Digitale Agenda Der steinige Weg in die Gigabit-Gesellschaft

Die Bundesregierung lobt sich für ihre digitalen Errungenschaften. Doch tatsächlich hinkt Deutschland noch immer hinterher. Kritik kommt sogar aus den eigenen Reihen.

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Legislaturbericht Digitale Agenda 2014-2017. Quelle: dpa

Lassen wir zunächst den Bundesinnenminister sprechen. Auch er hat einiges zu sagen, wenn es um die digitale Zukunft in diesem Land geht, etwa im Bereich der Cybersicherheit und der digitalen Verwaltung. Und Thomas de Maizière sagt: „Was die Bundesregierung in den vergangen vier Jahren im Rahmen der Digitalen Agenda erreicht hat, kann sich sehen lassen.“

Die Bundesregierung hat am Mittwoch ihren Legislaturbericht zur Digitalen Agenda 2014 bis 2017 veröffentlicht. Natürlich ist darin von „Meilensteinen“, „Erfolgen“ und „Kompetenzen“ die Rede. Doch das für die Pressemitteilung abgestimmte Statement von de Maizière lässt tief blicken. Hätte sich die Regierung vor drei Jahren ein Ziel gesetzt, das „sich sehen lassen kann“, man hätte es wohl in der Luft zerrissen. Es klingt wie: man hat sich stets bemüht.

Deutschland ist in Sachen Digitalisierung noch immer weit weg von der Weltspitze – und das weiß wohl auch die Bundesregierung. Beim superschnellen Internet mit Glasfaseranschluss hinkt die Republik international hinterher, freie WLAN-Hot-Spots drohen neue Einschränkungen und bei der digitalen Verwaltung gibt es seit Jahren keinen Fortschritt.

Diese Länder haben das schnellste Internet
Platz 25: DeutschlandBis 2018 will die Bundesregierung alle deutschen Haushalte mit schnellem Datenfluss versorgen – 50 Megabit pro Sekunde sollen für jeden Bundesbürger drin sein. Es bleibt aber dabei: Deutsche sind im Internet vergleichsweise eher langsam unterwegs. Der aktuellen Ausgabe des State of the Internet Reports zufolge liegt die Bundesrepublik im Ranking der Länder mit dem schnellsten Internetzugang derzeit auf Platz 25 (14,6 Mbit/s). Damit hat sich Deutschland im Akamai-Ranking um drei Plätze verschlechtert. Die zehn Länder mit der schnellsten Surfgeschwindigkeit im Überblick. Quelle: dpa
Platz 10: NiederlandeDie Datenübertragungsrate wird in Megabit pro Sekunde (Mbit/s) gemessen. Ein Megabit entspricht einer Million Bit. Den Sprung von 14,2 Megabit pro Sekunde von vor zwei Jahren auf 17,6 Megabit pro Sekunde schaffen unsere niederländischen Nachbarn. Quelle: dpa
Platz 9: Japan Das Bild zeigt die Insel Okinoshima in Japan. Der ländliche Eindruck trügt hier: Japan ist hochtechnisiert und verfügt über schnelles Internet mit 19,6 Mbit/s. Damit hat sich die Surfgeschwindigkeit in Japan in den letzten zwei Jahren um 4,4 Mbit/s erhöht. Quelle: dpa
Platz 8: SingapurZu den zehn Ländern mit dem schnellsten Internetzugang gehört auch Singapur. Im Stadtstaat sind die Bürger mit einer durchschnittlichen Surfgeschwindigkeit von 20,2 Mbit/s unterwegs. Quelle: dpa
Platz 7: FinnlandDie finnische Bevölkerung surft im Durchschnitt mit einer Downloadrate von 20,6 Megabit pro Sekunde. Im Vergleich: Vor zwei Jahren lag die durchschnittliche Rate noch bei 12,1 Mbit/s. Quelle: dpa
Platz 6: DänemarkEin weiteres Land in Europa reiht sich unter die Top Ten ein: Die Dänen sind mit einer durchschnittlichen Surfgeschwindigkeit von 20,7 Mbit/s vergleichsweise schnell unterwegs. Quelle: dpa
Platz 5: SchweizUnter die Top 5 der Länder mit dem schnellsten Internet hat es erneut die Schweiz geschafft: Die durchschnittliche Downloadrate beträgt 21,2 Megabit in der Sekunde. Einen Film in SD-Qualität von 1 Gigabyte Größe kann man damit in etwa sechseinhalb Minuten herunterladen. Quelle: dpa

