Diese Erkenntnisse widerlegen die landläufige Meinung, dass hoch Qualifizierte oft so speziell ausgebildet werden, dass sie unvermeidlich arbeitslos werden. Es mag sein, dass sich nicht alle der am Bildungsmarkt angebotenen Bachelorstudiengänge auf dem Arbeitsmarkt als Karrieretreiber erweisen. Aber das spricht nicht grundsätzlich gegen die Bologna-Reform, die einen europäischen Hochschulraum schaffen und die Durchlässigkeit der Studiengänge in Europa sichern soll.
Und was ist grundsätzlich gegen den von Hilmar Schneider aufgeführten „exotischen“ Bachelorstudiengang Angewandte Kindheitswissenschaften einzuwenden? Die Erzieherausbildung in Deutschland erfolgt nach wie vor auf einer Fachschule und damit nicht (wie in fast allen OECD-Ländern) auf Hochschulniveau. Deutschland und Österreich sind die einzigen Länder Westeuropas, in denen keine nennenswerte Präsenz von Beschäftigten in der Kindertagesbetreuung mit einer grundlegenden Hochschulausbildung zu verzeichnen ist.
Mehr noch: Mit dem irreführenden Begriff „Akademisierungswahn“ werden womöglich junge Menschen vom Studium abgehalten – gerade wenn sie aus bildungsfernen Familien stammen, deren Eltern nicht studiert haben. Die soziale Selektivität beim Zugang zum deutschen Hochschulsystem ist weiterhin stabil. Von 100 Akademikerkindern studieren 77; von 100 Kindern aus Familien ohne akademischen Hintergrund schaffen nur 23 den Sprung an eine Hochschule. Wir können uns in einer Wissensgesellschaft den Verzicht auf diese Ressourcen schlicht nicht leisten.
Bachelor-Abschluss: Diese Baustellen sollen behoben werden
Die Reformer wollen teils harscher Kritik begegnen, die es schon seit der Einführung im europaweiten „Bologna“-Prozess gibt. Mit dem 1999 in der norditalienischen Stadt vereinbarten System führt ein Studium zu den international anerkannten Abschlüssen Bachelor und Master. Seither wird der auf sechs Semester angelegte Bachelor gern geschmäht - als gerade mal dreijähriges „Schmalspurstudium“, als „zu verschult“ durch Vorgaben, zu eng getaktet und mobilitätsfeindlich. Einige Schwachpunkte wollen Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) jetzt ausräumen.
Um sehr viele. 2014 erreichten von etwa 320.000 Universitäts- und Fachhochschulabsolventen 70 Prozent einen Bachelor als Erstabschluss. Wie der Mitte Juni veröffentlichte Bericht „Bildung in Deutschland“ zeigt, werden immer weniger Diplom- und Magisterprüfungen abgelegt, das Staatsexamen spielt mit etwa 15 Prozent Anteil noch bei Medizin und Jura sowie in einigen Ländern fürs Lehramt eine größere Rolle. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes streben drei Viertel der 2,7 Millionen Studenten in einen Bachelor- oder Master-Studiengang. „Bologna“, die Reform für kürzere Studienzeiten, europaweite Vergleichbarkeit von Abschlüssen und mehr studentische Mobilität, ist also in Deutschland voll angekommen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass gut jeder Vierte (28 Prozent) sein Bachelor-Studium abbricht.
Die anvisierten Reformen sollen dafür sorgen, dass Studierende mehr Freiräume erhalten. Die „Übersättigung mit Inhalten“ im knapp bemessenen Bachelor-Studium müsse aufhören, sagt HRK-Vize Holger Burckhart. Er stellt sich das so vor: „Generellere Studienangebote in den ersten beiden Semestern“, fachliche Orientierung im dritten und vierten, Vertiefung im fünften Semester - dann sollen die Studenten entscheiden, ob sie einen Abschluss machen und als Bachelor in einen Beruf gehen oder aber weiterstudieren wollen. Um Druck vom Kessel zu nehmen, sollte nach dem Willen der Bachelor-Reformer in den ersten beiden Semestern auf Noten verzichtet werden, „Bestanden“ oder „Nicht bestanden“ reiche aus. Anfängliche Leistungen würden dann nicht in die Endnote einfließen - eine Erleichterung für viele Studenten.
Um Druck vom Kessel zu nehmen, sollen Hochschulen insbesondere für die ersten beiden Semester von einer Einbeziehung von Noten in die Berechnung der Endnote absehen können. Auch „bestanden“ oder „nicht bestanden“ könne reichen.
Das kalkulieren die Hochschulen ein. „Es sollte künftig keine starre staatliche Vorgabe für eine Gesamtstudienzeit Bachelor und Master von zehn Semestern mehr geben“, sagt HRK-Chef Horst Hippler im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Von dem Karlsruher Physik-Professor ist eine ironische Spitze überliefert: „Ein Bachelor in Physik ist nie im Leben ein Physiker.“ Hippler geht es um Entschleunigung zugunsten von mehr Studienqualität und -tiefe: Lediglich drei Jahre bis zur Bachelor-Prüfung - das lasse doch kaum Raum „für die nötige erste Orientierung, für Blicke über das eigene Fach hinaus, für Praktika oder Auslandssemester“.
„Bachelor-Absolventen machen Karriere“, sagt Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU). Die Arbeitslosenquote von Fachhochschulabsolventen liegt bei etwa drei Prozent, unter Uni-Absolventen sind es sogar nur rund zwei Prozent. Der Bildungsbericht 2016 notiert: „Zwei Drittel der Bachelors von Universitäten und drei Viertel aus Fachhochschulen, die nach dem Bachelor erwerbstätig werden, sind (...) etwa ein Jahr nach dem Studium in Positionen tätig, für die ein Hochschulabschluss erforderlich ist.“ Die Praxistauglichkeit ist aber umstritten.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat ermittelt, dass schon etwa jedes vierte Unternehmen (23 Prozent) Bachelor-Absolventen beschäftigt (2010: 13 Prozent). Laut Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags waren 2015 jedoch nur 47 Prozent der Betriebe mit ihren Bachelor-Zugängen zufrieden.
Im kommenden Wintersemester ändert sich im Uni-Alltag wohl noch nichts. Nun ist eine Vereinbarung zwischen Hochschulen und Ländern fertig. Wie schnell es zur konkreten Umsetzung an den Hochschulen kommt, bleibt abzuwarten..
Die sehr gute duale berufliche Ausbildung in Deutschland sollte nicht gegen das akademische Studium ausgespielt werden. Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile, und wie so oft ist die Mischung entscheidend. Angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels brauchen wir künftig beidess.