Deutschlands Geldadel Wie die Reichen ticken

Sie werden als "Oligarchen" beschimpft, ihnen wird pauschal "Steuerflucht" vorgeworfen oder zumindest "Gier". Ein Reichtumsforscher, ein Top-Personaler und ein Unternehmer ergründen den Unmut auf Deutschlands Geldadel.

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Hamburg-Blankenese. Quelle: Marco2811 - Fotolia

Ein Wintertag in Berlin, ungemütliches Wetter, man trifft sich am besten drinnen. Es ist früher Vormittag als Wolfgang Lauterbach ins Café Einstein bittet, erste Lage, direkt am Boulevard Unter den Linden. Das Einstein gilt als Treffpunkt der Berliner Hautevolee: Politiker, Journalisten, Unternehmer besetzen die Tische. Lauterbachs Klientel. Er hat vielleicht wie kein Zweiter die Psyche der deutschen Oberschicht ergründet. Schon vor sieben Jahren begann er, von Haus aus Soziologe mit Lehrstuhl an der Uni Potsdam, sich mit den Verhältnissen der obersten drei Prozent der deutschen Gesellschaft zu befassen. Das brachte ihm den Titel "Reichtumsforscher" ein.

Nun hat er für SPD-Bundessozialministerin Nahles den sogenannten Armuts- und Reichtumsbericht mit verfasst. Gerade ist er veröffentlicht worden, nach einigem hin- und her über die Frage, ob es den Deutschen gut oder schlecht geht. Von einer Oligarchie der Reichen sprach Arbeitsministerin Nahles. Kanzlerin Merkel indes betonte lieber die Rekordzahlen bei Beschäftigung und Einkommen. Lauterbachs Bericht diente beiden als Argument. Instrumentalisiert, meint der Forscher, habe er sich von der Politik

dennoch nicht gefühlt. Er habe eine Studie geliefert, der Job der Politiker sei es eben, die Ergebnisse zu interpretieren. Was ihm aber komisch vorkomme sei die Berichterstattung in den Medien: zu einseitig, zu verkürzt sei die gewesen. "Man sich aufgehalten mit der Armutsdebatte. Dabei wird es immer relative Armut geben – das ist doch klar."

von Dieter Schnaas, Simon Book, Max Haerder, Mona Fromm

Tatsächlich ist es die bestimmende Debatte dieser Tage: Ob Altersarmut oder Kinderarmut – die Nachrichtensendungen und Magazine sind voll mit Inhalten über Abstiegs- und Verlustängste der Menschen. Wichtige Themen, keine Frage. Aber geht es Deutschland nicht wirtschaftlich so gut, wie lange nicht? Haben wir nicht Rekordbeschäftigung und steigende Aktienkurse? Sollten wir uns nicht womöglich mal den Reichtum im Lande genauer ansehen, statt immer nur die Armut zu beleuchten?

Lauterbach findet: ja. Er und seine Kollegen haben deshalb beim diesjährigen Bericht den Fokus geändert und den Reichtum erforscht, statt der Armut im Land nachzuspüren. Während nämlich kaum eine gesellschaftliche Gruppe so gut durchleuchtet ist, wie das untere Drittel der Einkommensskala, ist es bei den oberen Zehntausend genau umgekehrt: man weiß wenig über sie. Sehr wenig, um genau zu sein. Wie also fühlt sich die Elite, Herr Lauterbach?

Lauterbach bestellt Kaffee und Croissant. Dann beginnt er seine Vermessung. Er ist ein feingliedriger Mann mit geschliffenen Umgangsformen. Ganz so, wie die meisten seiner Gesprächspartner: Unternehmer und Manager, Erben und Neureiche. Altes Geld, vor allen Dingen, aber auch New-Economy-Stars. Repräsentativ lässt sich daraus wenig ableiten. Dazu ist die deutsche Oberschicht wohl auch noch immer zu klein. Aber qualitative Erkenntnisse gibt es. Zum Beispiel die, dass mit zunehmender finanzieller Unabhängigkeit oft auch der Sinn für die Realität abhandenkommt.

