Einwanderungsgesetz Werben für das Unpopuläre

Die SPD will mit einem neuen Gesetz mehr Fachkräfte nach Deutschland locken. Der Wirtschaft würde das helfen, Arbeitsmarktforscher finden es richtig. Dennoch gibt es an den Plänen einige Kritik.

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Auf der Suche nach Fachkräften interessieren sich auch die Autobauer für das Thema Zuwanderung. Quelle: dpa

Berlin Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann ist sich sicher: Irgendwann werde es in Deutschland sein wie in Kanada. „Wer gegen Einwanderung ist, verliert Wahlen.“ In Kanada unterlag der konservative Premierminister Stephen Harper 2015 dem Liberalen Justin Trudeau – unter anderem wegen seiner restriktiven Haltung zur Einwanderung.

In diesem Jahr wirkt Einwanderung in Deutschland allerdings nicht wie ein Gewinnerthema.  Die meisten Bundespolitiker, insbesondere aus der CDU/CSU-Fraktion, sprechen sich derzeit eher für Einwanderungsbegrenzung statt gezielte Förderung aus. In dieser Legislaturperiode wird es nichts mehr mit dem von der SPD entworfenen Einwanderungsgesetz. „Unser Koalitionspartner zeigt keine Verhandlungsbereitschaft“, sagt Oppermann.

Die SPD hatte im November einen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz vorgelegt. Dafür hagelte es viel Kritik, vor allem von der Unionsfraktion. Deshalb hat die Partei ihr 37 Seiten starkes Konzept von 250 Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, NGOs, Ministerien, Stiftungen und Gewerkschaften bewerten lassen.

Kern des Gesetzentwurfs ist die Einführung eines Punktesystems nach kanadischem Vorbild. Ausländische Bewerber sollen demnach Punkte bei Kriterien wie Qualifikation, Sprachkenntnissen, Jobangebot, Alter und Integrationschancen bekommen. Wer die Mindestpunktzahl erreicht – 65 von 100 Punkten für Hochschulabsolventen, 60 von 100 Punkten für Fachkräfte mit Berufsausbildung –, bekommt einen Platz in der Warteliste. Wer ein konkretes Jobangebot vorweisen kann, rutscht im Ranking automatisch nach oben. „So kann jeder die Kriterien einsehen, die er erfüllen muss, um nach Deutschland zu kommen und seine Chancen selbst ausrechnen“, erklärt der SPD-Abgeordnete Matthias Bartke.

Zu den Experten, die den SPD-Entwurf unter die Lupe genommen haben, gehört unter anderem die ehemalige Bundesfamilienministerin und Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU). Schon vor 16 Jahren stellte sie als Leiterin der sogenannten Süssmuth-Kommission ein Konzept für ein modernes Einwanderungsgesetz vor. Dazu gehörte bereits auch das Punktesystem. Umgesetzt wurde der Vorschlag nie. „Das ist damals leider dem Kompromiss zum Opfer gefallen“, sagt sie. Überhaupt wurde nur wenig von dem verwirklicht, was die Kommission 2001 vorschlug, zum Beispiel die Einführung staatlicher Integrationsangebote.

Auch für das jetzige Konzept erntet die SPD viel Kritik. Denn das Punktesystem soll die bisherigen Einwanderungsverfahren, wie beispielsweise die BlueCard für hochqualifizierte Zuwanderer aus Drittstaaten, nicht ablösen, sondern nur ergänzen. Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hält eine Konkurrenz verschiedener Systeme für nicht sinnvoll. Dadurch werde das Einwanderungsrecht nicht transparenter, wie die SPD es sich zum Ziel gesetzt hatte, sondern inkonsistent. „Bewerber wählen dann das System, das die niedrigste Schwelle bietet“, sagt er bei einer Fachkonferenz in der SPD-Fraktion. Man müsse entweder das bestehende Recht reformieren und die Schwellen für Zuwanderung absenken oder wie in Kanada komplett auf das Punktesystem umstellen, sagt Brücker. Und zwar nicht nur für ein Kontingent von anfangs 25.000 Zuwanderern, wie es der SPD-Entwurf vorsieht, sondern für deutlich mehr. 


