Die Zukunft des Liberalismus

Sechs Thesen zum Tod der FDP - und zur Rettung des Liberalismus 

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Was wurde aus der Idee der Freiheit?

Was also ist schief gelaufen mit der Idee der wirtschaftlichen Freiheit? Warum stimmt die salvierende Formel vom demokratischen Wandel nicht mehr, der dem Handel auf dem Fuße folgt?

Nun, eine Antwort darauf wüsste ausgerechnet Milton Friedman. Er hat 1976 kein Problem darin gesehen, der chilenischen Militärjunta „technischen wirtschaftlichen Rat zu geben“ – und damit nicht nur die materielle Not vieler Chilenen gelindert, sondern auch die Idee der unteilbaren Freiheit verraten.

Seither sind wirtschaftliche und politische Freiheit keine zweieiigen Zwillinge mehr. Seither neigen „Liberale“ dazu, „der Wirtschaft“ Vorfahrt vor „der Politik“ zu gewähren.

Echte Liberale wie Ralf Dahrendorf oder Karl-Hermann Flach hätten sich für solche Vereinseitigungen der Freiheitsidee geschämt. Ihr Liberalismus meinte den „Freiheitsdrang der Menschen“. Und ihr Wirtschaftsliberalismus meinte leistungsfördernden Wettbewerb innerhalb eines staatlichen Ordnungsrahmens – und keinen Business-Class-Liberalismus, der die Marktmacht von globalen Konzernen protegiert, die liberale Demokratie als Fessel des Marktes schmäht und sich vor autoritativen Staaten ihrer „wirtschaftlichen Freiheit“ wegen verneigt. 

Wenn aber Investitionen nur noch dorthin gehen, wo entweder die Steuersätze oder die Löhne oder die Sozialstandards oder die Umweltauflagen oder aber alles zugleich niedrig sind, dann honoriert und fördert der Markt nicht mehr die Freiheit und die Liberalität des Westens, sondern dann akzeptiert er die Bedingungen, die er vorfindet - und der Traum von der politischen Freiheit, die der angeblich der wirtschaftlichen Freiheit auf dem Fuße folgt, ist kein Traum mehr. Sondern Selbstbetrug und Lüge.

3. Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze    

Liberale neigen dazu, den modernen Sozialstaat zu verunglimpfen, weil sie hinter jedem Zuwachs staatlicher Fürsorge eine Freiheitsberaubung wittern und hinter jeder sozialpolitischen Maßnahme eine Gleichmacherei, die die Spannkraft ihrer Nutznießer lähmt.

Denkt man diesen Gedanken zu Ende, wäre die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik seit 1945 eine einzige Dekadenzgeschichte. Das aber ist, mit Verlaub, Unsinn. Denn natürlich hat der Zuwachs an sozialer Sicherheit die Freiheit der Menschen nicht nur gelähmt, sondern auch gestärkt - und Deutschland noch dazu innerlich befriedet.

Vielleicht sollte es Liberale hoffnungsfroh stimmen, dass sie die Gleichheit nun schon seit 150 Jahren unaufhaltsam auf dem Vormarsch wähnen - und dass die Freiheit dennoch nicht tot zu kriegen ist. Und vielleicht liegt die Krise des Liberalismus ja exakt darin begründet: Dass er uns seit anderthalb Jahrhunderten nichts Neues zu sagen hat. Dass uns die Liberalen seit den Tagen von Wilhelm von Humboldt und John Stuart Mill in endlosen Reprisen ihrer Formeln und Phrasen einen „Mangel an Reife zur Freiheit“ attestieren. Und dass sie uns dem immer gleichen Vorwurf aussetzen, wir seien sicherheitsverliebte Herdentiere, die nur darauf warten, sich von einem fürsorglich-paternalistischen Staat auf sattgrüne Weidegründe führen zu lassen.

Kann es sein, dass wir das ewige Lamento, wir seien willenlose Schafe, eingeschlossen in den Fangarmen eines bürokratischen Umverteilungsstaates, der sich wie eine Krake über unser Denken, Fühlen und Handeln legt, bis all‘ unsere Eigeninitiative erlahmt ist, einfach nicht mehr hören können? 

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