Deutschland Trägt die Wirtschaft Mitschuld am Linksruck?

Ignoranz oder Unvermögen? Trägt die Wirtschaft Mitschuld am Linksruck? Der Vorwurf lautet: Manager handeln nicht mehr national und meiden den Dialog mit der Gesellschaft. Jetzt wollen die Unternehmen gegenhalten.

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Der Fraktionsvorsitzende der Quelle: dpa

Die wichtigsten Arbeitgeber Deutschlands haben sich um einen langen Tisch versammelt. An diesem Montag ist der Kaffee-Konsum im zweiten Stock im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft besonders hoch, die Stimmung aufgeheizt, die Debatte lautstark. Ein Konzept gegen den Mindestlohn soll her. Und zwar schnell.

Es ist der Tag nach dem gefühlten Linksrutsch in der Republik. Tag eins, nachdem die Linkspartei in die Parlamente von Hessen und Niedersachsen gewählt worden und damit endgültig im Westen angekommen ist. In beiden Ländern hat der Mindestlohn den Wahlkampf bestimmt und die Wähler in die Arme der Linken getrieben. „Warum dringen unsere Argumente nicht mehr durch?“, fragen sich die TopManager im Präsidium der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Warum misstrauen die Deutschen den Kräften des Marktes?“ Die Regierung dürfe jetzt nicht „linken Sprücheklopfern“ hinterherlaufen, schimpft BDA-Präsident Dieter Hundt.

An diesem Montag entwickelt die Runde, zu der auch Metro-Chef Eckhard Cordes, BASF-Vorstandsmitglied Eggert Voscherau und BDI-Präsident Jürgen Thumann gehören, ein Konzept: Die Stimmungsmache gegen die deutsche Wirtschaft soll gestoppt werden. Mit einer groß angelegten Kampagne wollen die Arbeitgeber erklären, warum staatliche Lohnuntergrenzen Jobs vernichten und warum Mindestlöhne angesichts von 3,6 Millionen Arbeitslosen zynisch sind. In einer ersten Phase, noch bevor das Kabinett Merkel sich auf neue Mindestlöhne festlegt, will die Wirtschaft Politiker und Meinungsbildner überzeugen. Abgeordnete sollen Betriebe besuchen und dort die „Fakten lernen“ – Mindestlöhne schaden mehr, als dass sie nutzen. Danach, so der Beschluss der Runde, soll eine Kampagne die Öffentlichkeit überzeugen.

In Deutschland hat sich die Stimmung gegen Unternehmer und Manager gedreht. Der Aufstieg der Linkspartei geht einher mit einem rasanten Vertrauensverlust der Marktwirtschaft sozialer Prägung. Und daran trägt die Wirtschaft selbst eine Mitschuld. Wie Manager heute entscheiden, wie die Globalisierung funktioniert, selbst einfachste Mechanismen der Marktwirtschaft sind für viele Menschen nicht mehr nachvollziehbar. Und nur wenige in der Wirtschaft scheinen willens oder in der Lage, diese Mechanismen zu erklären. Das Unbehagen über die Marktkräfte mag kurzsichtig und populistisch sein – aber es wächst. Und es gefährdet inzwischen die Grundfesten der Wirtschaft selbst.

Nicht Stammtisch-Phrasendrescher, sondern Parlamentarier und ökonomische Vordenker debattieren inzwischen Fragen wie: Darf eine Regierung es tolerieren, dass eine Friseurin kaum fünf Euro in der Stunde verdient, der Chef einer Großbank aber an die 5000 Euro? Wie kann es sein, dass jeder Sparkassenkunde für einen 200.000-Euro-Kredit einen Stapel Einkommensnachweise vorlegen muss, ein 31-jähriger Optionshändler der Société Générale aber unbemerkt 4,9 Milliarden Euro verzocken kann? Wie soll man Arbeitnehmern erklären, dass ein Konzern wie Nokia sein Werk in Bochum schließen will – und drei Tage später mit einem Rekordgewinn prahlt? „Vieles von dem, was in der Wirtschaft geschieht, ist heute kaum mehr fassbar“, sagt Klaus-Peter Schöppner, Geschäftsführer des Bielefelder TNS-Emnid-Instituts.

In Arbeitgeberkreisen gilt der Fall Nokia als Kommunikations-GAU, der die Marktwirtschaft weiter in Misskredit bringt. Leise sind auch die Töne aus der Nokia-Chefetage geworden. „Es ist uns in den ersten Tagen nicht gelungen, unsere Gründe wirklich zu vermitteln“, sagt Unternehmenschef Olli-Pekka Kallasvuo. „Das mag etwas kalt gewirkt haben.“ In Wahrheit hat es sogar dermaßen kalt gewirkt, dass Politiker zum Boykott aufriefen, Bürgermeister ihre Nokia-Handys zurückschickten und Pfarrer im Ruhrgebiet die Kirchturmglocken läuten ließen.

