Demografischer Wandel Welche Zukunft hat die Rente? Kassensturz!

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Politik behandelt Ausnahmen wie Regelfälle

Und was macht die Politik? Verbreitet wahlweise Angst oder falsche Hoffnungen. Tut so, als seien 53-jährige Dachdecker mit chronischem Bandscheibenleiden die Regel, nicht die Ausnahme. Stürzt sich in einen Überbietungswettkampf um die vermeintlich populärste, weil üppigste Rente. Gerne garniert mit der Warnung, die Rentenkasse stünde kurz vor dem Ruin und massenhafte Altersarmut vor der Tür. Dabei gelten gerade einmal drei Prozent der Rentner heute als arm. Widersprüche und Halbwahrheiten, wohin man blickt.

In der Rente ist eben alles anders. Nirgendwo wird mit düsterer Zukunft so sehr die Gegenwart gesteuert. Das ist auch der Grund, warum nun alle das Rentenniveau umkreisen wie einen Fetisch. Obwohl dieses gesetzliche Rentenniveau erst einmal nur eine abschreckende, sozial-mathematische Kennziffer ist: Sie zeigt an, welcher Anteil seines Arbeitseinkommens dem Otto-Normal-Rentner zusteht, wenn er 45 Jahre lang genauso viel verdient und eingezahlt hat wie der Durchschnittsdeutsche. Diese Zahl sinkt dank der komplizierten Mechanik der Rentenformel. Was, wenn Berlin tatsächlich das Versprechen einlösen würde, das wieder umzukehren?

Die Rechnung - Reinhold Schnabel fragt, wer das bezahlen soll

Psychologisieren, nein, ist nun wirklich nicht sein Fach. Reinhold Schnabel ist Wirtschaftswissenschaftler, da hält er sich an Zahlen, die nicht lügen, statt an Menschen, die fühlen. Beruflich, versteht sich. Aber was die Politiker in der Hauptstadt gerade treiben, das lässt ihn in seinem Essener Universitätsbüro dann doch nicht einfach kalt. Mit jeder Meldung, die aus den Nachrichten in den vergangenen Wochen zu ihm hereinschwappte, wunderte Schnabel sich zunächst nur ein bisschen mehr. Dann kam irgendwann der Ärger: „Alle reden die Rente schlecht – warum nur?“

Politiker wie Sigmar Gabriel oder Horst Seehofer, die ein stabiles Rentenniveau in die Schaufenster stellen, wecken eine Sehnsucht, die sie nie stillen können – jedenfalls nicht zu vertretbaren Kosten. Schnabel weiß das nur zu gut. Er braucht für diese Erkenntnis nur seinen Computer mit einigen Zahlenkolonnen zu füttern und seine Programme arbeiten zu lassen.

Schnabel machte den Realitätscheck. Der Ökonomie-Professor prüfte, was es kosten würde, das Rentenniveau stabil auf dem Wert des Jahres 2016 zu halten, bei 47,7 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens also. Was dabei an Summen herauskam, war bemerkenswert – bemerkenswert hoch. Denn Schnabel rechnete anders als viele Institute und Kollegen sonst: Er unterstellte, dass der Beitragssatz in den gesetzlich fixierten Grenzen bleibt, also in den kommenden 15 Jahren nicht über 22 Prozent des Gehaltes steigen darf. Das Resultat: Um das Stabilitätsversprechen zu erfüllen, müsste der allgemeine Bundeszuschuss aus Steuern an die Rentenkasse bis 2030 von heute 64 Milliarden Euro auf dann 136 Milliarden mehr als verdoppelt werden. Wohlgemerkt: pro Jahr.

Die 10 schlimmsten Fehler bei der Vorsorge
Schlecht informiertDie Deutschen kaufen Autos, Computer, Küchengeräte und gehen auf Reisen. Vor dem Kauf werden oft zahlreiche Testberichte gelesen. Geht es allerdings um Versicherungen und die eigene Vorsorge, sieht dies anders aus. Dabei sind ausreichende Informationen wichtig, um teure Fehlabschlüsse zu vermeiden. Quelle: Institut GenerationenBeratung IGB Quelle: Fotolia
Lückenhafte VorsorgeOft werden einzelne, wichtige Teile der Altersvorsorge vergessen. Dazu gehören: 1) individuelle Vorsorgevollmacht 2) Patientenverfügung 3) Klärung der Finanzen im Pflegefall 4) Testament Quelle: Fotolia
Die falschen Berater„Freunde, Familie und Bekannte in alle Vorsorgefragen einzubeziehen, ist wichtig und stärkt die Bindung zueinander. Doch sich allein auf ihren Rat zu verlassen, wäre fatal“, sagt Margit Winkler vom Institut GenerationenBeratung. Denn nur ausgebildete Finanzberater könnten auch in Haftung genommen werden. Sie sind verpflichtet, alle besprochenen Versicherungen und Vorsorgeprodukte zu dokumentieren. Quelle: Fotolia
Vorsorge ist nicht gleich VorsorgeJeder sollte seine Altersvorsorge an seine eigenen Bedürfnisse anpassen, pauschale Tipps von Beratern oder Freunden taugen in der Regel wenig. Je nach Familiensituation können andere Versicherung und Vorsorgeleistungen wichtig sein. „Vor allem in Patchwork-Situationen oder bei angeheirateten Ehepartnern gelten andere Spielregeln in der Vorsorge", sagt Winkler. Quelle: Fotolia
Schwarze Schafe Deshalb ist bei der Auswahl des Beraters Vorsicht geboten, in der Branche sind schwarze Schafe unterwegs. Geht ein Berater nicht auf die persönliche Situation ein oder preist ein bestimmtes Produkt besonders an, sollten die Kunden hellhörig werden.
Informiert ins GesprächWer Fehlern im Zuge von Falschberatung entgehen will, der muss sich vorher selber informieren. Je besser der Kunde im Beratungsgespräch selber informiert ist, desto eher kann er schlechte Berater enttarnen. Quelle: Fotolia
Vorsorge-FlickenteppichBeraterin Winkler warnt davor, zu viele Verträge bei vielen verschiedenen Beratern abzuschließen. Am Ende drohten Versicherte, den Überblick zu verlieren, besser sei eine ganzheitliche Lösung, die auf die individuelle Situation abgestimmt ist. Quelle: Fotolia

Um die Leistungen von gestern zu honorieren, müsste man die Zukunft streichen. Statt jedes fünften Euro wie heute würde dann künftig fast jeder dritte Euro aus dem Bundesetat in die Rentenkasse umgeleitet werden.

Es wären Unsummen, die nicht mehr in Lehrer, neue Straßen oder bessere Internetversorgung investiert werden könnten. Es sei denn, die Steuern gingen rauf. Auch das hat Schnabel konkret für die Einkommensteuer berechnet – und kommt auf absurde Zahlen: „Selbst eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 80 Prozent reicht nicht aus“, um so ein Geschenk zu bezahlen, heißt es in seinem Papier.

„Ein Maximum an finanziellem Einsatz“, lautet die Bilanz des Wissenschaftlers, „würde gerade dort minimal helfen, wo noch am ehesten Bedarf herrscht: bei den kleinen Einkommen. Das ist sinnlose Gießkannenpolitik.“ Denn genauso wirkt ein stabiles Rentenniveau: Jeder kriegt etwas ab, auch die ohnehin schon gut Versorgten.

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