Deutsch-türkische Beziehungen Der lange Weg nach Yücels Freilassung

Freiheit für Deniz Yücel: Jetzt können sich die deutsch-türkischen Beziehungen normalisieren. Doch es hat sich Argwohn und Hass aufgestaut. Eine Analyse.

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Deniz Yücel: Der lange Weg nach seiner Freilassung Quelle: dpa

Istanbul „Endlich!“, schreibt der Arbeitgeber von Deniz Yücel. Die deutsche Tageszeitung „Welt“ meldete am Freitagmittag mit, dass ihr Türkei-Korrespondent nach einem Jahr Untersuchungshaft nun das Gefängnis verlassen darf. Das teilte sein Anwalt mit.

Vor knapp einem Jahr war der 44-Jährige in Istanbul festgenommen und kurz darauf wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft genommen worden. Die Bundesregierung hat die Freilassung von Yücel in der Türkei bestätigt.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte am Freitag in Berlin: „Jetzt müssen wir natürlich abwarten, was in den nächsten Minuten, Stunden passiert.“ Er dankte der türkischen Justiz und sagte, Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) habe sich in den letzten Tagen „intensiv bemüht, zu einer Lösung beizutragen“.

Gabriel geht fest davon aus, dass Yücel nach seiner Freilassung in der Türkei sehr bald das Land verlassen darf. Das sei sein Informationsstand, sagte Gabriel am Freitag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. „Wir hoffen, dass das sehr schnell passieren kann.“

Gabriel betonte auch, dass es keine Gegenleistung von deutscher Seite für die bevorstehende Freilassung gegeben habe. Der Außenminister hatte zwei Mal geheim den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen, um eine Verfahrensbeschleunigung für Yücel zu erzielen. „Wir sind sehr froh über diese Entscheidung des Gerichts“, sagte Gabriel.

Immer wieder hieß es, der Fall Yücel sei die Hauptlast in den bilateralen Beziehungen gewesen. Das stimmt. Umgekehrt wäre es falsch zu glauben, mit der Freilassung Yücels könnte die deutsch-türkische Freundschaft wieder aufleben, als sei nichts passiert.

Nazi-Vergleiche, Auftrittsverbote, Massenentlassungen: Die Liste des gegenseitigen Unbehagens ist immer noch lang. Und sie sollte Stück für Stück abgebaut werden.

Die Türkei muss deutlich machen, dass sie es wirklich ernst meint mit der Annäherung. Dazu gehört, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Minister nicht weiter auf ihren Nazi-Vergleichen beharren. Das macht sich in der türkischen Boulevard-Presse gut, allen anderen gingen solche Parolen von Anfang an gegen den Strich.

Auch nach der Freilassung Yücels laufen noch gegen tausende Menschen in der Türkei Verfahren oder sie sitzen ohne Anklage in Untersuchungshaft. Es gehört dazu, dass die Justiz nach dem vereitelten Putschversuch vom Juli 2016 die Hintermänner ausfindig machen will.

Will die Türkei hier jedoch den Eindruck vermeiden, der Rechtsstaat sei ausgehebelt, dann müssen die Verfahren beschleunigt werden. Verdächtige, gegen die kein eindeutiger schwerer Tatverdacht besteht, dürfen nicht monatelang in Untersuchungshaft bleiben – auch wenn das rechtlich möglich ist.

Hinzu kommt: Die Kritik an mangelnden rechtsstaatlichen Verfahren in der Türkei ist nicht unberechtigt. Vieles läuft derzeit schief im türkischen Staatsapparat. Das liegt auch daran, dass Erdogan das gesamte Staatswesen umkrempelt und ein Präsidialsystem einrichtet.


Bundesregierung sollte ihre Haltung in Asylfragen überdenken

Die türkische Regierung sollte die Kritik annehmen und sich von ihren Partnern in Europa helfen lassen. Viel zu oft haben Spitzenpolitiker in der türkischen Hauptstadt Ankara das Gefühl vermittelt, man gebe nichts auf die Kritik aus dem Westen. Im Gegenteil: Dass türkische Behörden die internationale Ermittlungsgruppe Interpol dazu nutzte, um nach missliebigen Oppositionellen im Ausland fahnden zu lassen, hat am Ende nichts gebracht, aber viel Vertrauen zerstört.

Das heißt aber nicht, dass alles, was Erdogan tut und sagt automatisch schlecht ist. Es klingt provokativ, weil sein schlechter Ruf in vielen Teilen berechtigt sein mag. Trotzdem: Wir sollten ihm auch zuhören. Und da kommt die Bundesregierung ins Spiel. Auch sie muss sich jetzt bewegen.

Es ist richtig, den immer noch andauernden Ausnahmezustand zu kritisieren. Es ist auch richtig anzumahnen, dass dieser Ausnahmezustand nicht für andere politische Zwecke missbraucht werden darf. Aber zu glauben, es habe gar keinen Putschversuch gegeben, alles sei stattdessen konstruiert, zeugt von einer Ignoranz, die ihresgleichen sucht.

Das Kanzleramt, in dem auch die Geheimdienste sowie die Flüchtlingskoordination organisiert sind, sollte in dieser Angelegenheit dringend seine Strategie überdenken, was das Asylrecht für mutmaßliche Putschisten in Deutschland angeht. Nach einem versuchten Umsturz im Juli 2016 sollen sich mehrere Rädelsführer in die Bundesrepublik abgesetzt haben.

Die Türkei verlangt ihre Auslieferung und hat dazu nach eigenen Angaben Beweismaterial an deutsche Behörden übermittelt. Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass einer der mutmaßlichen Anführer nun Asyl erhalten hat; mit dem Verweis, dass ihm in der Türkei ein unfaires Verfahren erwarten könnte.

Zwar kann sich die Bundesregierung in Entscheidungen zu Asylfragen rein rechtlich gesehen kaum einmischen. Es mutet dennoch seltsam an, dass regelmäßig Dutzende Afghanen in ihr Heimatland ausgeflogen werden, während dort jährlich tausende Zivilisten Kämpfen und Terrorattacken im Land zum Opfer fallen. Gleichzeitig scheint Berlin auf die Anfragen des Nato-Partners Türkei gar nicht erst einzugehen.

Angela Merkel sollte sich als voraussichtliche künftige Bundeskanzlerin außerdem endgültig festlegen, ob sie der Türkei die Chance auf eine Mitgliedschaft in der EU einräumt oder nicht. Im Umfeld der türkischen Regierung heißt es schon länger, dass eine Vollmitgliedschaft nicht zwingend nötig sei.

So sagte der Vizeregierungschef Mehmet Simsek dem Handelsblatt, die türkische Regierung könne sich auch einen stufenweisen Beitritt vorstellen. Doch das Hin und Her, Vollbeitritt, privilegierte Partnerschaft, Abbruch der Verhandlungen und das Kleinklein bei den Details sorgen nur für Frust.

Die gute Nachricht ist: Über diese Fragen kann nun diskutiert werden, ohne dass die andauernde Inhaftierung Yücels wie ein Damoklesschwert über den Gesprächen hängt.

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