Lassen wir zunächst den Bundesinnenminister sprechen. Auch er hat einiges zu sagen, wenn es um die digitale Zukunft in diesem Land geht, etwa im Bereich der Cybersicherheit und der digitalen Verwaltung. Und Thomas de Maizière sagt: „Was die Bundesregierung in den vergangen vier Jahren im Rahmen der Digitalen Agenda erreicht hat, kann sich sehen lassen.“
Die Bundesregierung hat am Mittwoch ihren Legislaturbericht zur Digitalen Agenda 2014 bis 2017 veröffentlicht. Natürlich ist darin von „Meilensteinen“, „Erfolgen“ und „Kompetenzen“ die Rede. Doch das für die Pressemitteilung abgestimmte Statement von de Maizière lässt tief blicken. Hätte sich die Regierung vor drei Jahren ein Ziel gesetzt, das „sich sehen lassen kann“, man hätte es wohl in der Luft zerrissen. Es klingt wie: man hat sich stets bemüht.
Deutschland ist in Sachen Digitalisierung noch immer weit weg von der Weltspitze – und das weiß wohl auch die Bundesregierung. Beim superschnellen Internet mit Glasfaseranschluss hinkt die Republik international hinterher, freie WLAN-Hot-Spots drohen neue Einschränkungen und bei der digitalen Verwaltung gibt es seit Jahren keinen Fortschritt.
Das wurde auch auf einer Konferenz des Internetverbands eco in Kooperation mit der WirtschaftsWoche in Berlin Anfang der Woche deutlich. Digitalpolitiker der Bundestagsparteien beurteilten in Zwei-Minuten-Statements zu verschiedenen Themen die digitale Lage der Nation. Das Fazit der Politiker: Deutschland bewegt sich zu langsam. Selbst Politiker aus den eigenen Reihen der großen Koalition sehen noch Luft nach oben.
Beispiel Breitbandausbau: Deutschland liegt beim Ausbau von leistungsfähigen Glasfaserkabeln international im hinteren Drittel. Gerade mal sieben Prozent der Haushalte sind derzeit mit der Technologie angeschlossen. Künftig, so SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann, dürfe man sich nicht mehr auf einen Download-Wert von 50 Megabit pro Sekunde ausrichten. „Wir brauchen Glasfaser überall“, sagte Zimmermann. „Vectoring war ein Fehler.“
Der Sozialdemokrat greift die Bundesregierung damit direkt an. Zwar investierte der Bund in den vergangenen vier Jahren der Legislaturperiode rund vier Milliarden Euro in die Förderung des Breitbandausbaus. Doch davon profitierte vor allem auch die Deutsche Telekom, die ihre eigentlich veraltete Kupfertechnologie aufrüstete, um noch ein paar Megabit aus ihren vorhandenen Leitungen zu quetschen. Das ist zwar billiger, doch die Zukunft liegt eindeutig in der Glasfaserinfrastruktur.
Immerhin legte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) Anfang März einen Investitionsplan vor für die nächsten zehn Jahre vor. Bund und Wirtschaft wollen 100 Milliarden Euro in den Breitbandausbau investieren. 18 Milliarden Euro davon kommt vom Staat. Das wären 1,8 Milliarden Euro pro Jahr.
Doch reicht das? Und wie will man die Investitionen finanzieren? Linken-Digital-Experte Herbert Behrens forderte auf dem Podium des eco-Abends einen „Griff in die Kasse“. Der Staat müsse die Infrastruktur bereitstellen. Das Glasfasernetz sei vergleichbar mit den rund 13.000 Autobahnkilometern, die schließlich auch der Staat gebaut habe. Für die CDU kommt das nicht in Frage. CDU-Experte Andreas Nick kontert: „Wir brauchen keine Verstaatlichung des Breitbandausbaus.“ Man müsse „privates Kapital mobilisieren“.
Schnellere Entwicklung nötig als bislang
Zwei Fliegen mit einer Klappe wollen die Grünen erledigen. Sie bekräftigten ihre Forderung, dass der Bund sich endlich von seinen Telekom-Anteilen trennen sollte. „Die Erlöse von etwa zehn Milliarden Euro sollten in eine Breitbandbundesgesellschaft fließen, die den Glasfaserausbau in strukturschwachen Gebieten fördert“, sagte Tabea Rößner von den Grünen. 2025 sollten mindestens 75 Prozent der Haushalte über einen Anschluss mit Glasfasertechnik verfügen. Ein Verkauf der Telekom-Aktien hätte auch ordnungspolitische Vorteile: Der Staat würde bei Wettbewerbsentscheidungen nicht mehr in Versuchung kommen können, das eigene Unternehmen besser zu stellen.