"Kein Bewusstsein für die gesellschaftlichen Probleme"

"Es gibt bei der Gruppe der Reichen und Superreichen manchmal kein Bewusstsein für die gesellschaftlichen Probleme", sagt Lauterbach. "Die Sorge vor Armut oder das Risiko der Arbeitslosigkeit können diese Menschen oft nicht nachvollziehen." Zu sehr, meint Lauterbach, seien sie unterwegs in ihren eigenen Zirkeln: Im Golfverein oder im Rotary-Club, aber auch in der 70-Stunden-Woche. Ihr einziger wirklicher Mangel bestehe oft in der Ressource Zeit. Wirklich reich ist für den Professor deshalb jemand erst, wenn er sich von den "Notwendigkeiten des Alltags abkoppeln" könne – etwa indem man "sich nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen muss."

134 Millionäre und Milliardäre hat Lauterbach in den vergangenen Monaten besucht.  Für jede Gruppe der Vermögenden gebe es eigene Befunde zum Umgang mit Geld.  Insgesamt aber lasse sich festhalten, dass der Anteil der Reichen seit Mitte der 90er Jahre weitgehend stabil ist, die viel beschriebene "Schere" kaum weiter auseinandergeht und die Reichen gar überproportional zum Steueraufkommen beitragen. Laut Lauterbach geht es also vielen Menschen besser – der wirtschaftlichen Entwicklung sei Dank.

Diese 36 Deutschen besitzen zusammen so viel wie die Hälfte der Deutschen

Aufstieg und Vermögen seien zudem für die meisten hierzulande ein Lebensziel. "Wenn sie die Menschen nach sieben Wünschen fragen, dann haben sieben davon mit Geld und Vermögen zu tun: Reichtum bedeutet Status, Ansehen, Sicherheit – vor allem Freiheit", meint er. Und dennoch spricht er von einer "Stigmatisierung" der Wohlhabenden, die sich deshalb immer mehr zurückzögen aus der Öffentlichkeit und der politischen Debatte. Es dominiere dann oft der Neid – und dieses diffuse Gefühl in der Öffentlichkeit: die Reichen bedienten sich schamlos am Gemeinwesen.

Das Problem daran ist: Solche Gefühle gewinnen heute Wahlen. Oder könnten sie gewinnen. Die SPD jedenfalls ist fest entschlossen, das Thema Gerechtigkeit zum Leitmotiv ihrer Kampagne für die Bundestagswahl zu machen. Gerade arbeitet die Partei an einem wirtschafts- und steuerpolitischen Konzept. Gut möglich, das darin die Reichensteuer wieder eine Rolle spielt. Linke und Grüne sind ohnehin seit Jahren dafür. Und auch Finanzminister Schäuble lässt sich inzwischen mit Aussagen vernehmen, die " Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geben nicht immer ein gutes Bild" ab.

Bewerten wir den Wert des Geldes über?

So scheint die Politik auf gutem Wege, riesige Geschütze gegen eine relativ kleine Gruppe aufzufahren – die der Reichen und Superreichen. Dass diese sich öffentlich nur langsam aus der Deckung traut und ihre Interessen artikuliert, leistet dem noch Vorschub. Ist es womöglich an der Zeit, die Frage einmal umzudrehen: Fühlen sich "die da oben" am Ende wirklich stigmatisiert?

"Eindeutig ja", sagt Nicolas von Rosty, Deutschlandchef der Personalberatung Spencer Stuart, als er in seinem Dachbüro über der Münchner Leopoldstraße empfängt. "Deshalb redet hier auch keiner über Geld. Das ist ein absolutes Tabu. Man hat Angst vor der Reaktion der Öffentlichkeit." Er kenne ja viele Reiche – als Kunden, aber auch als Freunde. Reich ist für ihn, wer drei Millionen Euro auf dem Konto hat, liquide Mittel, jederzeit verfügbar. Wer es soweit geschafft habe, meint von Rosty, für den sei Geld nur mehr ein reiner Katalysator, etwas, das man der Gesellschaft irgendwann irgendwie wieder zurückgäbe – durch Arbeitsplätze, Ausgaben des Unternehmens, auch durch Spenden und Stiftungen.

