Ein Wintertag in Berlin, ungemütliches Wetter, man trifft sich am besten drinnen. Es ist früher Vormittag als Wolfgang Lauterbach ins Café Einstein bittet, erste Lage, direkt am Boulevard Unter den Linden. Das Einstein gilt als Treffpunkt der Berliner Hautevolee: Politiker, Journalisten, Unternehmer besetzen die Tische. Lauterbachs Klientel. Er hat vielleicht wie kein Zweiter die Psyche der deutschen Oberschicht ergründet. Schon vor sieben Jahren begann er, von Haus aus Soziologe mit Lehrstuhl an der Uni Potsdam, sich mit den Verhältnissen der obersten drei Prozent der deutschen Gesellschaft zu befassen. Das brachte ihm den Titel "Reichtumsforscher" ein.
Nun hat er für SPD-Bundessozialministerin Nahles den sogenannten Armuts- und Reichtumsbericht mit verfasst. Gerade ist er veröffentlicht worden, nach einigem hin- und her über die Frage, ob es den Deutschen gut oder schlecht geht. Von einer Oligarchie der Reichen sprach Arbeitsministerin Nahles. Kanzlerin Merkel indes betonte lieber die Rekordzahlen bei Beschäftigung und Einkommen. Lauterbachs Bericht diente beiden als Argument. Instrumentalisiert, meint der Forscher, habe er sich von der Politik
dennoch nicht gefühlt. Er habe eine Studie geliefert, der Job der Politiker sei es eben, die Ergebnisse zu interpretieren. Was ihm aber komisch vorkomme sei die Berichterstattung in den Medien: zu einseitig, zu verkürzt sei die gewesen. "Man sich aufgehalten mit der Armutsdebatte. Dabei wird es immer relative Armut geben – das ist doch klar."
Tatsächlich ist es die bestimmende Debatte dieser Tage: Ob Altersarmut oder Kinderarmut – die Nachrichtensendungen und Magazine sind voll mit Inhalten über Abstiegs- und Verlustängste der Menschen. Wichtige Themen, keine Frage. Aber geht es Deutschland nicht wirtschaftlich so gut, wie lange nicht? Haben wir nicht Rekordbeschäftigung und steigende Aktienkurse? Sollten wir uns nicht womöglich mal den Reichtum im Lande genauer ansehen, statt immer nur die Armut zu beleuchten?
Lauterbach findet: ja. Er und seine Kollegen haben deshalb beim diesjährigen Bericht den Fokus geändert und den Reichtum erforscht, statt der Armut im Land nachzuspüren. Während nämlich kaum eine gesellschaftliche Gruppe so gut durchleuchtet ist, wie das untere Drittel der Einkommensskala, ist es bei den oberen Zehntausend genau umgekehrt: man weiß wenig über sie. Sehr wenig, um genau zu sein. Wie also fühlt sich die Elite, Herr Lauterbach?
Lauterbach bestellt Kaffee und Croissant. Dann beginnt er seine Vermessung. Er ist ein feingliedriger Mann mit geschliffenen Umgangsformen. Ganz so, wie die meisten seiner Gesprächspartner: Unternehmer und Manager, Erben und Neureiche. Altes Geld, vor allen Dingen, aber auch New-Economy-Stars. Repräsentativ lässt sich daraus wenig ableiten. Dazu ist die deutsche Oberschicht wohl auch noch immer zu klein. Aber qualitative Erkenntnisse gibt es. Zum Beispiel die, dass mit zunehmender finanzieller Unabhängigkeit oft auch der Sinn für die Realität abhandenkommt.
"Kein Bewusstsein für die gesellschaftlichen Probleme"
"Es gibt bei der Gruppe der Reichen und Superreichen manchmal kein Bewusstsein für die gesellschaftlichen Probleme", sagt Lauterbach. "Die Sorge vor Armut oder das Risiko der Arbeitslosigkeit können diese Menschen oft nicht nachvollziehen." Zu sehr, meint Lauterbach, seien sie unterwegs in ihren eigenen Zirkeln: Im Golfverein oder im Rotary-Club, aber auch in der 70-Stunden-Woche. Ihr einziger wirklicher Mangel bestehe oft in der Ressource Zeit. Wirklich reich ist für den Professor deshalb jemand erst, wenn er sich von den "Notwendigkeiten des Alltags abkoppeln" könne – etwa indem man "sich nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen muss."