Will die SPD die Zahl der Einwanderer deckeln?

Denn trotz steigender Zuwanderungszahlen herrscht noch immer ein Mangel an Fachkräften. Die meisten Zuwanderer und Asylbewerber haben nicht die dringend benötigten Qualifikationen, die für die eine Million unbesetzten Jobs in Deutschland nötig sind. In den nächsten zehn Jahren werde Deutschland über sechs Millionen potenzielle Arbeitskräfte verlieren, prophezeit die SPD. Deshalb müsse man die hier lebenden Arbeitskräfte besser qualifizieren, aber eben auch gezielt qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland anwerben.

Eine gesteuerte Zuwanderung von 25.000 Menschen hätte allerdings volkswirtschaftlich so gut wie keinen Effekt, rechnet Arbeitsmarktforscher Brücker vor: „Wenn wir das Erwerbspotenzial stabil halten wollen, brauchen wir eine Netto-Zuwanderung von 400.000 Fachkräften pro Jahr.“ Das von der SPD vorgeschlagene Einwanderungsgesetz könne also bestenfalls als Pilotprojekt dienen.

Das SPD-Konzept sieht vor, dass der Bundestag jedes Jahr ein Kontingent für Zuwanderer aus Drittstaaten beschließt, die zum Arbeiten oder für die Jobsuche nach Deutschland kommen dürfen. Die Zahl solle sich nach der aktuellen Arbeitsmarktsituation richten. Experten sehen hierin eine faktische Deckelung der Einwandererzahl, die es nach dem bisherigen Recht nicht gibt.

Bislang kommen nur 3,4 Prozent aller Einwanderer aus Drittstaaten. Eine große Hürde ist die deutsche Sprache. Hochqualifizierte mit dem Know-How, das Deutschland fehlt, zieht es eher in die USA oder nach Kanada. Viele schreckt auch das komplizierte Einwanderungsrecht ab. „Wir haben in Deutschland über 50 abgestufte Aufenthaltstitel“, kritisiert Aydan Özoguz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Da blicke niemand mehr durch.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bezweifelt, dass sich das mit dem SPD-Einwanderungsgesetz ändern würde. Die Regelungen würden zusätzliche Auswahlkriterien schaffen, schreibt die BDA in einer Stellungnahme. Statt eines Systemwechsels müsse das bestehende Recht vereinfacht und müssten ausländische Abschlüsse schneller anerkannt werden. Die Entscheidung, welche Arbeitskräfte einwandern dürfen, solle den Unternehmen überlassen bleiben und nicht zentral gesteuert werden.

Neben den inhaltlichen Einwänden hat das SPD-Konzept ein zentrales Problem: Das Thema Einwanderung ist momentan extrem unpopulär. Auch wenn sich die Genossen gegenseitig versichern, die SPD werde das Thema wieder „positiv besetzen“.

Die Wirtschaft drängt schon lange auf Lösungen. Siemens-Chef Joe Kaeser forderte kürzlich im Handelsblatt-Interview „klare nachvollziehbare Regeln für Menschen, die in unser Land kommen wollen“. Die Zuwanderung von Arbeitssuchenden müsse sich dabei klar nach Angebot und Nachfrage richten.

Momentan führten die unübersichtlichen Hürden dazu, dass immer mehr Menschen den Weg über das Asylrecht suchten, sagt Otto Schily, ehemaliger Bundesinnenminister (SPD): „Das Asylverfahren ist heute de facto ein Zuwanderungssystem.“ Es müsse legale, transparente Wege geben, die Zuwanderer nutzen können, um nach Deutschland zu kommen. In diesem Jahr werde es wegen der Wahlkampfstreitigkeiten jedoch wieder einmal nicht zu einer Einigung in diesem Punkt kommen.

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