Die Freytags-Frage

Welche Aufgaben hat eigentlich der Bundesfinanzminister?

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Berechtigte Kritik

Bundesländer müssen Gürtel enger schnallen
Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse schreibt vor, dass die Bundesländer ab 2020 ohne neue Schulden auskommen müssen. Bis dahin sollte der Haushalt strukturell ausgeglichen sein. "Der Vergleich der sehr unterschiedlichen finanziellen Rahmenbedingungen der Bundesländer zeigt, wo die Konsolidierung der Länder- und Kommunalfinanzen ansetzen kann", kommentiert PwC-Vorstandssprecher Norbert Winkeljohann. In der Studie wurde auf Basis der Finanzsalden 2011 berechnet, in welchem Maß Länder-und Kommunalausgaben bis 2020 sinken beziehungsweise steigen sollten. Dabei wurden Steuereinnahmen, Mittel aus dem Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen berücksichtigt und die Ausgabenseite um Zins-und Pensionsverpflichtungen bereinigt. Quelle: dpa
Saarland & BremenDie beiden kleinsten Bundesländer, Bremen und das Saarland stehen vor den größten Herausforderungen. Ihre Ausgaben liegen heute über dem Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer. Diese müssen bis 2020 real gesenkt werden, um die Schuldenbremse noch zu erreichen. "Wichtig für beide Länder ist, dass sie sich in ihrem Ausgabeverhalten an den jeweils für den Aufgabenbereich effizientesten Ländern orientieren und nicht am Durchschnitt der Flächenländer West", erklärt Alfred Höhn, PwC-Partner und Leiter des Bereiches öffentlicher Sektor. Vor allem aufgrund von Zins-und Pensionsverpflichtungen werden sie 2020 deutlich weniger finanzielle Mittel zur Verfügung haben als andere Bundesländer. Der Stadtstaat Bremen musste beispielsweise im Jahr 2011 knapp ein Drittel seiner Finanzmittel für Zinsen und Versorgung verwenden. Anders wäre es, wenn Schulden und Versorgungslasten nicht berücksichtigt werden: Da hätte Bremen 2020 ein Drittel mehr an Kopfmasse pro Jahr zur Verfügung als das durchschnittliche Land. Quelle: dpa
Bayern und Baden-WürttembergGemeinsam mit Hamburg und Hessen gehören die beiden südlichsten Bundesländer zu den Geberländern im Länderfinanzausgleich. Die Länder sind in der günstigen Situation, die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen. So könnte Baden-Württemberg dann rund sechs Prozent, Bayern elf Prozent mehr pro Einwohner ausgeben als der Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer. Schulden würden sie dann trotzdem nicht machen. Bayern gibt pro Einwohner 219 Euro in der Kernverwaltung aus. Das sind mehr als 100 Euro mehr als in Hessen. Quelle: dpa
Sachsen-Anhalt & OstdeutschlandDas ostdeutsche Bundesland wird in den kommenden Jahren mit einem erheblichen Bevölkerungsrückgang rechnen müssen. Ein Zehntel seiner Einwohner wird Sachsen-Anhalt bis 2020 verlieren; die Bevölkerung in Bayern hingegen wird wachsen. Insgesamt hast Ostdeutschland - mit Ausnahme von Sachsen - vor erheblichen Herausforderungen stehen, die vor allem aus dem Bevölkerungsrückgang und dem hohen Ausgabenniveau resultieren, wie PWC in einem Interview auf seinem Internetauftritt mitteilt. Quelle: dpa
HessenDas westdeutsche Bundesland steht zum Beispiel mit Bayern auf der "Geberseite" im Länderfinanzausgleich und hat überdurchschnittlich hohe Einnahmen. Anders als Bayern muss Hessen seinen Haushalt bis 2020 deutlich stärker konsolidieren. Der Grund dafür liegt darin, dass Land und die hessischen Kommunen für die Kernverwaltung 352 Euro aufwenden. Außerdem sind in den meisten Aufgabenbereichen die Ausgaben höher als im Bundesdurchschnitt. Quelle: dpa
BerlinDie Bundeshauptstadt weist vor allem im Bereich der Personalausstattung erhebliche Unterschiede zu anderen Bundesländern auf. Nur 3,2 Vollzeitkräfte werden hier pro 1000 Einwohner beschäftigt. Eine deutliche Personalanpassung in den Behörden wie auch in den Verwaltungen sei durch massiven Bevölkerungsrückgang möglich. Berlin verwendet für Zinsen und Versorgung knapp ein Viertel seiner Finanzmittel. Quelle: dpa
Die Föderalismusreform hat Anfang 2009 beschlossen die Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland zu begrenzen. Deshalb haben Bund und Länder die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert und damit eine verbindliche Vorgabe geschaffen. Deshalb müssen die Haushalte in Zukunft ohne zusätzliche Kredite auskommen. Für die Bundesländer gilt eine Übergangsfrist bis 2020. Danach dürfen sie absolut keine neuen Schulden mehr machen. Sollte sich die wirtschaftliche Entwicklung schlechter werden, so dürfen allerdings neue Schulden aufgenommen werden. Diese müssen dann ausgeglichen werden, wenn sich die Wirtschaft wieder erholt hat. Quelle: obs