Dass sich eine Gigabitgesellschaft schneller entwickeln muss als bislang, daran haben alle Parteien keinen Zweifel. „Die Gigabitgesellschaft muss in Deutschland bis zum Jahr 2025 Realität werden“, sagte dazu auch eco-Verbands-Experte Klaus Landefeld. Mit Blick auf die nächste Legislaturperiode sagte er: „Aufgrund von Aufbauzeiten von mindestens sieben, eher zehn Jahren und mehr“ müsse es „einen konkreten Plan zum Aufbau von Faser Infrastrukturen als einzige wirklich zukunftssichere Technologie“ geben. Dies müsse von „von Anfang an Bestandteil eines Regierungsprogramm sein“.
Es geht dabei zum einen um die reine Downloadgeschwindigkeit. Wer sich bei einem 50-Megabit-Anschluss einen Film in HD-Auflösung mit einer Größe von 25 Gigabyte runter laden will, braucht dafür mehr als eine Stunde. Bei einem Gigabit-Anschluss ginge das in etwas mehr als drei Minuten. In Zukunft werden außerdem auch Latenzzeiten und Paketverluste eine immer größere Rolle spielen, also wie schnell Geräte miteinander kommunizieren können. An Glasfaserkabel, so viel ist klar, geht kein Weg dran vorbei.
Doch damit wäre allenfalls die physische Hardwareproblem gelöst. Doch wie sieht es aus bei anderen wichtigen Themen der Digitalisierung? Etwa den freien WLAN-Hot Spots?
Zehn Fakten zur Digitalisierung
Einer Studie des IT-Verbands Bitkom zufolge hat die Digitalisierung allein im Jahr 2012 in Deutschland 1,46 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Besonders stark ist demnach der Anstieg der Beschäftigung mit 976.000 in den Dienstleistungssektoren.
Die Erwartungen der Entscheider an die Digitalisierung sind laut der Studie „Digital Leader – Leadership im digitalen Zeitalter“ des Marktforschungsunternehmens Crisp Research im Auftrag des IT-Dienstleisters Dimension Data zufolge hoch. Demnach hoffen drei Viertel aller Befragten, die Kundenbeziehungen auf ein höheres Niveau heben zu können. Ähnlich viele Führungskräfte erwarten bessere interne Prozesse und eine flexiblere Organisation.
Digitalisierung ist nach den Studienergebnissen von Crisp Research eine Generationenfrage. „Jüngere Entscheider schätzen den Einfluss der Digitalisierung auf das eigene Unternehmen sehr viel höher ein als die älteren Befragten“, bilanziert das Marktforschungsunternehmen. Demnach liegt der Anteil derjenigen Führungskräfte, die den Einfluss der Digitalisierung auf das eigene Unternehmen als sehr stark einschätzen, bei den unter 40-jährigen Managern fast doppelt so hoch wie bei den über 40-Jährigen.
Digitalisierung ist nach den Studienergebnissen von Crisp Research eine Generationenfrage. „Jüngere Entscheider schätzen den Einfluss der Digitalisierung auf das eigene Unternehmen sehr viel höher ein als die älteren Befragten“, bilanziert das Marktforschungsunternehmen. Demnach liegt der Anteil derjenigen Führungskräfte, die den Einfluss der Digitalisierung auf das eigene Unternehmen als sehr stark einschätzen, bei den unter 40-jährigen Managern fast doppelt so hoch wie bei den über 40-Jährigen.
Bis 2020 will die deutsche Industrie laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC) jährlich 40 Milliarden Euro in Industrie 4.0-Anwendungen investieren. Die befragten Firmen gehen davon aus, dass ihre Wertschöpfungsketten innerhalb der nächsten sechs Jahre zu über 80 Prozent digitalisiert sind. Analog dazu wird eine Umsatzsteigerung um 2,5 Prozent jährlich erwartet.
Deutsche Unternehmen sind sich nach Angaben des Marktforschungsinstituts Crisp Research einig, dass die zugrundeliegende Infrastruktur ein maßgeblicher Faktor für eine erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung ist. Für mehr als zwei Drittel (68 Prozent) ist sie laut der empirischen Studie „Digital Business Readiness – Wie deutsche Unternehmen die Digitale Transformation angehen“ die alles entscheidende Basis. Auf ihrem Weg ins digitale Zeitalter begleitet werden Unternehmen etwa von der Deutschen Telekom, die ihre Netze bis 2018 auf die neue IP-Technologie umstellt.
Die Selbsteinschätzung der Führungskräfte widerspricht in starkem Maße den Ergebnissen der Studie von Crisp Research. So würden sich fast 40 Prozent der Befragten als Digital Leader bezeichnen, fast 60 Prozent bewerten ihre digitalen Skills als stark oder sehr ausgeprägt.
