Einblick

Oops, uns droht eine Zweiklassengesellschaft

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Glasfasernetze und Cybersecurity sind für viele deutsche Firmen immer noch Fremdwörter. Sie gehören im Internetzeitalter zu den wahren Abgehängten.

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Deutschland, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt bewegt sich im Rennen um das schnelle Netz auf der Kriechspur. Quelle: fotolia

Am Sonntagabend hätte er sich als Einziger über Kim gefreut. Als Einziger weltweit. Über Kim Jong-un, den Schrecklichen, der ihn hätte retten können. Zumindest wäre es dem Diktator wohl ein Leichtes gewesen, mit seinem Trojaner WannaCry die Dateien mit den Resultaten in den NRW-Wahlcomputern vor der Veröffentlichung zu blockieren – und damit SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ein bisschen Luft zu verschaffen.

Am besten bis zur Bundestagswahl. Doch es kam anders. Nordkoreas Hackertruppen, die vermutlich hinter dem weltweiten Angriff stecken, ließen Genosse Schulz im Stich. Dafür blockierte die größte Cyberattacke der Geschichte rund um den Globus Tausende von Rechnern, unter anderem in Krankenhäusern, Autofabriken und bei der Deutschen Bahn. „Oops“ stand auf deren Anzeigetafeln – und das Versprechen der Erpresser, gegen die Zahlung von Bitcoins die Daten aus der Geiselhaft zu entlassen.

Was da übers Wochenende ablief, war wohl einer der lautesten Weckrufe für die deutsche Wirtschaft. Vom Fukushimamoment des Internetzeitalters zu sprechen klingt maßlos übertrieben.

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Aber die Richtung stimmt schon. Schlagartig wurde allen klar, dass die totale Vernetzung böse enden kann, wenn keiner aufpasst. Dass der Weg zum Ziel Industrie 4.0 noch nicht geschafft ist, weil wichtige Voraussetzungen dafür fehlen. Und das liegt nicht nur an der Disziplin Cybersecurity, in der es Deutschland im internationalen Vergleich lediglich auf die hinteren Plätze schafft. Vor allem in Sachen Verbindungsgeschwindigkeit spielt das Land mindestens zwei Ligen zu tief. Mit einem Durchschnittswert von 14,6 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) schaffen es die Deutschen auf Platz 25, bei Spitzenübertragungsraten gar nur auf Platz 45. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt bewegt sich im Rennen um das schnelle Netz auf der Kriechspur. Lahm und löchrig, das ist Internet auf Deutsch.

Doch hierbei handelt es sich nur um Durchschnittswerte. Die wahren Tragödien spielen sich nicht in den Hightechtowern der Großkonzerne in Frankfurt, München oder Düsseldorf ab, sondern in Tausenden von tristen Gewerbegebieten. Weit weg von Glasfasernetzen und professioneller Unterstützung warten Unternehmer auf die Zukunft. Diese Mittelständler versuchen sich trotz widriger Rahmenbedingungen wacker über Wasser zu halten und drohen dennoch den Anschluss zu verlieren – zumal sich kein hipper Netznerd zum Arbeiten in die Provinz verirrt. Fußballverein, Kirchenchor und Biertrinken im Dorfkrug kauft die Generation Y als Freizeitprogramm nun mal nicht. Natur statt Netflix reizt nur die wenigsten.

Wenn jetzt im Wahlkampf von Merkel bis Schulz alle Zukunftspläne für Deutschland und Großinvestitionen in die Digitalisierung fordern, dann muss das in erster Linie den Hidden Champions fernab der Zentren zugutekommen. Andernfalls droht eine Zweiklassengesellschaft, die die Statik der hiesigen Wirtschaft gefährdet. Großkonzerne drin, der Rest draußen, eine Art digitale Apartheid. Das würde nur Kim freuen. Oops.

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