Einblick

Die US-Kavallerie

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Mit Volkswagen kriegt nun erneut ein deutscher Konzern einen Aufpasser von der US-Justiz – und keiner regt sich auf. Höchste Zeit, dass sich das ändert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Eine US-Fahne spiegelt sich einem VW-Logo Quelle: dpa

Der Tunnelblick ist derzeit ein kollektives Phänomen. Es regiert die Einengung des Gesichtsfeldes auf einen zentralen Rest, wie es in der Augenheilkunde so schön heißt. Und dieser Rest liegt gerade im Westen. Alles schaut Richtung Paris. Alles sieht schon den champagnerverliebten Emmanuel Macron so gut wie im Élysée. Trotz schmerzhafter Überraschungen mit Donald Trump und Brexit feiern Börsenhändler die scheinbar sichere Niederlage von Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen und treiben die Kurse auf Rekordhöhen. Daneben schrumpfen einschneidende Ereignisse mitunter zu Petitessen, fliegen unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung oder werden verdrängt. Oder beides. Das Einreiten der US-Kavallerie in Deutschland ist so ein Fall.

Die Metapher vom Ritt der Rächer machte einst Exfinanzminister Peer Steinbrück europaweit berühmt. Mitten in der Finanzkrise drohte er den Schweizern, sie auf eine schwarze Liste zu setzen, wenn sie das Bankgeheimnis nicht bald aufgeben würden. „Dass eine solche Liste erarbeitet werden könnte, ( ) ist, umgangssprachlich formuliert, die siebte Kavallerie im Fort Yuma, die man auch ausreiten lassen kann. Aber die muss nicht unbedingt ausreiten. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt“, meinte damals Steinbrück. Die Aufregung in der Schweiz war riesig.

US-Justizminister kennen sich mit der Kavallerie und den Indianern ebenfalls gut aus – mit dem kleinen Unterschied, dass sie nicht nur drohen. Das bekommt jetzt nach Siemens, Daimler und Bilfinger auch Volkswagen zu spüren. Nach einem Vergleich im Abgasskandal lässt man bald den ehemaligen Staatssekretär Larry Thompson und sein Team ausreiten, um bei den Wolfsburger Indianern nach dem Rechten zu schauen. Drei Jahre lang darf sich der Mann, der einst den Milliardenskandal um die Luftnummer Enron aufarbeitete, ungehindert durch den Konzern wühlen. Am Ende liefert er mindestens zwei detaillierte Berichte ans US-Justizministerium ab.

Doch die Aufregung in Deutschland ist gleich null. Kaum jemand nimmt von dem Vorgang Notiz. Selbst Berlin lässt es schulterzuckend geschehen, obwohl das unter Freunden eigentlich gar nicht geht. So wie Abhören. Käme auch der französische oder italienische oder spanische Justizminister mit so einer Bedingung in einem Vergleich durch? Natürlich nicht. „Souveränitätsverletzung“, würde als Aufschrei durchs Land hallen. Aber die Angst von Regierung und Unternehmen, den US-Markt zu verlieren, lässt eben alle alles akzeptieren. In Zeiten des labilen Protektionisten Trump erst recht.

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Die VW-Manager wollten um jeden Preis zum Weltmarktführer aufsteigen. Sie opferten jede Moral und manipulierten skrupellos. Dafür müssen sie in den USA zu Recht zahlen. Aber es hätte eine Selbstverständlichkeit sein müssen, dass der lange Arm der US-Justiz hierzulande auf mehr Widerstand stößt.

Oder frei nach Steinbrück: hätte, hätte, Fahrradkette.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%