Die finanzpolitischen Beziehungen innerhalb der Bundesrepublik und zwischen den Bundesländern sind ebenfalls Gegenstand zahlreicher Kritik. Wiederum stehen Anreizprobleme im Mittelpunkt. Warum sollte die Regierung im Saarland einen Euro sparen oder entsprechend höhere Steuern eintreiben, wenn mehr als 90 Cent wieder durch Kürzungen des Finanzausgleichs verloren gehen? Der Fall Nürburgring wird umso tragikomischer, wenn man sich der Worte des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettingers erinnert, der auf die Bitte, den Hockenheimring genauso zu fördern, wie sein Amtskollege in Rheinland-Pfalz den Nürburgring unterstützt, nur trocken antwortet, Rheinland-Pfalz als Nehmerland des Finanzausgleichs könne sich das leisten, Baden-Württemberg als Geberland aber nicht. Es ist kein Zufall, dass die Geberländer zur Zeit klagen. Es wird Zeit, dass der Finanzminister sein Gewicht in die Waagschale wirft, um einen neuen anreizkompatiblen Finanzausgleich zu schaffen. Immerhin sind Finanzpolitiker der CDU – dem Vernehmen nach in Kontakt mit dem Minister – dabei, Änderungsvorschläge auszuarbeiten.

"Rettungsgelder sind das kleinere Übel"

Umstrittene Entscheidungen

Und schließlich zur fiskalischen Stabilität. Gebetsmühlenartig wiederholen deutsche Politiker einschließlich des Finanzministers die Notwendigkeit zur Sparsamkeit und zur Stabilität. Dennoch reichen Rekord-Steuereinnahmen von wohl mehr als 600 Milliarden Euro für 2012 nicht aus, für das kommende Jahr einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu präsentieren. Gleichzeitig werden mit Elterngeld und Zusatzrenten neue sozialpolitische Wohltaten an die Bürger – wohl vor allem in ihrer Funktion als Wähler – geplant. Die Effekte dieser Leistungen sind überaus umstritten.

Es ist nicht die Aufgabe des Finanzministers, die Ordnungskonformität dieser Maßnahmen zu prüfen (das wäre Aufgabe des Wirtschaftsministers, dem Gegenstand einer späteren Kolumne); es ist aber Aufgabe des Finanzministers, die Ressorts daran zu hindern, aus politischer Opportunität und Kurzsichtigkeit langfristige finanzielle Verpflichtungen für den Bund aufzubauen. Nebenbei bemerkt könnte das Ministerium auch etwas für den Subventionsabbau tun; insgesamt werden jedes Jahr über 160 Milliarden Euro an Subventionen gewährt.

In den drei letzten Bereichen (Steuerpolitik, Finanzausgleich und Haushaltsdisziplin), die man wohl getrost zu seinen zentralen Aufgaben zählen darf, zeigt der Bundesfinanzminister (vermutlich anders als seine Beamten) keinen erkennbaren Ehrgeiz. Stattdessen gibt der Minister vor, den Euro retten zu wollen. Zumindest solange der Verdacht besteht, dies alles diene einigen im politischen Europa nur dazu, die Macht der europäischen „Eliten“ zu stärken, und gleichzeitig notwendige Reformen, die in ganz Europa anstehen, zu verschieben bzw. zu begraben, ist die Vernachlässigung der Kernaufgaben des Ministeriums vor allem zynisch zu nennen.

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