Die Grünen Geschlechter- oder Flügelprinzip?

Cem Özdemir und Simone Peter hören auf. Wer ihnen nachfolgt und nach welchem Prinzip die Chefposten besetzt werden, darüber diskutieren die Grünen. Sie müssen aufpassen, ihre neu gewonnene Glaubwürdigkeit nicht zu verspielen.

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Cem Özdemir und Simone Peter ziehen sich aus dem Parteivorstand zurück. Die Suche nach ihren Nachfolgern läuft. Quelle: dpa

Berlin Eigentlich war es ein Termin ohne große Bedeutung: Cem Özdemir und Simone Peter, die bisherigen Parteichefs der Grünen, wollten am Nachmittag nur die Ergebnisse der Vorstandsklausur mitteilen. Doch Peter hatte am Morgen überraschend verlauten lassen, dass sie nicht mehr für das Amt der Bundesvorsitzenden kandidiert. Özdemir hatte das vor vielen Monaten, schon lange vor der Bundestagswahl, angekündigt. Bei der Vorstandsklausur ging es also vielmehr um die Zukunft der Partei. „Es brechen neue Zeiten an mit neuen Gesichtern“, sagte Özdemir.

Beim Bundesparteitag am 26. und 27. Januar in Hannover müssen die Grünen eine vollständig neue Doppelspitze küren. „Die Grundprinzipien der Partei werden sich dadurch aber nicht ändern“, sagte Peter nach der Klausur. Personalfragen über ihre Nachfolge würden vorübergehen, die Partei müsse sich stattdessen weiterhin auf die thematische Arbeit konzentrieren.

Das Rennen um den Parteivorsitz ist noch nicht entschieden. Im Dezember hatten Robert Habeck (48), Vize-Regierungschef in Schleswig-Holstein, und die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock (37) ihre Kandidatur erklärt. Am Montag hat auch die Parteilinke Anja Piel ihre Bewerbung für das Spitzenamt angekündigt. Piel, 52, ist Fraktionsvorsitzende der Grünen in Niedersachsen. Noch-Vorsitzende Peter hält „alle drei für gut wählbare Personen.“ Parteichef Özdemir wollte sich zu einem Nachfolger nicht konkret äußern. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ hatte er gesagt, dass er die Kandidatur von Habeck und Baerbock unterstütze. Die Kandidatur Piels stand da noch nicht fest.

Bei den Grünen muss mindestens eine Frau in einer Führungsposition sein. Traditionell werden die Chefposten auch mit Vertretern des linken und des realpolitischen Flügels besetzt. Anders als bei der Frauenquote ist die Besetzung mit Vertretern beider Flügel aber nicht in den Statuten festgeschrieben. Sowohl Habeck als auch Baerbock werden zum realpolitischen Flügel gezählt – genauso wie der bisherige Vorsitzende Özdemir. Die neue Kandidatin Piel gilt wie Peter als Vertreterin des linken Flügels.

Ob die Posten überhaupt nach dem Flügelprinzip besetzt werden, das ist in der Partei umstritten. Özdemir sprach sich dafür aus, dass die Zugehörigkeit zu Flügeln „nicht das einzige und alles entscheidende Kriterium“ sein dürfe. Die drei Kandidaten hatten bereits erklärt, nicht für einen Parteiflügel, sondern für die gesamte Partei anzutreten.


Özdemir ohne Amt: „Ich füge mich dem – aber ohne Groll“

Und die steht vor größeren Problemen: Obwohl die Partei bei der Bundestagswahl nur mäßig abgeschnitten hatte, bestand zwischenzeitlich die Möglichkeit zu regieren – als Teil einer Jamaika-Koalition. Sollte es nun wieder zu einer Großen Koalition kommen, wären die Grünen nach AfD, FDP und Linke die kleinste Oppositionspartei. „Die Grünen stehen jetzt vor einer schwierigen Debatte“, sagte der Soziologe Heinz Bude, der an der Universität Kassel lehrt. Bude war von den Grünen zu einem Vortrag über gesellschaftlichen Wandel eingeladen worden.

Der Wissenschaftler bescheinigte den Grünen einen „hohen Glaubwürdigkeitsgewinn“ – aus zweierlei Gründen: Die Partei habe sich auf ein Thema, die Bekämpfung des Klimawandels, fokussiert. Zudem habe sie sich bei den Jamaika-Sondierungen als kompromissfähig und verhandlungsfähig gezeigt. Das scheint auch bei der Bevölkerung anzukommen: Zwei Meinungsforschungsinstitute sehen die Grünen derzeit bei 12 Prozent – drei Prozentpunkte mehr als noch bei der Bundestagswahl im September. Bude mahnte, dass die Grünen diese Kompetenz nicht durch eine Personaldebatte verspielen dürfen.

Diese dürfte jetzt noch drei Wochen anhalten. So schloss auch der mögliche Nachfolger Habeck gegenüber der Deutschen Presse-Agentur nicht aus, dass noch ein weiterer Mann kandidieren könnte. Klar ist bislang nur eines: Özdemir und Peter werden auf dem Bundesparteitag offiziell verabschiedet.

Özdemir war über neun Jahre lang Vorsitzender der Partei. Er hatte darauf spekuliert, Minister in einer Jamaika-Koalition zu werden. Nun steht er ganz ohne Führungsposition dar – seine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz nahm er am Wochenende überraschend zurück. In der Fraktion hat er nach eigenen Angaben keine Mehrheit. „Es ist deshalb eine nüchterne Entscheidung: Ich füge mich dem – aber ohne Groll.“ Als Politiker könne er „Dinge nun pointierter formulieren“, während er als Grünen-Chef Kompromisse hätte herbeiführen müssen. Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt kündigte an, Özdemir werde eine „herausragende Rolle“ bekommen, in der er für die Grünen als gewichtige Stimme agieren könne. „Es wäre dumm, wenn wir sein Talent nicht nutzen“, sagte sie dem „Tagesspiegel am Sonntag“.

Peter, die seit 2013 an der Spitze der Grünen steht, war in der Partei umstritten. Ihre Kandidatur galt zudem als relativ aussichtslos. Die scheidende Vorsitzende begründete ihren Rückzug auch mit der Kandidatur Piels. Sie wolle einer Erneuerung der Partei nicht im Wege stehen, schrieb sie in einem Brief an die Partei. Was sie zukünftig macht, ließ sie offen. Sie ist kein Mitglied des Bundestages.

Während im politischen Berlin in den kommenden Tagen noch viel über die Zukunft des Parteivorstandes diskutiert wird, dürfte in der Fraktion alles beim Alten bleiben: Die Wiederwahl von Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter am Freitag gilt als sicher.

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