Denkfabrik ifo-Chef Sinn warnt Merkel vor Mindestlohn

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Einer dieser Sprüche ist, dass jeder von seiner Hände Arbeit leben können muss.

Einer dieser Sprüche ist, dass jeder von seiner Hände Arbeit leben können muss. Ich habe diesen Spruch kritisiert, als er von einer anderen Partei kam, und ich tue es genauso, wenn er aus der Ihren kommt. Er ist falsch, weil er darauf hinausläuft, jenen die Arbeitsplätze wegzunehmen, deren Gunst man sucht. Er übersieht, dass es in einer Marktwirtschaft keine Gesetzmäßigkeit gibt, die Vollbeschäftigung zu Löhnen schafft, die den gesellschaftlichen Vorstellungen eines angemessenen Lebensstandards genügen. Ein Lohn, der das leistet, liegt über der Produktivität mancher denkbarer Arbeitsplätze ? und verhindert, dass diese entstehen.

Frau Bundeskanzlerin, 2008 haben Sie häufig gesagt, jeder, der arbeiten wolle, müsse arbeiten können und dann genug zum Leben haben.

Das ist ein viel besseres Postulat. Denn es lässt zu, dass das Einkommen um den Lohnzuschuss über dem Lohn liegt. Dann kann das Entgelt für die geringste Arbeit so niedrig sein, dass es sie überhaupt gibt. Und das Einkommen doch so hoch, dass es reicht.

Nun wollen Sie zwar keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn, sondern die Tarifpartner über eine Lohnuntergrenze entscheiden lassen. Doch das hört sich besser an, als es ist. Die Tarifpartner sollen ja nicht über ihre eigenen Betriebe, sondern über fremde Unternehmen bestimmen, die keine Tariflöhne zahlen. Und natürlich werden die Tarifpartner neue Mindestlöhne recht hoch ansetzen - damit die Konkurrenten gar nicht erst zum Zuge kommen.

Liebe Frau Merkel, nach der Wiedervereinigung gingen West-Gewerkschaften und West-Arbeitgeber in den Osten und legten die Löhne für ihre potenziellen ostdeutschen Wettbewerber fest. Sie wissen, welches Fiasko entstand, als die Tarifparteien vereinbarten, die Ostlöhne in nur fünf Jahren mitsamt aller Nebenleistungen an das Westniveau anzugleichen - auch damit die Japaner, die sich für Treuhandfirmen interessierten, keine Wettbewerbsvorteile haben würden. Bekanntlich kamen die Japaner und viele andere Investoren nicht. Es entstand Massenarbeitslosigkeit, die zu umfangreichen Wanderungen gen Westen führte.

Können Sie es verantworten, diesen Fehler zu wiederholen? Denken Sie an die Geschichtsbücher.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Hans-Werner Sinn

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