Denkfabrik

Das Märchen von der Schrottbank

Die Kritik von Hans-Werner Sinn an den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank ist unberechtigt. Die Ausfallrisiken der Papiere sind geringer als befürchtet. Zudem steigern die Zinseinnahmen daraus den Gewinn der Zentralbank.

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Mit welchen Maßnahmen Regierungen und Notenbanken Sparer attackieren können
Instrument: NiedrigzinsAusgestaltung: Notenbank kauft (über Banken, die günstig Geld bekommen) Staatsanleihen; Notenbank hält Leitzinsen untennegativ betroffen wären/sind: Konten, Anleihen, Lebensversicherung, Betriebsrenten, VersorgungswerkeEintrittswahrscheinlichkeit: läuft bereits; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: Inflation frisst Zinsen; Sparen lohnt sich kaum; ••••∘Vorteil für Staaten: niedrige Zinslast auf eigene Schuldenhistorische Vorbilder: USA• = unwahrscheinlich/ sehr niedrige Einbußen; ••••• = so gut wie sicher/ sehr hohe Einbußen Quelle: dpa
Instrument: Inflation zulassenAusgestaltung: Notenbanken schöpfen weiter Geld; Bürger verlieren Vertrauen; Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigtnegativ betroffen wären/sind: Bargeld, Konten, Anleihen, LebensversicherungEintrittswahrscheinlichkeit: aktuell gering; langfristig wahrscheinlich; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Hohe Inflation kann sämtliche Geldvermögen entwerten; •••••Vorteil für Staaten: Schulden werden nicht auf dem Papier, aber real drastisch verringerthistorische Vorbilder: Deutschland 1923; Frankreich 18. Jahrhundert; Zimbabwe 2009 Quelle: dpa
Instrument: NegativzinsAusgestaltung: Notenbank setzt negativen Leitzins fest; Banken legen negative Zinsen auf die Guthaben von Sparern um oder verteuern Gebühren/Kreditenegativ betroffen wären/sind: KontenEintrittswahrscheinlichkeit: ist bereits in der Diskussion; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Erspartes leidet nominal durch Negativzinsen und real durch Inflation ••••∘Vorteil für Staaten: höheres Wachstum durch ausgeweitete Kreditvergabe erhoffthistorische Vorbilder: Schweiz 1964, 1970er; Schweden; Dänemark Quelle: dpa
Instrument: VermögensabgabeAusgestaltung: Staat schneidet sich von allen Vermögenswerten einmalig ein Stück abnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: je reicher desto härter; ••••∘Vorteil für Staaten: kann Schulden sofort drastisch senkenhistorische Vorbilder: Deutschland 1918/19, 1952 Quelle: dpa
Instrument: ZwangsanleiheAusgestaltung: Staat zwingt Bürger, einen Teil ihres Vermögens in Staatsanleihen zu packen; wird (teilweise) zurückgezahltnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: hängt von Rückzahlungen ab; •••∘∘Vorteil für Staaten: verschafft Spielraum bis zum Rückzahlungsdatumhistorische Vorbilder: Deutschland 1914, 1922/23 Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Vermögensteuer, zum Beispiel ein Prozent auf steuerpflichtiges Vermögen (nach Abzug von Freibeträgen)negativ betroffen wären/sind: Vermögen generellEintrittswahrscheinlichkeit: politische Forderung; ••••∘wie gefährlich für das Vermögen?: für Vermögende; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland, wurde 1997 abgeschafft Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Transaktionsteuer von 0,1 Prozent auf Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent auf Derivate; fällig für jedes Geschäft negativ betroffen wären/sind: Aktien, Anleihen, Derivate; indirekt auch Fonds und LebensversicherungenEintrittswahrscheinlichkeit: politisch herrscht Konsens; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: drückt auch Rendite von Fonds und Versicherungen; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland 1881–1991; Schweden 1985–1992 Quelle: dpa

Oh, Kassandra. Im deutschen Elfenbeinturm hättest du dich wohlgefühlt. Dort reißt der Strom der Schauergeschichten nicht ab. Im Jahr 2005 machte die düstere These die Runde, Deutschland würde zu einer Basar-Ökonomie verkommen. Stattdessen begann bei uns damals dank der Reformen des Jahres 2004 eine industrielle Renaissance, um die uns die Welt bis heute beneidet. Und trotz schriller Warnungen deutscher Ökonomen der letzten fünf Jahre, dass die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) unweigerlich zu Inflation führen müsse, ist der Auftrieb der Verbraucherpreise heute so verhalten wie selten zuvor.

