Deutsche in türkischer Haft Die doppelten Opfer

In der Türkei sitzen mehrere Deutsche im Gefängnis. Hinter den Festnahmen stehen schwer nachvollziehbare politische Vorwürfe, eine unterwürfige Justiz – und die verkorkste Türkeipolitik Berlins. Ein Kommentar.

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In der Türkei sitzen Deutsche im Gefängnis Quelle: imago/epd

Istanbul Peter Steudtner wirkt nicht gerade wie jemand, der Terroristen unterstützt. Der 45-jährige Familienvater ist IT-Experte und hilft Menschenrechtsorganisationen dabei, ihre Daten sicher anzulegen und vor Zugriffen zu schützen. Jahrelang arbeitete Steudtner in Afrika, im Juli gab er ein Seminar in Istanbul. Seitdem sitzt er in der Türkei im Gefängnis. Der Vorwurf: Terrorunterstützung. Am 25. Oktober beginnt der Prozess gegen ihn. Die türkische Staatsanwaltschaft fordert bis zu zehn Jahre Haft.

Er ist nur einer von insgesamt elf Deutschen, die im Kampf gegen mutmaßliche Putschisten und Terrorunterstützer verhaftet worden sind. Der Türkeikorrespondent der Welt, Deniz Yücel, sitzt seit Februar ohne Anklage in türkischer Untersuchungshaft. Mesale Tolu, Mitglied einer linksgerichteten türkischen Gruppe, musste sich bereits vor Gericht verantworten. Außerdem ist ein deutscher Pilger, der im Gebiet der verbotenen PKK im Südosten des Landes unterwegs gewesen sein soll, im Gefängnis.

Auch Ausländer und etliche Journalisten sind ins Visier der türkischen Justiz geraten. Gleichzeitig mit Peter Steudtner wurde der iranisch-schwedische Menschenrechtler Ali Gharavi gefangen genommen. Der US-amerikanische Pastor Andrew Brunson sitzt seit über einem Jahr in Untersuchungshaft. Ein französischer Fotograf, Loup Bureau, kam für mehrere Wochen hinter Gitter. Nach mehreren Telefonaten zwischen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem türkischen Staatschef Erdogan kam der junge Fotograf auf freien Fuß und durfte das Land verlassen.

Die Vorwürfe sind oft schwammig, die Anklagen „lesen sich wie ein schlechter Roman“, wie der Anwalt von Mesale Tolu sagte. Am Donnerstag wurde bekannt, dass der Menschenrechtskommissar des Europarats zahlreiche Beschwerden von inhaftierten Journalisten in der Türkei unterstützt, darunter die von Deniz Yücel. Der Kommissar bezweifle, dass es für ihre Untersuchungshaft irgendeinen legitimen Grund gebe.

Und trotzdem fällt auf: Die Türkei geht höchst unterschiedlich mit ihren ausländischen Gefangenen um. Dafür gibt es Gründe, die mit Erdogan selbst zu tun haben – und mit einer Justiz, die ihren eigenen Kompass verloren hat. Deutschland hat das nicht erkannt und die falschen Schlüsse gezogen.

Durch die Säuberungswellen nach dem gescheiterten Putschversuch vor mehr als einem Jahr ist ein Klima der Angst entstanden. Auch und vor allem in der Justiz, wo ein Viertel des Beamtenkörpers ausgetauscht worden ist. Kaum einer traut sich noch, öffentlich und unabhängig von der herrschenden Meinung zu urteilen. Alles ist derzeit dem Ziel untergeordnet, die Putschisten und ihre Unterstützer ausfindig zu machen.


Türkische Justiz unter Druck

Die extrem harte Gangart führt zu einem vorauseilenden Gehorsam in der Justiz. Erdogan muss die Richter und Staatsanwälte gar nicht kontrollieren. Sie kontrollieren sich selbst. Man muss dazu sagen: Selbst der größte Teil der türkischen Opposition ist überzeugt, dass Gülenisten hinter dem Putschversuch im vergangenen Jahr stecken. Das erhöht aus Sicht der türkischen Strafverfolgungsbehörden allerdings nur den Druck, möglichst viele Resultate zu liefern – in der Hoffnung, dass der richtige oder die richtigen schon dabei sein werden.