134 Millionäre und Milliardäre hat Lauterbach in den vergangenen Monaten besucht. Für jede Gruppe der Vermögenden gebe es eigene Befunde zum Umgang mit Geld. Insgesamt aber lasse sich festhalten, dass der Anteil der Reichen seit Mitte der 90er Jahre weitgehend stabil ist, die viel beschriebene "Schere" kaum weiter auseinandergeht und die Reichen gar überproportional zum Steueraufkommen beitragen. Laut Lauterbach geht es also vielen Menschen besser – der wirtschaftlichen Entwicklung sei Dank.
Diese 36 Deutschen besitzen zusammen so viel wie die Hälfte der Deutschen
Der aktuelle Bericht der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam-Bericht zeigt: Im Jahr 2016 besaßen die acht reichsten Männer der Welt zusammengenommen 426 Milliarden Dollar und damit mehr als die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (3,6 Milliarden Menschen mit insgesamt 409 Milliarden Dollar). Es gibt jedoch auch eine Liste reicher Deutscher, deren Vermögen dem der ärmeren Hälfte der deutschen Bevölkerung entspricht.
Platz 36 der reichsten Deutschen belegt Traudl Engelhorn mit einem Vermögen von insgesamt 3,8 Milliarden Dollar. Demgegenüber steht die Summe von 299,2 Milliarden Dollar: So viel besitzt die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung zusammen an Immobilien, Bargeld, Kunst, Autos, Aktien und sonstigen Wertgegenständen.
Ebenfalls je 3,8 Milliarden Dollar beträgt das Vermögen der Brüder Herz, deren Familie mit Tchibo verbunden ist. Michael Herz und Wolfgang Herz sind Anteilseigner an Maxingvest.
Auch das Vermögen des im Mai 2016 verstorbenen Heinz-Georg Baus beläuft sich auf insgesamt 3,8 Milliarden Dollar. Der gelernte Schreiner und Glaser gründete 1960 das Unternehmen Bauhaus.
Ralph Dommermuth, Gründer, Vorstandsvorsitzender und größter Aktionär der United Internet AG, kommt auf ein Vermögen von 4,2 Milliarden Dollar.
Bernard Broermann , Gründer der Asklepios Kliniken, besitzt ein Gesamtvermögen von 4,3 Milliarden Dollar.
Die Unternehmerfamilie Reimann ist eine der wohlhabendsten Familien Deutschlands. Den Kern der Gesellschafterfamilie bilden Renate Reimann-Haas, Holdingsprecher Wolfgang Reimann sowie die Cousins Matthias Reimann-Andersen und Stefan Reimann-Andersen. Jeder der vier besitzt ein Vermögen von 4,4 Milliarden Dollar.
Die Gesellschafterin der Schaeffler AG, Maria-Elisabeth Schaeffler, kommt auf ein Vermögen von 4,5 Milliarden Dollar.
Milchmagnat Theo Müller besitzt ebenfalls 4,5 Milliarden Dollar.
Der in Heidelberg geborene Unternehmer Hans Peter Wild, zu dessen Unternehmen die Marke Capri-Sonne gehört, besitzt ein Vermögen von 4,7 Milliarden Dollar. Mittlerweile lebt Wild in der Schweiz.
Auf exakt fünf Milliarden Dollar beläuft sich das Vermögen des ehemaligen Eigentümers der Massa-Märkte, Karl-Heinz Kipp.
Ludwig Merckle, Sohn von Ruth und Adolf Merckle, ist Geschäftsführer der Merckle Unternehmensgruppe und sitzt bei diversen Unternehmen im Aufsichtsrat. Merckles Vermögen beläuft sich auf 5,1 Milliarden Dollar.
Günther Fielmann, Mehrheitsaktionär der Fielmann AG, besitzt 5,3 Milliarden Dollar. Damit belegt er Platz 20 unter den reichsten Deutschen.
Bernhard Aloys Wobben gilt als Pionier im Bereich Windenergie. Der Gründer des Windenergieanlagenherstellers Enercon kommt auf ein Gesamtvermögen von 5,4 Milliarden Dollar.
Heinrich Otto Deichmann, Leiter des Schuheinzelhändlers Deichmann, besitzt ein Vermögen von 5,6 Milliarden Dollar.
Wolfgang Marguerre ist Gründer, Eigentümer und CEO der Octapharma AG. Er besitzt ein Vermögen von 6,1 Milliarden Dollar.