Laut der Umfrage von TNS Infratest unter mittelständischen Unternehmen sind digitale Prozesse ein echter Umsatztreiber. Demnach wächst fast jede zweite Firma (44 Prozent), die bereits viel in Sachen Digitalisierung getan hat. Besonders positiv wirkt sich die Digitalisierung zum Beispiel auf die Möglichkeiten zur Darstellung der Firma im Internet, die Kundenbetreuung sowie die Kommunikation mit Lieferanten und Partnern aus.
Der Wirtschaftsstandort Deutschland kann nach Angaben des IT-Verbands Bitkom stark von der Digitalisierung profitieren. Bis zum Jahr 2025 sind laut IT-Verband allein in sechs volkswirtschaftlich wichtigen Branchen – Auto- und Maschinenbau, Chemie, Landwirtschaft, Elektro- und Informationstechnik – Produktivitätssteigerungen von rund 78 Milliarden Euro möglich.
Das Potenzial der Digitalisierung bewerten viele Mittelständler als große Chance, die Umsetzung erfolgt gleichzeitig jedoch sehr zögerlich. Das zeigt eine Umfrage des Marktforschungsinstituts TNS Infratest im Auftrag der Commerzbank unter 4.000 Führungskräften. So geben 86 Prozent der Top-Manager an, dass sie fest an die Digitalisierung glauben. 63 Prozent der Befragten räumen allerdings ein, dass sie das Thema derzeit vernachlässigen.
Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr eigentlich ein gutes Gesetz vorgelegt, sagt eco. Die Störerhaftung, nach der bisher ein Café-Besitzer für die Downloads ihrer Kunden zur Haftung gezogen werden konnte, wurde aufgehoben. Nutzer eines offenen WLAN-Netzes müssen jetzt nicht einmal mehr ein Häkchen setzen, wenn sie sich in ein offenes Netz einloggen. Doch nun soll das Gesetz wieder überarbeitet werden – mit neuen Regeln zu Netzsperren gegenüber Anbietern. Eco-Experte Landefeld warnt: Der überwiegende Teil der WLANs werde nicht durch große Konzerne realisiert, sondern durch branchenfremde Unternehmen. „Die Betreiber haben keinerlei Erfahrung mit derartigen Themen.“ Der derzeit aktive Aufbau offener WLANs „wird hierdurch erneut gefährdet“. Dabei sei WLAN im internationalen Vergleich die mobile Zugangstechnologie schlechthin.
Fatal fällt das Urteil der Digital-Politiker beim Thema der digitalen Verwaltung aus. „Deutschland ist abgehängt“, sagte Grünen-Expertin Rößner. Es gebe viele Vorbehalte der Bürger gegen neue Services. Auch CDU-Experte Nick sagt: „Jeder baut Insellösungen.“ Kommunen und Länder hätten unterschiedliche Strategien. Hier zeigten sich die Nachteile des Föderalismus. Linken-Politiker Behrens forderte deshalb auch einen „top-down-Ansatz“. Der Staat müsse Prozesse und Produkte „standardisieren“, damit sich digitale Verwaltungslösungen durchsetzen.
Natürlich fehlte bei der Diskussion des eco-Verbandes auch das Paradebeispiel für eine funktionierende Verwaltung nicht: Estland. CDU-Abgeordneter Nick sagte mit Blick auf das baltische Land, das wie kein anderes Land in Europa sämtliche Verwaltungsschritte wie Steuererklärung, Gesundheitskarte und Unternehmensgründung digitalisiert hat: „Wir dürfen nicht immer über Probleme, sondern müssen über die Chancen reden.“
Auch SPD-Kollege Zimmermann verwies auf Estland. Er habe das Land vor kurzem besucht. Dort habe man ihm gesagt: „Der elektronische Ausweis hat die Digitalisierung dort erst so richtig in Gang gebracht.“ Dies sei eine sichere und komfortable Lösung. Der elektronische Ausweis müsse auch in Deutschland stärker in den politischen Fokus rücken.
Für eco-Experte Landefeld ist klar, dass Deutschland bei der Digitalisierung der Verwaltungen noch die meisten Hausaufgaben zu erledigen hat. Die vollständige Digitalisierung von Behörden und staatlichen Einrichtungen müsse „schnellstmöglich umgesetzt werden“. Die Transformation von staatlichen Einrichtungen in die digitale Welt des 21. Jahrhunderts „steckt noch in den Kinderschuhen.“ Um einen funktionierenden Austausch mit den Bürgern und der Wirtschaft zu gewährleisten, müsse der Reformstau aufgelöst werden. „Hierzu brauchen wir eine zentral koordinierte Strategie, die zudem auch sicherstellt, dass die behördlichen Systeme interoperabel sind.“