Das wurde auch auf einer Konferenz des Internetverbands eco in Kooperation mit der WirtschaftsWoche in Berlin Anfang der Woche deutlich. Digitalpolitiker der Bundestagsparteien beurteilten in Zwei-Minuten-Statements zu verschiedenen Themen die digitale Lage der Nation. Das Fazit der Politiker: Deutschland bewegt sich zu langsam. Selbst Politiker aus den eigenen Reihen der großen Koalition sehen noch Luft nach oben.

Beispiel Breitbandausbau: Deutschland liegt beim Ausbau von leistungsfähigen Glasfaserkabeln international im hinteren Drittel. Gerade mal sieben Prozent der Haushalte sind derzeit mit der Technologie angeschlossen. Künftig, so SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann, dürfe man sich nicht mehr auf einen Download-Wert von 50 Megabit pro Sekunde ausrichten. „Wir brauchen Glasfaser überall“, sagte Zimmermann. „Vectoring war ein Fehler.“

Der Sozialdemokrat greift die Bundesregierung damit direkt an. Zwar investierte der Bund in den vergangenen vier Jahren der Legislaturperiode rund vier Milliarden Euro in die Förderung des Breitbandausbaus. Doch davon profitierte vor allem auch die Deutsche Telekom, die ihre eigentlich veraltete Kupfertechnologie aufrüstete, um noch ein paar Megabit aus ihren vorhandenen Leitungen zu quetschen. Das ist zwar billiger, doch die Zukunft liegt eindeutig in der Glasfaserinfrastruktur.

Immerhin legte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) Anfang März einen Investitionsplan vor für die nächsten zehn Jahre vor. Bund und Wirtschaft wollen 100 Milliarden Euro in den Breitbandausbau investieren. 18 Milliarden Euro davon kommt vom Staat. Das wären 1,8 Milliarden Euro pro Jahr.

Doch reicht das? Und wie will man die Investitionen finanzieren? Linken-Digital-Experte Herbert Behrens forderte auf dem Podium des eco-Abends einen „Griff in die Kasse“. Der Staat müsse die Infrastruktur bereitstellen. Das Glasfasernetz sei vergleichbar mit den rund 13.000 Autobahnkilometern, die schließlich auch der Staat gebaut habe. Für die CDU kommt das nicht in Frage. CDU-Experte Andreas Nick kontert: „Wir brauchen keine Verstaatlichung des Breitbandausbaus.“ Man müsse „privates Kapital mobilisieren“.

Schnellere Entwicklung nötig als bislang

Zwei Fliegen mit einer Klappe wollen die Grünen erledigen. Sie bekräftigten ihre Forderung, dass der Bund sich endlich von seinen Telekom-Anteilen trennen sollte. „Die Erlöse von etwa zehn Milliarden Euro sollten in eine Breitbandbundesgesellschaft fließen, die den Glasfaserausbau in strukturschwachen Gebieten fördert“, sagte Tabea Rößner von den Grünen. 2025 sollten mindestens 75 Prozent der Haushalte über einen Anschluss mit Glasfasertechnik verfügen. Ein Verkauf der Telekom-Aktien hätte auch ordnungspolitische Vorteile: Der Staat würde bei Wettbewerbsentscheidungen nicht mehr in Versuchung kommen können, das eigene Unternehmen besser zu stellen.

Dass sich eine Gigabitgesellschaft schneller entwickeln muss als bislang, daran haben alle Parteien keinen Zweifel. „Die Gigabitgesellschaft muss in Deutschland bis zum Jahr 2025 Realität werden“, sagte dazu auch eco-Verbands-Experte Klaus Landefeld. Mit Blick auf die nächste Legislaturperiode sagte er: „Aufgrund von Aufbauzeiten von mindestens sieben, eher zehn Jahren und mehr“ müsse es „einen konkreten Plan zum Aufbau von Faser Infrastrukturen als einzige wirklich zukunftssichere Technologie“ geben. Dies müsse von „von Anfang an Bestandteil eines Regierungsprogramm sein“.