Reaktionen auf EZB-Zinssenkung und Wertpapierkäufe

Jetzt hat sich auch Hans-Werner Sinn, Chef des ifo Instituts, dem Chor der Kritiker angeschlossen, die die EZB als „Bad Bank“ verunglimpfen. Durch die avisierten Käufe fragwürdiger Anleihen würde sie Banken deren Bilanzschrott abnehmen und den Steuerzahlern unverantwortliche Risiken aufbürden. Genauso wie einst die Fehlprognose, die EZB führe uns in die Inflation, beruht die „Bad Bank“-Anklage auf einem volkswirtschaftlichen Anfängerfehler. Denn Einkommen und Wohlstand, Arbeitsplätze und Risiken sind keine fest vorgegebenen Größen, die nur umverteilt werden können, sei es zwischen Arm oder Reich oder zwischen Geschäfts- und Notenbanken. Nein, diese Größen werden entscheidend durch die Wirtschaftspolitik gestaltet. Eine falsche Geldpolitik erhöht die Risiken, eine angemessene Geldpolitik mindert die Risiken.

Rezessionen sind teuer. Gemessen am Anstieg unserer Staatsschulden, hat die Mega-Rezession nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008 die deutschen Steuerzahler über 250 Milliarden Euro gekostet. Im Sommer 2012 stand Deutschland erneut am Rande einer Rezession. Erst mit seiner Ansage, der grassierenden Spekulation auf einen Zerfall des Euro notfalls energisch entgegenzutreten, hat EZB-Präsident Mario Draghi die Panik gestoppt. Er hat uns damit Rezessionskosten von mehreren Milliarden Euro erspart.

EZB schmälert das Risiko einer Rezession

Seit Mai haben der russische Feldzug gegen die Ukraine und andere geopolitische Risiken die deutsche Konjunktur erneut aus dem Tritt gebracht. Der jüngste Einbruch der ifo-Geschäftserwartungen zeigt, dass eine Rezession nicht mehr auszuschließen ist. Die EZB hat die Aufgabe, den Preisauftrieb bei knapp zwei Prozent pro Jahr zu halten. Mit nur noch 0,3 Prozent verfehlt sie dieses Ziel derzeit erheblich. Die aktuelle Schwäche gerade auch der deutschen Konjunktur spricht gegen ein spürbares Anziehen der Euro-Inflation in den kommenden Jahren. Das eindeutige Mandat der EZB verpflichtet sie zum Gegensteuern. Da sie die Leitzinsen nicht mehr senken kann und den Spielraum für konventionelle Refinanzierungsangebote bereits ausgereizt hat, ist der Ankauf von Anleihen der nächste naheliegende Schritt. Die EZB wird Zinstitel in Form von Pfandbriefen und verbrieften Kreditbündeln kaufen. Sie tut dies im Tausch gegen Zentralbankgeld, das sie nahezu kostenlos schöpfen kann. Die zusätzlichen Zinseinnahmen erhöhen ihren Gewinn. Diesen Zusatzgewinn reicht sie anteilig an den deutschen Steuerzahler weiter, der über die Bundesbank zu 27 Prozent Eigentümer der EZB ist.

Natürlich könnten dem Zusatzgewinn auch Verluste gegenüberstehen, wenn die gekauften Titel ausfallen. Aber wie groß ist dieses Risiko? Die Ausfallrate für die Gesamtheit der Papiere, die die EZB kaufen will, lag von Mitte 2007 bis Herbst 2013 bei 1,5 Prozent. Trotz der Weltfinanzkrise und der Euro-Krise, die in diese Zeit fielen, war die Ausfallrate sehr gering. Denn die europäischen Papiere sind von anderer Qualität als amerikanische ABS-Anleihen einschließlich der berüchtigten „Subprime-Papiere“, deren Ausfallrate in jener Zeit bei 18,4 Prozent lag. Die EZB will sich bei ihren Käufen auf die hochwertigen Segmente des Marktes konzentrieren. Für diese Segmente lagen die Ausfallraten selbst in der Finanz- und Euro-Krise vielfach nur bei 0,1 Prozent oder darunter. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass Einzelverluste der EZB aus solchen Papieren ihre zusätzlichen Zinsgewinne aufzehren.

Noch wichtiger aber ist, dass die EZB mit einer angemessenen Geldpolitik das Risiko einer Rezession schmälert. Damit verringert sie die Ausfallgefahr für Wertpapiere innerhalb und außerhalb ihrer Bilanz. In einem banalen Sinn haben die Kritiker natürlich recht: Menschliches Handeln birgt immer Chancen und Risiken. Aber Nichtstun wäre weit riskanter. Eine Zentralbank, die keine Geldpolitik betriebe, könnte mit einer Minibilanz weder einen Gewinn machen noch ein Risiko eingehen.

Aber der Schaden, den sie durch den Verzicht auf Geldpolitik anrichtete, wäre katastrophal. Die Welle von Insolvenzen, Arbeitsplatzverlusten sowie Steuer- und Kreditausfällen würde nahezu alle Bürger teuer zu stehen kommen. Nur auf hypothetische Risiken zu schauen greift zu kurz. Die Notenbank muss eine angemessene Geldpolitik betreiben. Indem sie dies tut, mindert sie die Risiken für alle Beteiligten, auch für die deutschen Steuerzahler.

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