DIW-Chef Marcel Fratzscher "Wenn ihr Steuern senken wollt, macht es richtig"

DIW-Chef Marcel Fratzscher fordert die Senkung der Mehrwertsteuer. Warum er glaubt, Menschen mit geringem Einkommen so stärker entlasten zu können als mit einer geringeren Einkommensteuer – und welchen Nebeneffekt er sich von einer Mehrwertsteuersenkung erhofft.

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Marcel Fratzscher. Quelle: imago images

WirtschaftsWoche: Herr Fratzscher, sind Sie neuerdings Anhänger der AfD?
Marcel Fratzscher: Ich bin Wissenschaftler, unabhängig und Anhänger keiner einzigen Partei.

Sie fordern eine Senkung der Mehrwertsteuer. Die einzige Partei, die das in ihrem Wahlprogramm fordert, ist die AfD.
Nur weil wir manchmal Vorschläge machen, die von einer Partei aufgegriffen oder vertreten werden, sind wir nicht deckungsgleich mit dieser Partei. Schon gar nicht mit der AfD. Aber auch mit keiner anderen Partei. Ich sehe es als unsere Aufgabe als unabhängiges Forschungsinstitut, Analysen und Vorschläge zu machen, die dann von allen, auch von Parteien, genutzt werden können. Und ich sehe es als Erfolg, wenn Parteien dies tun und unsere Arbeit einen gesellschaftlichen Nutzen hat. Das ändert aber nichts an unserer Unabhängigkeit.

Warum fordern Sie dann die Senkung der Mehrwertsteuer?
Eigentlich sollte der derzeitige Überschuss viel besser investiert werden. Innovation, Bildung, Infrastruktur – da sollte die Priorität liegen. Die großen Parteien wollen das Geld aber lieber nutzen, um die Steuern zu senken. Sowohl Union als auch SPD haben solche Forderungen in ihren Wahlprogrammen. Ich sage: Wenn ihr mit dem Geld schon Steuern senken und so Menschen mit unteren und mittlere Einkommen entlasten wollt, dann macht es wenigstens richtig!

Zur Person

Die SPD will doch die Einkommensteuer für niedrige und mittlere Einkommen senken…
… und genau das bringt den Menschen mit geringen Einkommen fast nichts. Wer wenig Geld verdient, muss davon fast jeden Euro zum Leben ausgeben – und bezahlt somit jede Menge Mehrwertsteuer. Die Einkommensteuer fällt für diese Menschen dagegen ohnehin kaum an. Wenn man also die Einkommensteuer senkt, entlastet man gerade diese Menschen nicht.

Und die Senkung der Mehrwertsteuer funktioniert besser?
Genau. Wenn man das Ziel hat, mit den 15 Milliarden Euro Überschuss Menschen mit geringen und mittleren Einkommen zu entlasten, ist sie dafür das wirtschaftlich bessere Instrument. Wir haben das mal ausgerechnet. Mit einer Mehrwertsteuersenkung um 15 Milliarden würden wir die unteren zwei Drittel der Deutschen deutlich stärker entlasten als mit den Vorschlägen der Union oder der SPD.

Wo der Staat sparen könnte
Platz 10: Computerspielesammlung Quelle: dpa
Platz 9: Kupferbergbau in Chile Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 8: Kostenlose Sprachkurse Quelle: dpa
Platz 7: Konfliktärmeres Fahrradfahren Quelle: dpa
Platz 6: Markenfleisch von Edeka Quelle: dpa
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Platz 4: Internationale Fernsehserien Quelle: dpa

Um wie viel Prozent würde die Mehrwertsteuer dann fallen?
Wir haben verschiedene Szenarien durchgespielt. Die Senkung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt würde elf Milliarden Euro kosten. Von den 15 Milliarden Überschuss blieben dann noch vier Milliarden übrig. Die könnte man zum Beispiel dafür verwenden, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Nahrungsmittel von sieben auf fünf Prozent zu drücken. Das kostete nochmal 3,8 Milliarden Euro. Damit wären wir also ziemlich genau bei den 15 Milliarden, die die Politik durch Steuersenkungen ausgeben will.

Senkung der Mehrwertsteuer?

Die Mehrwertsteuer fällt bei den Unternehmen an. Wer sagt denn, dass sie die überhaupt an die Verbraucher weitergeben?
Das ist tatsächlich eines der Fragezeichen. Es gibt aber Studien, die belegen, dass die Unternehmen die Senkung mittelfristig weitergeben müssen – alleine schon wegen des Wettbewerbs. Bei Nahrungsmittel wird das schneller geschehen als bei Autos. Insgesamt glaube ich, dass die Senkung in weniger als zwei bis drei Jahren fast komplett bei den Leuten ankommen wird.

In Ihrem Bericht führen Sie noch ein zweites Argument für die Senkung der Mehrwertsteuer an: Die Verringerung der oft geschmähten deutschen Exportüberschüsse. Sind dafür aber nicht eher die Politik der EZB und der niedrige Euro-Kurs verantwortlich?
Das ist ehrlich gesagt kompletter Unsinn. Politiker führen dieses Argument gerne ins Feld, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Aber der Euro-Wechselkurs spielt für die deutsche Handelsbilanz nur eine geringe Rolle. Schließlich exportieren wir vor allem in europäische Länder oder Staaten, deren Währung an den Euro-Kurs gekoppelt ist. Viel wichtiger sind die geringen Importe.

Und was haben die mit der Mehrwertsteuer zu tun?
Wenn die Mehrwertsteuer sinkt, haben die Menschen mehr Geld zur Verfügung. Also geben sie auch mehr aus. Der Konsum steigt. Dadurch steigen automatisch die Importe, die ja einen Teil unseres Konsums ausmachen.

Mehrwertsteuer-Senkung: Ja oder Nein?

Aber die Kauflaune der Deutschen ist doch ohnehin schon sehr hoch. Das HDE-Konsumbarometer hat zuletzt einen Höchststand nach dem anderen gerissen.
Naja, aber es ist trotzdem noch recht viel Luft nach oben, denn so stark sind Löhne und Einkommen auch in den letzten Jahren nicht gestiegen. Ich behaupte übrigens auch nicht, dass die Senkung der Mehrwertsteuer der größte Wurf ist, um den deutschen Handelsbilanzüberschuss zu drücken. Aber es wäre ein guter Nebeneffekt einer Mehrwertsteuersenkung und wäre auch ein wichtiges Signal an unsere Nachbarn, dass wir deren Kritik an unseren Handelsüberschüssen ernst nehmen. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen sozusagen.

Angst vor Inflation haben Sie nicht?
Ach, es ist doch nicht so, dass sich die Deutschen gerade massiv verschulden würden. Von einer Überhitzung der Wirtschaft sind wir noch deutlich entfernt.

Die AfD würde die Mehrwertsteuer am liebsten gleich um sieben Prozentpunkte senken. Wären Sie da auch noch dabei?
Sieben Prozentpunkte sind absolut unrealistisch. Das würde mindestens 77 Milliarden Euro kosten, die Verschuldung wieder erhöhen und zu Lasten der jungen Generation gehen.

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