Einblick

Das Nimby-Syndrom

Henning Krumrey Ehem. Redakteur

Henning Krumrey über Deutschlands Angst vor der Zukunft.

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Henning Krumrey, Leiter des Hauptstadtbüros der WirtschaftsWoche Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

Sir Michael Arthur machte sich einen Spaß aus teutonischer Verzagtheit. Die deutschen Stromkonzerne RWE und E.On, dozierte der britische Botschafter vor dem CDU-Wirtschaftsrat, engagierten sich beim Bau neuer Kernkraftwerke – Pause – „bei uns“! Und sein Außenminister David Miliband habe unlängst betont, das CCS-Verfahren zur unterirdischen Einlagerung von Kohlendioxid sei „die wichtigste Technik, die die Welt entwickeln muss“.

Dumm nur, dass beide Technologien, bei denen die Deutschen zur Spitze gehören, hierzulande chancenlos sind. Nimby-Syndrom nennen die Briten das Phänomen – not in my backyard. Die deutsche Situation ist – gerade in der Energiepolitik – viel verzwickter. Dort gibt’s nämlich auch Numby und Nomby.

Denn inzwischen sind Stromkabel als vermeintliches Risiko identifiziert. Gesundheitsschädliche Abstrahlungen der Hochspannungsleitungen bedrohen die Menschheit, zumindest aber den Seelenfrieden. Deshalb sind die armdicken Strippen von Mast zu Mast kaum noch politisch durchsetzbar. Für Hochspannungsfreileitungen heißt das: Nomby – not over my backyard.

Kein CO2 unter die Erde

Der schöne Traum vom kontinentalen Sonnenkraftwerk Desertec in Afrika verglüht, die gigantischen Windparks in der Nordsee bleiben heiße Luft, wenn der Strom nicht zu den Kunden kommt. Die mangels Ausbau knappen Leitungskapazitäten könnten aus Süddeutschland eine Hochpreiszone mit Versorgungsengpässen machen – gerade dort, wo heute die günstigen Atommeiler laufen.

Natürlich wollen die Deutschen auch nicht, dass CO2 unter die Erde kommt. Das Gas, das so fröhlich im Limo-Glas blubbert und auf der Zunge bitzelt, erscheint plötzlich als tödliche Geheimwaffe wie in einem Schwarzenegger-Thriller, falls es aus den Speichern in der Tiefe dringt: „Unsichtbar erstickt – die Killer-Cola kehrt zurück.“

Die CCS-Technik, von der sich Kraftwerksbetreiber und Kohleförderer die Rettung versprechen, ist politisch fast tot, bevor das erste Pilotprojekt Forschungsergebnisse im Industriemaßstab liefern konnte. Numby – not under my backyard. Die Deutschen leisten sich trotz Wirtschaftskrise immer noch eine irrationale Technikfeindlichkeit. Es ist wahrscheinlicher, mit einem Porsche auf heimischer Autobahn tödlich zu verunglücken, als durch ein havariertes Kernkraftwerk zu sterben. Trotzdem wird die glänzende Karosse bewundert, der Meiler verteufelt.

Inzwischen gelten die einst gefeierten Windspargel bei Umweltschützern als Vogel-Schredder und Mücken-Matscher. Die Chemieindustrie investiert, so klagen Vorstände, wegen der Klimaauflagen da, wo sich am meisten CO2 sparen lässt: im Produktionsprozess, nicht in neue Produkte. Die fehlen in wenigen Jahren im Kampf um Weltmarktanteile. Über gentechnisch veränderte Lebensmittel werden noch öfter nicht die Kunden an der Ladentheke entscheiden, sondern die Öko-Vormunde.

Längst hat der Horror die Unions-Parteien erfasst. In vorderster Front marschieren CDU-Bürgermeister, wenn es gegen Kohlekraftwerke in der Nähe geht. Es war das CDU/FDP-regierte Niedersachsen, das mancherorts per Gesetz Erdkabel vorschreibt, auch wenn die zulässige Abstrahlung gar nicht überschritten wird. Die CSU-Ratsfraktion in München beschloss, den Transrapid im gesamten Stadtgebiet in einen Tunnel zu verbannen – die zwei Milliarden Euro Mehrkosten schoben den Vorzeigezug endgültig aufs Abstellgleis. Und Schleswig-Hosteins CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen mobilisierte die CSU-Freunde, um gemeinsam das CCS-Gesetz zu stoppen.

Da kann Kanzlerin Angela Merkel noch so oft in Parteitagsreden die Gen-Kartoffel Amflora rühmen: entscheidend ist auf dem Platz – im eigenen Hinterhof.

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