Es geht dabei zum einen um die reine Downloadgeschwindigkeit. Wer sich bei einem 50-Megabit-Anschluss einen Film in HD-Auflösung mit einer Größe von 25 Gigabyte runter laden will, braucht dafür mehr als eine Stunde. Bei einem Gigabit-Anschluss ginge das in etwas mehr als drei Minuten. In Zukunft werden außerdem auch Latenzzeiten und Paketverluste eine immer größere Rolle spielen, also wie schnell Geräte miteinander kommunizieren können. An Glasfaserkabel, so viel ist klar, geht kein Weg dran vorbei.

Doch damit wäre allenfalls die physische Hardwareproblem gelöst. Doch wie sieht es aus bei anderen wichtigen Themen der Digitalisierung? Etwa den freien WLAN-Hot Spots?

Zehn Fakten zur Digitalisierung

Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr eigentlich ein gutes Gesetz vorgelegt, sagt eco. Die Störerhaftung, nach der bisher ein Café-Besitzer für die Downloads ihrer Kunden zur Haftung gezogen werden konnte, wurde aufgehoben. Nutzer eines offenen WLAN-Netzes müssen jetzt nicht einmal mehr ein Häkchen setzen, wenn sie sich in ein offenes Netz einloggen. Doch nun soll das Gesetz wieder überarbeitet werden – mit neuen Regeln zu Netzsperren gegenüber Anbietern. Eco-Experte Landefeld warnt: Der überwiegende Teil der WLANs werde nicht durch große Konzerne realisiert, sondern durch branchenfremde Unternehmen. „Die Betreiber haben keinerlei Erfahrung mit derartigen Themen.“ Der derzeit aktive Aufbau offener WLANs „wird hierdurch erneut gefährdet“. Dabei sei WLAN im internationalen Vergleich die mobile  Zugangstechnologie schlechthin.

Fatal fällt das Urteil der Digital-Politiker beim Thema der digitalen Verwaltung aus. „Deutschland ist abgehängt“, sagte Grünen-Expertin Rößner. Es gebe viele  Vorbehalte der Bürger gegen neue Services. Auch CDU-Experte Nick sagt: „Jeder baut Insellösungen.“  Kommunen und Länder hätten unterschiedliche Strategien. Hier zeigten sich die Nachteile des Föderalismus. Linken-Politiker Behrens forderte deshalb auch einen „top-down-Ansatz“. Der Staat müsse Prozesse und Produkte „standardisieren“, damit sich digitale Verwaltungslösungen durchsetzen.

Natürlich fehlte bei der Diskussion des eco-Verbandes auch das Paradebeispiel für eine funktionierende Verwaltung nicht: Estland. CDU-Abgeordneter Nick sagte mit Blick auf das baltische Land, das wie kein anderes Land in Europa sämtliche Verwaltungsschritte wie Steuererklärung, Gesundheitskarte und Unternehmensgründung digitalisiert hat: „Wir dürfen nicht immer über Probleme, sondern müssen über die Chancen reden.“

Auch SPD-Kollege Zimmermann verwies auf Estland. Er habe das Land vor kurzem besucht. Dort habe man ihm gesagt: „Der elektronische Ausweis hat die Digitalisierung dort erst so richtig in Gang gebracht.“ Dies sei eine sichere und komfortable Lösung. Der elektronische Ausweis müsse auch in Deutschland stärker in den politischen Fokus rücken.

Für eco-Experte Landefeld ist klar, dass Deutschland bei der Digitalisierung der Verwaltungen noch die meisten Hausaufgaben zu erledigen hat. Die vollständige Digitalisierung von Behörden und staatlichen Einrichtungen müsse „schnellstmöglich umgesetzt werden“. Die Transformation von staatlichen Einrichtungen in die digitale Welt des 21. Jahrhunderts „steckt noch in den Kinderschuhen.“ Um einen funktionierenden Austausch mit den Bürgern und der Wirtschaft zu gewährleisten, müsse der Reformstau aufgelöst werden. „Hierzu brauchen wir eine zentral koordinierte Strategie, die zudem auch sicherstellt, dass die behördlichen Systeme interoperabel sind.“

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