Diesel-Zukunft „Industriepolitisch fahrlässig und klimapolitisch fatal“

Großbritannien macht es vor: Die Regierung will Diesel- und Benzinautos verbieten. Berlin fährt eine andere Strategie. Ein Fehler, finden Kommunen und Umweltschützer. Sie fordern eine Verkehrswende mit mehr E-Mobilität.

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In Großbritannien ist ab 2040 Schluss mit Diesel-Autos. Deutschland will sich noch nicht auf ein Ende der Verbrennungsmotoren festlegen. Quelle: dpa

Berlin Für die Bundesregierung kommt die Diskussion offenbar zur Unzeit. Dass Großbritannien für die Zeit nach 2040 den Ausstieg aus Dieselautos und Benzinern angekündigt hat, passt wenige Tage vor dem Regierungsgipfel zum Diesel so gar nicht ins Konzept. Soll es bei dem Treffen zwischen  Politik und Autoindustrie doch vor allem um die Reduzierung von Schadstoffemissionen gehen – bei gleichzeitigem Erhalt der Dieseltechnologie versteht sich.

Deshalb machte Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Mittwoch auch sogleich unmissverständlich klar: „Ein Verbot von Diesel-Fahrzeugen oder Benzinern steht derzeit nicht auf der Agenda der Bundesregierung.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe häufig davor gewarnt, den Diesel zu verteufeln, da er wegen seines geringeren CO2-Ausstoßes klimafreundlicher sei als Benzinmotoren. Vor wenigen Wochen klang das allerdings noch anders.

Da sah Merkel noch eine Trendwende in der Autoindustrie. „Wir sind in einer Transformationsphase weg vom Verbrennungsmotor“, sagte die Kanzlerin noch Ende Juni in einem Interview mit der „WirtschaftsWoche“. „Wir haben staatliche Prämien für den Kauf von Elektromotoren auch gegen erheblichen Widerstand durchgesetzt.“ Aber, fügte sie einschränkend hinzu, wie schnell diese Transformation vorangehen solle, das müsse immer wieder ausgehandelt werden, „und deshalb ist der sehr sparsame Verbrennungsmotor vielleicht in Kombination als Hybrid noch für eine ganze Zeit lang aus meiner Sicht vernünftig“.

Die Kommunen, aber auch Umweltverbände würden hingegen die Kanzlerin lieber heute als morgen beim Wort nehmen. Denn sie haben längst erkannt, dass Verbrennungsmotoren ein Auslaufmodell sind. Nicht von ungefähr macht sich daher der Städte- und Gemeindebund dafür stark, dass vom „Nationalen Forum Diesel“ das Signal einer deutschlandweiten Verkehrswende ausgehen sollte. „Der Dieselgipfel am 2. August muss den Durchbruch bringen“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem Handelsblatt. Es gehe um weit mehr als um einzelne Fahrverbote in bestimmten Städten. „Auf dem Spiel steht nicht weniger als der Automobil- und Wirtschaftsstandort Deutschland und damit auch eine große Anzahl von Arbeitsplätzen.“

Landsberg forderte, die Verkehrswende „beherzt“ anzugehen. So müssten Politik und die Automobilindustrie den Transformationsprozess zur Elektromobilität deutlich schneller vorantreiben. „Unter einer Verkehrswende sind zudem auch der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, die Stärkung der Fahrradinfrastruktur und möglichst viel Anreize zu verstehen, um den Individualverkehr in den Innenstädten zu reduzieren“, fügte der Städtebund-Geschäftsführer hinzu. Überdies müsse durch „konsequente“ Digitalisierung und den Bau von Umgehungsstraßen sichergestellt werden, dass der Verkehr „deutlich verflüssigt“ werde. „Auch das sind wichtige Maßnahme gegen die Feinstaubbelastung“, sagte Landsberg.

Von solchen Überlegungen will das Bundesverkehrsministerium von Ressortchef Alexander Dobrindt (CSU nicht viel wissen. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums kritisierte am Mittwoch eine Festlegung auf ein Ende der Verbrennungsmotoren als „relativ fantasielos“, weil sie zum Beispiel Erkenntnisse der Forschung außer Acht lasse. Das Klima habe nichts davon, wenn Autos mit Strom unterwegs seien, der zum Beispiel mit Braunkohle produziert werde.

Die Positionierung Dobrindts ruft Greenpeace auf den Plan. In einem Brandbrief wendet sich die Umweltschutzorganisation direkt an Kanzlerin Merkel und mahnt eine Entscheidung über das Ende von Diesel- und Benzinmotoren in Pkw an. Dringend notwendig sei ein „Gesetzentwurf zum mittelfristigen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor“. „Nur ein solcher Beschluss gibt der Autoindustrie den für ihr Überleben dringend nötigen Innovationsimpuls“, heißt es in einem Brief von Greenpeace-Geschäftsführer Roland Hipp an Merkel. Das Schreiben, das am Donnerstag verschickt werden soll, lag dem Handelsblatt vorab vor.