Der im Oktober 2016 verstorbene Curt Engelhorn war bis 1997 Mitgesellschafter des Pharma-Unternehmens Boehringer Mannheim, das seine Familie an Hoffmann-La Roche verkaufte. Engelhorns Vermögen beläuft sich auf 6,2 Milliarden Dollar.
Walter Droege kommt auf ein Vermögen von 6,4 Milliarden Dollar. Er ist Gründer und Leiter des Beratungs- und Investmentunternehmens Droege International Group AG mit Sitz in Düsseldorf.
Der Investor und Bankier, August von Finck, kommt auf ein Gesamtvermögen von 7,6 Milliarden Dollar.
Der SAP-Mitgründer Dietmar Hopp besitzt ein Vermögen von 7,9 Milliarden Dollar.
Schraubenkönig Reinhold Würth besitzt 8,1 Milliarden Dollar.
Udo und Harald Tschira sind die Söhne von Klaus Tschira, einem der Mitgründer des Softwareunternehmens SAP. Ihr Vermögen beläuft sich auf 9,3 Milliarden Dollar.
Ebenfalls ein SAP-Mitgründer ist Hasso Plattner. Sein Vermögen beläuft sich auf 9,5 Milliarden Euro. Damit ist er der zehntreichste Deutsche.
Klaus-Michael Kühne ist Verwaltungsratsmitglied und größter Einzelaktionär des Logistikdienstleisters Kühne + Nagel. Außerdem ist er Anteilseigner des HSV. Kühne besitzt ein Vermögen von zehn Milliarden Dollar.
Heinz Hermann Thiele ist Eigentümer der Knorr-Bremse AG und steht bei Vossloh dem Aufsichtsrat vor. Er besitzt ein Vermögen in Höhe von 11,7 Milliarden Dollar.
Michael Otto, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Otto Gruppe, besitzt ein Vermögen von 15,4 Milliarden Dollar.
Stefan Quandt, BMW-Großaktionär, besitzt 15,6 Milliarden Dollar.
Dieter Schwarz, Gründer und Eigentümer der Schwarz-Gruppe, besitzt ein Vermögen von 16,4 Milliarden Dollar. Damit ist der Lidl- und Kaufland-Chef der fünftreichste Deutsche.
Auf Platz vier folgt der bereits verstorbene Unternehmer Georg Schaeffler. Sein Vermögen beläuft sich auf 18,1 Milliarde Dollar.
Susanne Klatten, Tochter von Herbert und Johanna Quandt, ist mit einem Vermögen von 18,5 Milliarden Dollar die reichste Frau Deutschlands
Theo Albrecht, Gründer von Aldi Nord, ist posthum der zweitreichste Deutsche. Sein Vermögen beläuft sich auf 20,3 Milliarden Dollar.
Der verstorbene Aldi-Gründer Karl Albrecht Jr. und seine Tochter Beate Heister, geborene Albrecht, sind die reichsten Deutschen. Zusammen besitzen sie ein Vermögen in Höhe von 25,9 Milliarden Dollar.
Aufstieg und Vermögen seien zudem für die meisten hierzulande ein Lebensziel. "Wenn sie die Menschen nach sieben Wünschen fragen, dann haben sieben davon mit Geld und Vermögen zu tun: Reichtum bedeutet Status, Ansehen, Sicherheit – vor allem Freiheit", meint er. Und dennoch spricht er von einer "Stigmatisierung" der Wohlhabenden, die sich deshalb immer mehr zurückzögen aus der Öffentlichkeit und der politischen Debatte. Es dominiere dann oft der Neid – und dieses diffuse Gefühl in der Öffentlichkeit: die Reichen bedienten sich schamlos am Gemeinwesen.
Das Problem daran ist: Solche Gefühle gewinnen heute Wahlen. Oder könnten sie gewinnen. Die SPD jedenfalls ist fest entschlossen, das Thema Gerechtigkeit zum Leitmotiv ihrer Kampagne für die Bundestagswahl zu machen. Gerade arbeitet die Partei an einem wirtschafts- und steuerpolitischen Konzept. Gut möglich, das darin die Reichensteuer wieder eine Rolle spielt. Linke und Grüne sind ohnehin seit Jahren dafür. Und auch Finanzminister Schäuble lässt sich inzwischen mit Aussagen vernehmen, die " Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geben nicht immer ein gutes Bild" ab.