Ehe für Alle SPD droht Merkel mit Alleingang bei Home-Ehe

Die Ehe für alle galt in der Koalition als nicht lösbarer Streitpunkt. Doch Merkels Kursschwenk eröffnet neue Möglichkeiten. Die SPD will nun in dieser Woche eine Abstimmung im Bundestag – notfalls auch ohne die Union.

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Der SPD-Kanzlerkandidat will die Kanzlerin bei der „Ehe für alle“ jetzt „beim Wort“ nehmen. Quelle: dpa

Berlin Noch im Frühjahr sah die Lage ganz anders aus. Bei einer der letzten Sitzungen des Koalitionsausschusses, in der die gesetzgeberischen Möglichkeiten in der Großen Koalition vor der Bundestagswahl ausgelotet wurden, kam man zu dem Schluss, dass die Einigungschancen bei der „Ehe für alle“ gleich null sind.

Die SPD konnte sich mit ihrem Anliegen, die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Partnern zu öffnen, nicht durchsetzen. Zum einen, weil es seinerzeit in der CDU noch große Vorbehalte gab und die CSU ohnehin der Auffassung ist, dass die Ehe eindeutig als Gemeinschaft von Frau und Mann definiert sein sollte. Drei Monate später kommt nun wieder Bewegung in das Thema.

Die Kanzlerin höchstpersönlich preschte mit einem eigenwilligen Vorschlag vor: Sie wünsche sich eine Diskussion, die „eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht“, sagte Angela Merkel bei einer Veranstaltung der Zeitschrift „Brigitte“. Für viele im politischen Berlin kam der Vorstoß so kurz vor Ende der Legislaturperiode überraschend.

Während sich in der Union nun ein neuer Streit über das Thema anzubahnen scheint, wollen SPD, Grüne und Linke Nägel mit Köpfen machen und noch in dieser Woche eine Bundestagsabstimmung herbeiführen. Selbst aus der CDU wurden Forderungen laut, noch vor der Bundestagswahl am 24. September zu einer Entscheidung zu kommen. Die Spitze der Unionsfraktion lehnte dagegen eine rasche Abstimmung ab. „Es besteht keine Notwendigkeit für eine überstürzte Entscheidung“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer (CDU).

Der CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer wurde noch deutlicher. „Ich will das Thema überhaupt nicht im Bundestag haben“, sagte Ramsauer der „Rheinischen Post“. „Deutschland hat ganz andere Probleme. Aber die CDU-Führung soll sich davor hüten, auch noch die letzten konservativen Werte zu zerstören“, betonte der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag.

Die SPD schert die unionsinterne Debatte wenig. „Frau Merkel hat die Abstimmung zu einer Gewissensentscheidung erklärt, und wir nehmen sie beim Wort“, sagte der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, dem Handelsblatt. Die SPD strebt noch in dieser Woche eine Parlamentsabstimmung über einen bereits vom Bundesrat beschlossenen Gesetzentwurf an. „Technisch geht das“, sagte Kahrs. „Der Rechtsausschuss kann das Gesetz in den Bundestag durchwinken – entweder mit den Stimmen der Koalition oder mit den Stimmen von SPD, Linken und Grünen.“

Ähnlich äußerte sich SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Er hoffe, dass die Union bei der Abstimmung noch mitziehe. Mit Blick auf den Kurswechsel der Kanzlerin fügte er hinzu, Merkel habe einen „Move“ gemacht. „Wir nehmen sie jetzt beim Wort.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte zugleich, dass die SPD sich „koalitionstreu“ verhalten werde – „ auch in dieser Sache“. Wenn alle eine Gewissensentscheidung wollten, dann müsse sie auch kommen.