Inzwischen hat Kallasvuo mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert, mit der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerin Christa Thoben Kaffee getrunken, eine Arbeitsgruppe eingesetzt und ein Dutzend Interviews gegeben. Doch der Image-Schaden bleibt an Nokia kleben. Kallasvuo hatte die Proteste unterschätzt, die aufkamen, als das Unternehmen erklärte, es werde die Produktion von Bochum nach Rumänien verlagern – und 2300 Mitarbeiter arbeitslos machen. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) erfand das Wort vom „Karawanen-Kapitalismus“ und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) kürte Nokia zur „Subventionsheuschrecke“. Jetzt streitet das Land mit dem Unternehmen, ob es 41 Millionen Euro an Subventionen zurückzahlen soll.

Muss ein Unternehmen seinen Mitarbeitern in der Region immer treu sein? Oder darf es weiterziehen, wenn irgendwo eine höhere Rendite lockt? Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagt, Nokia sei „ein Beispiel für Staatsversagen, nicht für Marktversagen“. Wenn ein Land ein Unternehmen mit großzügigen Subventionen locke, dürfe es sich nicht wundern, „dass das Unternehmen weiterzieht, wenn es andernorts mehr Subventionen geboten bekommt“. Und tatsächlich argumentiert auch der Wirtschaftsethiker Karl Homann, solche Unternehmensentscheidungen seien Ausgeburten eines „stinknormalen Wettbewerbs“, der die Bedingung unseres Wohlstandes sei. Ein Unternehmen habe allerdings die Verantwortung, seine Entscheidung zu erklären.

In der Wirtschaft allerdings herrscht Unbehagen über die eigene Außendarstellung. So klagt Air-Berlin-Chef Joachim Hunold, es käme oft genug vor, dass Unternehmensführer „unglücklich“ kommunizierten – wie beispielsweise die Großbank, die zeitgleich mit ihrem Rekordgewinn den Abbau von mehreren Tausend Arbeitsplätzen verkündet. Es gebe tatsächlich Unternehmer und Manager, die nicht über den eigenen Tellerrand hinausschauten. „Getrieben vom Druck der Börsen nach immer höheren Gewinnen, entlassen sie Leute oder verlegen Betriebe in Billiglohnländer, ohne darüber nachzudenken, dass sie damit das heimische Konsumklima verschlechtern“, kritisiert Hunold.

Ein Unternehmer, der einen Familienbetrieb führt, mit seinem eigenen Vermögen haftet und dem Standort treu bleibt, genießt in Umfragen nach wie vor Respekt. In Verruf geraten scheint allerdings der angestellte Unternehmenslenker. Inzwischen sortiert das Meinungsforschungsinstitut Forsa nicht nur Steuerinspektoren und Beamte, sondern auch Manager als „Berufsgruppe mit geringem Ansehen“ ein. Und gemeint sind damit die Führungskräfte in den großen Konzernen.

Der Verband Die Familienunternehmer – ASU hat daraus seine ganz eigenen Konsequenzen gezogen. In einer neuen Broschüre, die bald in Druck gehen soll, beschwört er „das Leitbild der Familienunternehmer“ – und grenzt sich damit öffentlich und vorsichtshalber von den Dax-Managern ab. „Leider nutzt die Politik immer wieder die Raffke-Mentalität einiger weniger angestellter Manager zu pauschaler Kritik am Unternehmertum und bringt damit auch alle verantwortlich handelnden Familienunternehmer in Misskredit“, heißt es in der Ankündigung der Publikation. Mit den Konzernmanagern wollen die Familienunternehmer daher lieber nichts gemein haben – auch wenn Otto Normalzeitungsleser mit dieser Unterscheidung wahrscheinlich wenig anfangen kann.

Selbst Ökonomen, die den Marktkräften von Berufs wegen zugeneigt sind, kommen inzwischen ins Grübeln. „Die wirtschaftspolitischen Schlagzeilen der letzten Monate haben der Glaubwürdigkeit von Kapitalismus und Marktwirtschaft enorm geschadet“, sagt Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Welt-Wirtschaftsinstitutes (HWWI). Vom dramatischen Kursabsturz an den Börsen über die Milliardenverluste der Banken bis hin zur „Unbeholfenheit gewisser Führungskräfte“ bei der Krisenbewältigung – alles in allem verfestige sich in immer weiter gezogenen Kreisen der Gesellschaft „das Bild eines ungezügelten, unkontrollierbaren, eigengesetzlichen, intransparenten Systems, dem niemand mehr so richtig trauen mag“.

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