Niemand habe ja sein ganzes Geld einfach auf dem Konto liegen. Es werde ständig reinvestiert, gebunden, auch verprasst. Das aber sei vielen Menschen gar nicht bewusst. Deshalb seien Reiche zum Lieblingsziel der Medien und Politiker geworden, zu einer "bedrohten Minderheit", die es nicht wage über Geld offen zu reden.

Von Rosty redet über Geld. Jeden Tag. Gerade kommt er von einem Klienten, einem Reichen natürlich, für den er eine Führungskraft suchen soll. Das Salär, meint er, spiele bei solchen Funktionen oft kaum noch eine Rolle. Vielmehr gehe es um die Herausforderung des Jobs, die "Erfolgsstory", die ein Bewerber mit dem Unternehmen schreiben könne, die "Incentives". Schon früher bei Siemens war von Rosty für dieses Thema zuständig. Dabei hat er eines gelernt: Je höher die Position, desto unwichtiger das Gehalt. Am Ende sei es vor allem ein "Hygienefaktor", mit dem das Unternehmen den Wert eines Managers unterstreiche. Etwas Schlimmes kann er daran nicht finden.

Andererseits: einen angestellten Manager, der freiwillig auf ein unverschämt hohes Gehalt verzichtet hat, hat von Rosty in seinen vielen Jahren auch noch nicht getroffen.

"Eigentum verpflichtet zur Verantwortung"

Verstehen wir also vielleicht die Vermögenden einfach nur falsch? Bewerten wir den Wert des Geldes über – während es für die Reichen gar keine so große Rolle mehr spielt?

Wer sich mit Michael Prinz zu Sachsen-Weimar darüber unterhält, der hört von Neid nicht viel. Aber von Missgunst. Der Prinz, ein freundlicher Zeitgenosse, der auch mit 70 noch unermüdlich im Minutentakt E-Mails beantwortet, telefoniert und konferiert, ist Unternehmer, 40 bis 50 Millionen Euro schwer, bewirtschaftet Ländereien und vor allem die Wälder der Familie, eben jenes Gebiet in Ostdeutschland, das ihnen durch so viele Kriege und Diktaturen immer wieder streitig gemacht wurde. Die Missgunst, sagt er, resultiere meist aus Unwissenheit seiner Mitmenschen. "Die glauben etwa, dass ich mit dem Holzeinschlag in meinem Forstbetrieb Gold schürfe. Dabei erbringe ich damit eine erhebliche Leistung für die Umwelt."

Eigentlich, meint der Fürst, gebe es doch zu Neid wenig Anlass. Es gehe gerecht zu in Deutschland, Bildungsmöglichkeiten seien für jeden verfügbar, ökonomisch habe jeder die Chance auf Teilhabe. Aber "natürlich ist das auch eine philosophische Frage: es gibt nun mal keine Gleichartigkeit zwischen den Menschen. Manche werden mit körperlichen Nachteilen geboren, andere mit sportlichem Talent. Insofern ist die Ungleichheit in den Menschen angelegt." Ob der Staat das korrigieren kann? Prinz Michael vertraut da lieber auf die Reichen selbst. Ein Drittel seiner Zeit, rechnet er vor, verbringt er mit wohltätigen Aufgaben, ist in drei Stiftungen aktiv, spendet Geld. "Eigentum verpflichtet zur Verantwortung", sagt der Prinz.

Am Ende eines erfolgreichen Daseins müsse man zurückgeben. "Wenn sich jeder, der über 65 ist ehrenamtlich engagieren würde, mit Rat, Tat und Geld, dann gäbe es wesentlich weniger sozialen Sprengstoff und weniger Notwendigkeit für den Staat, Missstände durch Gesetze zu regulieren."

Dem würde wohl auch Reichenforscher Lauterbach zustimmen. Nach seinen vielen Gesprächen und Studien steht für ihn jedenfalls eines fest: "An Reichtum ist gar nichts schlecht. Nur werden Nutzen und Innovationskraft von Reichtum bei uns oftmals sehr, sehr wenig beleuchtet."

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