Viele westliche Regierungen haben das harte Vorgehen zu recht kritisiert. Die Bundesregierung ging dabei wohl einen Schritt zu weit: Der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, sagte im März, die Türkei habe Deutschland nicht überzeugen können, dass Gülen hinter dem Putschversuch gesteckt haben könnte. Auch sei die Gülen-Bewegung nicht wie behauptet eine islamisch-extremistische oder gar terroristische Bewegung, sondern eine „zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung.“

Eine unglaublich dumme Aussage, angesichts der Warnungen vor dieser Gruppe, der seit Jahren umstürzlerische Triebe nachgesagt werden. Und gleichzeitig eine Begründung dafür, dass derzeit so viele Deutsche in türkischen Gefängnissen sitzen.

Verantwortlich dafür ist neben dem unterwürfigen türkischen Justizapparat eine hysterische und unüberlegte Türkeipolitik aus Berlin. Ein paar Beispiele: Im Wahlkampf hieß es, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollten abgebrochen werden. Mutmaßliche Putschisten aus der Gülen-Bewegung, gegen die zum Teil schwerwiegende Hinweise vorliegen, werden mehr oder weniger offen von Berlin gedeckt, indem sie hierzulande Asyl erhalten. Waffenlieferungen an die Türkei sollen möglichst komplett untersagt werden – und anschließend beschweren sich Regierung und Opposition, wenn die Türkei sich ein russisches Waffensystem besorgt.

Hinzu kommen Demonstrationen von Anhängern der verbotenen PKK in deutschen Städten, bei denen – ebenfalls verbotene – Flaggen des PKK-Gründers Öcalan geschwenkt werden. Die PKK hat in der Türkei durch Terrorattacken 40.000 Menschen umgebracht. In Deutschland werben sie um Geld für die Planung dieser Attentate, das belegt der Bundesverfassungsschutz seit mehreren Jahren.


Die Folgen der deutschen Türkeipolitik

Schließlich will Kanzlerin Merkel die EU-Finanzhilfen für die Türkei auf Eis legen – und gleichzeitig einen Flüchtlingspakt mit der EU absichern, über den Ankara insgesamt drei Milliarden Euro aus Europa erhalten soll.

Diese Zweigleisigkeit füttert in der Türkei eine Propaganda, in der Deutschland als geheimer Feind der Türken gilt. Erdogan muss den radikalen Nationalisten in der Presse und in der Öffentlichkeit bloß in seiner eigenen Rhetorik folgen. Was er sagt, sickert wiederum ungefiltert in die Köpfe im türkischen Justizapparat. So einfach kann türkische Innenpolitik sein – mit Hilfe aus Deutschland.

Die Folgen sind gravierend. Wo Deutschland als Staatsfeind und Terrorunterstützer gilt, sind Deutsche in Anatolien erst recht verdächtig. Und Türken sind wachsam, wenn es um mögliche Staatsfeinde geht. Viel zu wachsam.

Wie sehr, zeigt der Fall von Peter Steudtner. Das wahre Vergehen des Menschenrechtlers war wohl kaum, dass er in seinem Seminar Hinweise zum Datenschutz gegeben hatte. Sondern dass sie schlicht den falschen Übersetzer für die internationale Teilnehmergruppe engagiert hatten. Dieser gilt als glühender türkischer Nationalist. Ein Blick auf seine Facebook-Seite hätte genügt, um das herauszufinden. Der Dolmetscher muss während seiner Arbeit derart vor Wut geschäumt haben, dass er die Polizei rief.

Man kann sich vorstellen, was er am Telefonat gesagt haben muss: Hier ist eine Gruppe Staatsfeinde im Land und plant mithilfe eines Deutschen den nächsten Umsturz. Das wiederum führte zum vorauseilenden Gehorsam der eingreifenden Beamten, inklusive U-Haft und Terrorvorwurf.

Keine Frage: Die Verhaftungen von Steudtner, Yücel sowie zahlreichen anderen sind tragisch und die Vorwürfe gegen sie an den Haaren herbeigezogen. Aber: Das Narrativ, dass die Deutschen und der Westen  letztlich die Türkei „angreifen“ wollen, haben wir uns zum Teil auch selbst zuzuschreiben.

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