Demokratie braucht Außenseiter "Donald Trump ist ein tückischer Störenfried"

Seite 2/2

Klassische, individuelle Störenfriede

Das haben der Künstler oder der heroische Unternehmer nicht nötig. Sie gehören zu den klassischen, individuellen Störenfrieden. Was zeichnet sie aus?
In der Wirtschaftswelt treffen wir zwei Störenfriede an: den exzentrischen und den egozentrischen. Denken Sie an Apple. Die Werbekampagne zu „Think different“ fing mit den Worten an: „Here’s to the crazy ones. The misfits. The rebels. The troublemakers.“ Es ist eine Hymne an die Verrückten – an den exzentrischen Störenfried. Er ist mit den Schlagwörtern Innovation, Disruption und kreative Zerstörung verbunden: eine wirtschaftliche Figur, die Regeln bricht und dafür gefeiert wird – die experimentiert. „Experiment“, das ist, was seit Jahrhunderten schon den Künstler, den Naturwissenschaftler und den wirtschaftlichen Innovator verbindet. 

Apple ist aber nicht nur...
…ein Freund der Verrückten, richtig, sondern auch ein egozentrischer Störenfried. Der Konzern überlegt sich genau, wie er mit seiner Wirtschaftsmacht optimal lavieren kann. Die Debatte um die Steuerzahlungen ist ein schönes Beispiel für die Versuchung, andere Leute oder auch den Staat übers Ohr zu hauen, um selber better off zu sein. Thomas Hobbes hat bereits im 17. Jahrhundert verzweifelt versucht, die egozentrischen Störenfriede an der Krawatte des Eigeninteresses in die staatliche Ordnung hinein zu ziehen.

Heute scheinen Staaten dem krawattierten Eigeninteresse entweder entgegen zu kommen oder ausgeliefert zu sein.
Das ist eine sehr traurige Entwicklung. Wenn jemand früher den Staat für seine Zwecke ausnutzen wollte, musste er ihn von innen aushöhlen, weil er sich in dieser Ordnung auch in Zukunft zu bewegen hatte. Er kam sozusagen nicht raus aus der Nummer. Heute ist das dramatisch anders. Der egozentrische Störenfried muss die nationale Ordnung nicht mehr aushöhlen, sondern kann sich ihr entziehen. Er flüchtet in ein finanzielles Niemandsland, winkt dann zum Staat hinüber und sagt: „Hallo, ich hab hier was für Dich! Kommst Du mir entgegen?“ Damit werden Staaten erpressbar.

Wie sähe ein positiver Störenfried aus, der Marktwirtschaft und Demokratie Kraft verliehe?
Die charmanten Störenfriede in der Wirtschaft, ich habe es angedeutet, sind die großen Erfinder und Unternehmer. Entscheidender allerdings ist der politische Störenfried, der „wie Hefe wirkt“, so Denis Diderot – der den faulen Frieden aufstört, den eine Gesellschaft mit sich selbst schließen will. Auf diesen Störenfried sind wir angewiesen, wenn Demokratien voran machen sollen. Unsere politischen Ordnungen sind keine Fertighäuser, die uns zuverlässig behausen. Der Störenfried fragt: Wie habt ihr die Gesellschaft eingerichtet? Was sollten wir ändern?

Welche Eigenschaften zeichnen ihn aus?
Erstens: Er hat eine Agenda, die über ihn hinaus geht. Zweitens: Er weiß sich nie angekommen. Das heißt, er hat Ziele, die er mit Unsicherheit und Irritationsfähigkeit verfolgt. Ihn zeichnet eine Mischung aus Übermut und Bescheidenheit aus.

Er ist also kein Menschheitsretter aus dem Silicon Valley?
Gewiss nicht. Die Visionen der Heilsbringer aus Silicon Valley sind fertig in einem doppelten Sinn. Sie sind fertig, weil alles Dunkle aus ihnen verbannt ist, weil sie uns eine helle, perfekte, komplett eingerichtete Welt versprechen. Aber sie sind gerade deshalb auch fertig in dem Sinne, wie man über einen Menschen sagt: „Mein Gott, siehst Du fertig aus.“

Der gute Störenfried wäre demnach jemand, der eine Ordnung bestätigt, indem er sie in Frage stellt? Der die Demokratie störend stabilisiert?
Der große Liberale John Stuart Mill hat einmal gesagt: „Eine Gesellschaft, in der Außenseitertum ein Stein des Anstoßes ist, ist nicht gesund.“ Eine krasse These! Eine Gesellschaft ist nur „ganz“, wenn sie das Exzentrische einbezieht – also das, was Ganzheit oder Geschlossenheit durchkreuzt. Anders gesagt: Eine Demokratie arrangiert sich mit ihren Störenfrieden – und freut sich über sie. An diesem Punkt sollten wir uns durchaus ein bisschen Stolz leisten. Wir können stolz darauf sein, in einer Gesellschaft zu leben mit Schlaufen der Selbstprüfung und Veränderung. Mill lässt übrigens offen, wer wen am Ende über den Tisch zieht. Verschwindet der Störenfried in der Menge, weil es ihn letztlich nach Anerkennung verlangt? Oder hält der Störenfried so lange durch, dass die Menge am Ende ein kleines bisschen anders aussieht als vorher?

Buchempfehlung

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%