Bedingung für künftige Koalitionen

Die Grünen sind bereit, noch in dieser Woche im Bundestag über das Thema abzustimmen. „Nachdem die Kanzlerin sich besonnen hat, muss die „Ehe für alle“ am Freitag im Bundestag abgestimmt werden“, sagte die Vorsitzende des Bundestags-Rechtausschusses, Renate Künast (Grüne), dem Handelsblatt. „Das wäre ein gutes Signal in der letzten Sitzungswoche vor der Bundestagswahl und würde das unwürdige Trauerspiel der ewigen Vertagungen im Rechtsausschuss durch SPD und CDU/CSU endlich beenden.“ Künast appellierte an die Kanzlerin: „Frau Merkel, geben Sie die Abstimmung jetzt frei.“

Dem Vernehmen nach soll Merkel die Linie mit CSU-Chef Horst Seehofer abgesprochen haben. Möglicherweise auch schon mit Blick auf mögliche Regierungspartner nach der Wahl im Herbst. Denn nicht nur die SPD will die Ehe für Schwule und Lesben öffnen, Adoptionsrecht inklusive. Auch FDP, Grüne und Linke steuern in diese Richtung.

SPD-Kanzlerkandidat Schulz hat die „Ehe für alle“ gar zur Bedingung für künftige Koalitionen erklärt, genauso wie FDP-Chef Christian Lindner und die Grünen. „Mit uns wird es keinen Koalitionsvertrag ohne die Ehe für alle geben“, heißt es nach der Übernahme eines Antrags des Bundestagsabgeordneten Volker Beck nun im Wahlprogramm der Ökopartei.

Die Festlegungen der politischen Konkurrenz dürften nicht ohne Wirkung auf Merkel geblieben sein, und es liegt nahe, dass der Vorstoß der Kanzlerin daher auch wohlüberlegt war.  „Das war sicher auch wahltaktisch bedingt, um ein mögliches Wahlkampfthema und Koalitionshindernis aus dem Weg zu räumen“, sagte der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer dem Handelsblatt. „Deklaration als Gewissensentscheidung verhindert auch Koalitionsbruch und Vermarktung als klare Unionsniederlage.“

Entsprechend positioniert sich Merkel bei dem „Brigitte“-Gespräch, indem sie zuerst ihre Sympathie für die Öffnung der Ehe bekundete und betonte, dass gleichgeschlechtliche Paare dieselbe Verbindlichkeit an Werten leben könnten wie heterosexuelle Paare. Und indem sie dann erklärte, dass sie gegen ein Junktim sei, das nun von einigen etwa für Koalitionsverhandlungen aufgestellt werde. „Deshalb möchte ich gerne die Diskussion mehr in die Situation führen, dass es eher in Richtung einer Gewissensentscheidung ist, als dass ich jetzt hier mit einem Mehrheitsbeschluss etwas durchpauke“, sagte Merkel.


„Merkel hat bewusst die Unwahrheit gesagt“

Vielleicht hat die Kanzlerin diese Argumentationslinie auch gewählt, weil es am Sonntagabend im CDU-Präsidium und am Montag im CDU-Bundesvorstand eine längere Debatte darüber gegeben hat, wie das Thema im Unions-Wahlprogramm auftauchen sollte. Mit der CSU wurde demnach vereinbart, dies zu einer persönlichen Gewissensentscheidung zu erklären.

Unions-Abgeordnete könnten somit bei einer Entscheidung im Bundestag sowohl für oder gegen eine völlige Gleichstellung stimmen, ohne einem Fraktionszwang zu unterliegen. Damit wäre auch ein Weg frei für eine Koalitionsbildung der Union mit SPD, Grünen oder FDP nach der Bundestagswahl.

Merkel mahnte zudem, dass die Diskussion über dieses Thema im Wahlkampf mit großem Respekt geführt werde – auch für diejenigen, die eine andere Meinung hätten. „Dass wir jetzt vier Jahre mit der SPD nie über dieses Thema gesprochen haben und jetzt im Wahlkampf soll es 'Holter die Polter' gehen, das finde ich seltsam“, fügte die CDU-Chefin mit Blick auf ihren Koalitionspartner hinzu.

Dem widersprach die SPD aber vehement. „Sie hat bewusst die Unwahrheit gesagt“, sagte Kahrs. Er selbst habe kurz vor Weihnachten mit Merkel über das Thema gesprochen. Seinerzeit habe sie aber keine Chance gesehen, noch in dieser Legislaturperiode zu einer Entscheidung über die „Ehe für alle“ zu kommen. Nachdem nun aber Merkel von dem klaren Nein ihrer CDU zur gleichgeschlechtlichen Ehe abgerückt sei, gebe es eine neue Lage.

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