um durchschnittlich 0,9 Prozent wuchsen, sank die Einwohnerzahl von Würzburg um 1,0 Prozent (Rang 55 im Dynamikranking). Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Würzburgs finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa
Platz 5: LeipzigZwei Mal Flop, drei Mal Top und oft überdurchschnittlich: Leipzig liegt im Dynamikranking 2013 auf Rang fünf – und dass, obwohl die Anzahl der Straftaten gegen den Deutschlandtrend (-3,2 Prozent) um 1,4 Prozent stiegen. Auch die Zahl der Schulabgänger, die ohne Hauptschulabschluss die Schule verlassen, stieg weiter und zwar um 2,7 Prozent (Rang 69). Im Mittel aller Großstädte konnte die Quote um 1,7 Prozent gesenkt werden. Dennoch überwiegen die positiven Meldungen: Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Leipzig veränderte sich zwischen den Jahren 2007 und 2012 um 20,0 Prozent. Keine Stadt in Deutschland hat einen höheren Beschäftigungszuwachs. Die Arbeitslosenquote der Jugendlichen sank zwischen 2008 und 2012 um 4,7 Prozentpunkte (Rang 2) und bei der Arbeitsplatzversorgung legte Leipzig um 5,3 Prozent zu (Rang 2). Dennoch bleibt viel zu tun. Im Niveauranking liegt die Ostmetropole nur auf Rang 50. Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Leipzigs finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa
Platz 4: RegensburgSiebter im Niveauranking, Vierter im Dynamikranking: Regensburg überzeugt in allen Belangen. So stieg die Steuerkraft der Stadt (Grundsteuer, Gewerbesteuer und die Anteile der Gemeinde an der Einkommen- und Umsatzsteuer) um 97 Euro je Einwohner (Rang 7).  Auch die Jobsituation verbesserte sich. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Regensburg veränderte sich zwischen den Jahren 2007 und 2012 um 16,4 Prozent. Im Mittel verzeichneten die Städte einen Beschäftigungszuwachs von 9,8 Prozent. Regensburg erreicht damit Platz 4. Die Arbeitsplatzversorgung stieg im gleichen Zeitraum um 6,3 Prozentpunkte, was Rang 3 bedeutet. Trotz der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gibt es in Regensburg – gegen den Trend – einen Anstieg der überschuldeten Erwachsenen (0,6 Prozentpunkte, Platz 67). Eine detaillierte Auflistung der Stärken und Schwächen Regensburgs finden Sie in unserer Infografik. Quelle: dpa/dpaweb

Sachsens Regierungssitz schrumpfte in den Neunzigerjahren und wächst seither wieder auf jetzt 536.000 Einwohner. 18- bis 24-Jährige ziehen her und bleiben. Das Rathaus meldet, Dresden sei erneut vor München und Frankfurt kinderreichste Großstadt. Firmen wie Stadtvertreter haben jedoch verinnerlicht, dass Wachstum nicht selbstverständlich ist.

Dresden: Christian Werner (38). Der Mediengestalter kam 2007 nach Dresden. Damals war die Suche nach einer Wohnung und Betreuung für Tochter Lorelai, 7, einfach. Bald waren sie mit Sohn Till, 5, zu viert. Zuletzt schrieb Werner Bewerbungen, bevor es mit der neuen Wohnung im Stadtteil Laubegast klappte. Quelle: Christoph Busse für WirtschaftsWoche

Wirtschaftlicher Erfolg und familienfreundliche Politik wirken inzwischen. Anderswo machen Schulen dicht, hier öffnen neue Gymnasien. Bauland wird ausgewiesen, vor allem Vier-Raum-Wohnungen sollen gebaut werden. Flächendeckende Betreuung in Krippen, Kitas und Hort gibt es traditionell. Acht Stunden Betreuung am Tag kosten höchstens 170 Euro im Monat. Die Frage „Kind oder Beruf?“ muss niemand entscheiden.

Der heute 38-jährige Christian Werner kam 2007 mit Frau und Tochter her. „Die Makler rannten noch hinter uns her, als wir eine Drei-Raum-Wohnung suchten“, erinnert er. Eine Tagesmutter für die damals einjährige Lorelai war schnell gefunden.

Heute ist die Lage weniger komfortabel. Die nun vierköpfige Familie ist umgezogen. Die Eltern mussten Bewerbungen an Makler schreiben. Geklappt hat es im idyllischen Stadtteil Laubegast, ein Stück elbaufwärts gelegen in Radeldistanz. Das Auto hat Werner abgeschafft.

Noch ist niemand bei Sandstein gezwungen, wegen hoher Mieten außerhalb der Stadt zu wohnen. Doch der Boom ist spürbar: Immobilien werden teurer, Kita-Plätze knapp. Ähnlich sieht es in Leipzig, Rostock und Potsdam aus. Voriges Jahr, als sich bei Sandstein-Angestellten zeitgleich neun Babys ankündigten, bemühte sich Prokuristin Heike Bojunga in sozialen Netzwerken um Vertretung. Zugleich bezahlte die Agentur die Stadt, damit diese vier Krippenplätze garantierte. „Es herrschte schiere Not bei uns“, so Bojunga. „Jeder, der wollte, sollte so schnell wie möglich zurückkehren.“ Um ihren Mangel an IT-Leuten zu beheben, bildet die Agentur bereits selbst aus.

Nachwuchs strömt weiter in die Stadt. Und bereits früher Zugezogene wie Bojunga merken, dass ihre Umgebung nicht mit ihnen älter wird. Studenten und Twens bevölkern die Abendtreffpunkte. „Wenn ich heute in Neustadt ausgehe“, lacht die aparte 46-Jährige, „fühlt sich das an wie Mutti auf Patrouille.“

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