Der lange Weg zur Arbeit Warum Stau manchmal sogar Absicht ist

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Tolerierter Stau - als gewolltes Nadelöhr

Das würde bedeuten Stau ist sogar geplant – oder wird von Planern in Kauf genommen?
Man könnte sagen an manchen neuralgischen Stellen fungiert der als gewolltes Nadelöhr. Es wirkt vielleicht ein wenig zynisch, wenn wir sagen, wir lassen so viele Leute im Stau stehen und nutzen es als Ventil der Regulierung. Doch es gibt tatsächlich einzelne Punkte, wo es verkehrstechnisch absolut Sinn macht, den Stau so zu nutzen – und zwar beispielsweise im Zulauf auf die großen Städte. Da möchte man lieber den Stau vor der Stadt haben, damit der Verkehr innerhalb der Stadtgrenzen auf ein gewisses Maß begrenzt wird.

Ansonsten sind viele Staus wohl eher eine verkehrspolitische oder verkehrsplanerische Situation, die sich so entwickelt hat. Wir hätten natürlich Alternativen dazu. Wir könnten den Verkehr beispielsweise teuer machen. Das ist ein Schritt, zu dem man sich in Deutschland noch nicht durchgerungen hat. In anderen Städten wie Singapur, macht man das längst so. Dabei würde die Regulierung über den Preis als Ventil funktionieren. Man würde die Autofahrer also wortwörtlich bezahlen lassen. Wir in Deutschland lassen die Menschen mit ihrer Zeit im Stau bezahlen.

von Konrad Fischer, Simon Book

Sie sagen, dies wäre eine Alternative zur Stauvermeidung. Gibt es noch andere Alternativen, die sinnvoll wären?
Ein großer Hebel zur Verkehrsentlastung wäre es, wenn es gelänge, dass im Alltagsverkehr nicht nur eine Person, sondern mehrere Menschen in einem Auto säßen. Im Durchschnitt fahren in Deutschland 1,3 Personen pro Auto. Würden wir auf über 2 kommen, hieße das eine wahnsinnige Entlastung. Jedoch sind diese sogenannten Besetzungsgrade in den vergangenen 20 Jahren leider sogar noch zurückgegangen.

Es gibt nämlich immer weniger Menschen, die gemeinsam zur Arbeit fahren. Vermutlich weil die individuelle Flexibilität in der Arbeitswelt zunimmt. Es fällt dadurch schwerer sich zu koordinieren und abzusprechen – selbst wenn es innerhalb des eigenen Haushalts ist.

Hier und da sind ja immer mal Versuche gestartet, den Pendlerverkehr auf Straßen etwa durch Carpooling zu reduzieren. In manchen Autobahnen rund um große Städte gibt es die sogenannten „Park-and-Ride“-Plätze, wo Menschen sich treffen, ihre Autos abstellen und mit einem statt drei Fahrzeugen zur Arbeit fahren könnten. Betrachtet man die häufig sehr geringe Auslastung dieser Parkplätze scheint das Modell vielerorts gescheitert. Was für realistische Ansätze gibt es?
Sie haben das Problem schon sehr gut beschrieben: Ein durchschlagender Erfolg war Park-and-Ride jetzt nicht. Man könnte es möglicherweise an der einen oder anderen Stelle besser integrieren, aber diese Methode ist bei den Menschen nicht angekommen.
Der hilfreichste Ansatz die Verkehrsbelastung zu reduzieren, liegt eigentlich auch darin, die Menschen zum Umstieg auf andere Verkehrsmittel zu bringen.

So wird Pendeln erträglicher

Also Bahnen, Bus, Fahrrad?
Zum Beispiel. In einer S-Bahn bekommen Sie pro Stunde wesentlich mehr Menschen unter als auf einer Stadtstraße. Neue Hoffnungen werden seit einiger Zeit in elektrische Fahrräder gesetzt – vor allem weil der Radverkehr in den vergangenen Jahren boomt.
Diese Maßnahmen sind absolut sinnvoll. Ebenso wie Konzepte, die es dem Autofahrer am Ziel schwerer machen - sprich teureres oder komplizierteres Parken. In der Kombination all dieser Maßnahmen liegt der Schlüssel.

Eines sollte man aber immer im Hinterkopf behalten: Egal welches Verkehrsmittel wir hierzulande wählen – sie alle funktionieren noch wirklich sehr gut, insbesondere im internationalen Vergleich.

Und auch ganz wichtig: Wenn Sie in einer deutschen Stadt ankommen und haben es eilig zu einem Termin zu kommen – welches Verkehrsmittel wählen Sie dann?

In diese Städte pendeln die meisten Deutschen
Fürth Quelle: dpa
Neuss Quelle: dpa
Moers Quelle: dpa
Koblenz Quelle: dpa
Ulm Quelle: dpa
Darmstadt Bahnhof Quelle: dpa
Erlangen Quelle: dpa

Das Taxi.
Genau. Klar! Das Taxi kann vielleicht hier und da auch in der Busspur am Taxi vorbeifahren, aber dieser Instinkt zeigt doch, dass es letztlich mit dem Auto also in den allermeisten Fällen noch immer schnell geht. In Paris beispielsweise ist das schon anders – dort würde man Ihnen nicht immer unbedingt zum Taxi raten, sondern vielleicht eher zur Metro. Von dem Verkehrschaos in Städten wie Bangkok ganz zu Schweigen.

Wir haben natürlich mit dem Verkehrssystem insgesamt ein großes Problem – weil wir zu viel CO2 ausstoßen und das in den vergangenen 25 Jahren im Verkehrssektor auch nicht besser geworden ist – im Vergleich zu allen anderen Sektoren. Und eigentlich müssten wir unsere CO2-Emissionen bis 2030 um ein Drittel reduzieren. Das ist praktisch nicht zu schaffen, um unsere Klimaziele zu erfüllen und das ist eigentlich die wahre Herausforderung, die wir haben.

Womit fahren Sie denn zur Arbeit?
Ich habe es nicht weit und fahre mit dem Fahrrad zur Arbeit. Ich will damit niemandem auf die Füße treten und habe auch Verständnis für diejenigen, denen es anders geht und die es weit haben. Aber in dem Sinne habe ich meinen Alltag verkehrstechnisch optimiert: Arbeit, Schule der Kinder – alles nah beieinander. Aber wir haben auch ein Auto.

Diese Berufsgruppen pendeln am weitesten
Stau auf der Autobahn Quelle: dpa
Landwirte Quelle: dpa
Reinigungspersonal Quelle: dpa
Kassiererin Quelle: dpa
Friseure Quelle: dpa
Arzthelfer Quelle: dpa
Instrumentenbauer, Produktdesigner (8,49) Quelle: dpa
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