Einblick

Statement des Selbstbewusstseins

Die Deutschen reden zu laut miteinander. Wir sollten mehr auf Zwischentöne achten – so wie die Architekten der Elbphilharmonie.

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Elbphilharmonie Quelle: dpa

Wer gehört werden will, erhebt gerne die Stimme. Je lauter man spricht, desto durchsetzungsfähiger ist die eigene Position, desto besser hören andere zu. Das Gegenteil ist der Fall. Wer gehört werden will, sollte die Stimme senken, um die Konzentration auf das Gesagte zu richten. Im großen Konzertsaal der in dieser Woche eröffneten Hamburger Elbphilharmonie lässt sich dies ausprobieren, wenn man nach all den ersten Besucheranstürmen einmal die Gelegenheit hat, alleine im Saal zu sein. Er ist der ideale Ort für ein ruhiges, konzentriertes Selbstgespräch, bei dem man nicht die Stimme heben muss, um sich davon zu überzeugen, dass mit dem Saal ein akustisches Meisterwerk gelungen ist.

Betrachtet man die Elbphilharmonie als das, was sie ist – ein Symbol mit Anziehungskraft, das weit über die Stadtgrenzen Hamburgs hinaus wirkt –, entsteht eine Analogie zur Lage des Landes. In Deutschland reden die Deutschen derzeit sehr laut miteinander, so laut, dass einer den anderen immer wieder zu übertönen versucht und irgendwann nur noch Lärm übrig bleibt. Das Bild unseres Landes, das so nach außen geht, ist wenig filigran, wenig zukunftsoffen und nicht sehr sympathisch.

Den Architekten Herzog & de Meuron ist mit dem Hamburger Konzertsaal der gute Gegensatz gelungen: leise Töne in kunstvoller Fassade als Bild eines Landes, das sich doch noch nicht ganz von seiner Tradition als Land der Dichter und Denker, der Offenheit, des freien Denkens und Handelns, der Internationalität verabschiedet hat. Deutschland als Land, das sich noch groß zu denken traut. Die Elbphilharmonie eröffnet ihre Tore und ihre symbolische Programmatik also genau zur rechten Zeit. Ein Statement des Selbstbewusstseins.

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Lange genug hat es ja gedauert. Auch dieses Bauwerk gehört, wie so viele andere weltweit, zu den Beispielen dafür, dass der Staat vielleicht manches kann. Planen und Bauen gehören leider nicht dazu. Mehr als 15 Jahre hat es gedauert, bis das Konzerthaus fertiggestellt war. Das Gebäude ist etwa zehn Mal so teuer geworden wie anfänglich veranschlagt. Rückblickend muss man sich eher fragen: Welche außerirdischen Berater hatte die Stadt, die ihr eingeflüstert haben, ein solches architektonisches Glanzstück sei für 77 Millionen Euro zu bauen?

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Es ist dem Ersten Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, zu verdanken, dass die Elbphilharmonie nun steht. Als er 2011 gewählt wurde, stand das Projekt auf der Kippe. Es regnete durchs Dach, und der Streit mit der Baufirma Hochtief war längst eskaliert. Scholz hat alles auf eine Karte gesetzt – zum Festpreis. Das hätte rasend schiefgehen können, ist aber gut gegangen.

Verrat am Steuerzahler? So einfach ist das nicht. Schon jetzt ist die Elbphilharmonie ein internationaler Tourismusmagnet, die erste Spielzeit ist ausverkauft. Geben wir dem Haus doch mal die Chance, zu zeigen, was es kann – auch ökonomisch. Das Reputationskapital, das in diesem Gebäude steckt, ist riesig: Deutschland traut sich was und muss dafür nicht herumbrüllen.

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