Hipp kritisierte in diesem Zusammenhang den Fokus des geplanten Diesel-Gipfels der Bundesregierung am 2. August als „falsch gewählt“, weil dort „Wiederbelebungsversuche einer sterbenden Antriebstechnik“ im Mittelpunkt stünden. Dabei habe sie, die Kanzlerin, unlängst in der „Wirtschaftswoche“ bereits ausgesprochen, was Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) „konsequent ignoriert“.


Autoindustrie braucht „klare regulatorische Vorgabe“

Jetzt müsse ein „klares politisches Signal“ folgen - schon wegen der „rasanten Entwicklung“ elektrischer Antriebe und digitaler Angebote, betonte der Greenpeace-Deutschland-Chef. Hipp verwies auf China, das eine Quote für E-Autos einführen wolle, auf den Autobauer Volvo, der den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bereits eingeleitet habe und auf Unternehmen wie Tesla, die massiv in den Ausbau der E-Mobilität investierten. „Trotz der sich beschleunigenden Veränderung passiert bei deutschen Herstellern und der Bundesregierung erschreckend wenig“, kritisierte Hipp. „Dies ist industriepolitisch fahrlässig und klimapolitisch fatal.“

Greenpeace sei daher „der festen Überzeugung“, schreibt Hipp an die Kanzlerin, „dass die deutsche Autoindustrie nur durch eine klare regulatorische Vorgabe ihre Innovationspotenziale nutzt, um den Weg in eine klimapolitisch verträgliche und ökonomisch nachhaltige Zukunft zu finden“.  Die Industrie habe in den vergangenen Jahren „leider bewiesen, dass sie aus eigenem Antrieb nicht in der Lage oder nicht willens ist, Entscheidungen mit der nötigen Tragweite zu treffen“, fügte er hinzu.

„Deshalb braucht Deutschland jetzt einen politischen Beschluss für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor.“ Nur mit einem „konkreten Enddatum“ für den Verbrennungsmotor „werden die notwendige Kreativität freigesetzt und der Innovationsgeist geweckt, mit denen die Konzerne ihr Geschäftsmodell so umbauen können, dass sowohl das Klima geschützt als auch Arbeitsplätze erhalten werden können“.

Handlungsbedarf sieht Greenpeace schon deshalb, weil die von den Herstellern „mindestens illegitim oder sogar illegal manipulierten Abgaswerte“ von Millionen von Diesel-Pkw eine „massive und zudem vermeidbare Gesundheitsgefahr“ darstelle. Die oft um ein Vielfaches über den Grenzwerten liegenden Stickoxidwerte der Fahrzeuge hätten zu gefährlich hohen Schadstoffwerten in deutschen Städten geführt. Das Atemgift Stickstoffdioxid führe alleine in Deutschland zu mehr als 10.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr. Diese hohe Zahl sei „nicht hinnehmbar“, so Greenpeace-Chef Hipp.

Überleben könne der Dieselmotor daher nur dann, wenn er auch auf der Straße die Grenzwerte für Stickoxide einhalte. „Davon aber sind bislang selbst die modernsten Euro-6-Motoren meilenweit entfernt“, so Hipp. Ihre Emissionen lägen im realen Gebrauch im Durchschnitt um 700 Prozent über dem erlaubten Wert, wie der Forscherverbund ICCT Anfang des Jahres errechnet habe. Software-Updates könnten diese gravierenden Überschreitungen „bestenfalls graduell mindern, beheben können sie sie nicht.“

Hipp äußerte Zweifel an den Nachrüstangeboten der Autobauer. Bei dem von Dobrindt geplanten Diesel-Gipfel wolle die Autoindustrie Software-Updates anbieten, um dadurch drohende Fahrverbote zu verhindern. „Dieser Kuhhandel kann nicht gelingen“, so Hipp. Neue Motorsoftware alleine werde die Luftprobleme in deutschen Städten nicht lösen. „Entsprechend ist die Veranstaltung schon jetzt zum Scheitern verurteilt.“  Zumal es dem Verkehrsminister auch gar nicht um den Gesundheitsschutz der Bürger gehe, sondern um die Rettung des Dieselmotors.

„Dies zeigt sich auch durch seine vehemente und fortwährende Blockade einer bundesweit einheitlichen Blauen Plakette“, erläuterte der Greenpeace-Chef. „Diese böte den Kommunen schnelle und wirksame Hilfe, um die dreckigsten Diesel aus den Innenstädten zu halten.“ Indem Dobrindt aber das wirksamste Instrument der Luftreinhaltung vorzeitig ausschließe, sei eine ergebnisoffene Debatte über den Weg zu mehr Gesundheitsschutz unmöglich.

Für die Kommunen ist indes klar, welcher Weg jetzt beschritten werden muss: Ganz im Sinne des Verursacherprinzips seien die Hersteller in der Pflicht, das verlorene Vertrauen der Verbraucher „nachhaltig wieder herzustellen“, sagte Städtebund-Chef Landsberg. „Wir brauchen eine schnelle Nachrüstung für die betroffenen Dieselfahrzeuge, und die Kosten müssen die Hersteller übernehmen.“ Hier sei Eile geboten. „Die Umrüstungen müssen schnell erfolgen, damit Fahrverbote, die die Bürger und auch den Lieferverkehr im Alltag maßgeblich beeinträchtigen, generell vermieden werden können.“

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