Eckhard Jesse "Die AfD hat kein richtiges Konzept"

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Warum die SPD in einer verzweifelten Lage ist

Die Union will ihren Kurs der Mitte fortsetzen. Hat sie damit überhaupt noch Chancen, enttäuschte AfD-Wähler zurückzugewinnen?
Angela Merkel wird bei ihrem Kurs bleiben, schließlich steht ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Die CDU insgesamt könnte ihren Kurs aber anpassen. Sie wird womöglich die ein oder andere Position der AfD übernehmen, allerdings ohne das groß zu verkünden. Außerdem hat nicht nur die Union das Problem. Auch frühere Wähler von Sozialdemokraten und Linken votieren für die AfD. Diese Parteien müssen ebenfalls Antworten auf die neue politische Kraft finden.

In einigen Umfragen erreicht die Große Koalition nur noch etwas mehr als 50 Prozent. Wie nachhaltig ist die Veränderung des Parteiensystems?
Wir erleben eine Zäsur des Parteiensystems. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt haben Union und SPD zusammen 40,4 Prozent geholt, Linke und AfD 40,6 Prozent. Wären die Grünen nicht ins Parlament gekommen, wären nur Neuwahlen geblieben. Kurzum: Beide Volksparteien sind in großen Schwierigkeiten. Die inhaltliche Nähe von Union und SPD führt zu einem Verdruss bei den Wählern.

Am meisten leidet die SPD. Ist sie noch zu retten?
Die Sozialdemokraten sollten 2017 in die Opposition gehen. Dann können sie sich stärker von der Union und Merkel absetzen.

Ist die SPD noch Volkspartei?
Wer Volkspartei sein will, muss drei Kriterien erfüllen. Ist eine Partei demokratisch? Das ist die SPD. Hat sie Wähler aus allen Schichten? Ja, das trifft zu. Und: Erreicht sie eine große Masse? Wenn die SPD die Abwanderung nicht stoppen kann, ist sie keine Volkspartei mehr.

Was muss die SPD tun?
Die SPD ist in einer schier verzweifelten Lage. Es gibt einen riesigen Konflikt zwischen den Funktionären auf der einen Seite und der Wählerschaft auf der anderen Seite. Die SPD erreicht die unteren Schichten kaum noch. Der sogenannte ‚kleine Mann‘ geht lieber zur AfD.

Ein Beispiel bitte.
Nehmen Sie die Flüchtlingspolitik. Viele Menschen aus den unteren Schichten haben Angst um ihre Jobs. Die SPD hätte diese Ängste aufgreifen müssen, sich von Merkel absetzen und ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik hinterfragen sollen. Damit hätte SPD-Chef Sigmar Gabriel viele potentielle Wähler erreicht. So machten diese aber lieber ihr Kreuz bei der AfD.

Das hätte die SPD-Basis aber nicht mitgemacht.

So ist es. Die Kluft zwischen Basis und Wählerschaft ist massiv und ich sehe nicht, wie sie sich schließen lässt. Die Basis muss sich fragen, ob sie mit ihren hehren Absichten und Idealen der Partei nicht eher schadet.

Manche wollen Gabriel nun loswerden. Ist er das Problem?

Auf keinen Fall. Gabriel hat ein gutes Gespür dafür, was die Menschen denken. Er muss sich vorerst auch keine Sorgen um den Vorsitz oder die Spitzenkandidatur für 2017 machen. Gegen Merkel will niemand aus der SPD verlieren, also lässt die Partei Gabriel an der Spitze. Merkel wird nach menschlichem Ermessen Kanzlerin bleiben. Und wenn die SPD klug ist, geht sie in Opposition.

Die SPD hat keine Machtperspektive für 2017?

Sie kommt an der Union nicht vorbei – und Rot-Rot-Grün ist keine Option. Gabriel muss andeuten, dass die Partei in Würde in die Opposition gehen wird. Die SPD muss auf die Zeit nach Merkel hoffen.

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