Elitenforscher Michael Hartmann „Die globalisierte Wirtschaftselite ist eine Legende“

International und in der Lage, überall in der Welt Karriere zu machen – so sehen sich Spitzenmanager. Soziologe Michael Hartmann widerspricht. Einen Weltmarkt für Wirtschaftsführer gebe es nicht.

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Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Derzeit ist viel die Rede von dem politischen Gegensatz zwischen den globalisierten Eliten und den an ihrer Nation und traditionellen örtlichen Bindungen hängenden Trump-, Le Pen-, Brexit- und AfD-Wählern. Jetzt schreiben Sie in Ihrem aktuellen Buch, „Die globale Wirtschaftselite“ sei „eine Legende“. Gibt es also auch diesen Gegensatz gar nicht.

Michael Hartmann: Dieser Gegensatz ist zumindest schwächer als viele glauben. Man konstruiert da einen Unterschied zwischen kosmopolitischen Eliten und dem „normalen Volk“. Aber die Eliten leben eben gar nicht so kosmopolitisch wie sie sich selbst darstellen. Natürlich können sie unter Milliardären oder Vorstandschefs keinen finden, dessen Bindungen mit denen eines Bauern in der Eifel vergleichbar wären. Aber sie sind in aller Regel nicht die bindungslosen Nomaden, als die sie oft wahrgenommen werden. Zu dem Narrativ von der globalen Wirtschaftselite gehört vor allem die Behauptung eines weltweiten Arbeitsmarktes für Topmanager. Aber diese beruht in den Medien und der Wissenschaft gleichermaßen nur auf Schilderungen von Einzelbeispielen, zum Beispiel John Cryan oder Anshu Jain. Ich beschäftige mich nun seit rund 20 Jahren mit dem Thema und habe für mein letztes Buch die 1000 größten Unternehmen der Welt untersucht, weil dort die Internationalität des Topmanagements am größten ist. Ergebnis: Es gibt diesen Weltmarkt der Spitzenmanager nicht. Neun von zehn CEO leiten ein Unternehmen in ihrem Heimatland. Sieben haben sogar ihr gesamtes Leben in ihrer Heimat verbracht, waren nicht einmal für wenige Monate im Ausland.

Zur Person

Seit der so genannten Standort-Deutschland-Debatte gilt es als ausgemacht, dass die besten Köpfe oder auch ganze Unternehmen einfach ins Ausland abwandern, wenn man nicht für angemessene Bedingungen und vor allem global konkurrenzfähige Bezahlung sorgt. Das stimmt also nicht?

An dem Argument, dass die Vorstandsgehälter so hoch sein müssen, weil die Topmanager sonst ins Ausland gehen, ist fast gar nichts dran. Schauen wir uns an, wie viele Deutsche im Ausland Großunternehmen leiten: Das sind ganz wenige Einzelfälle, gut eine Handvoll. Von den Top-300-Unternehmen der USA wird derzeit keines von einem Deutschen geführt, unter allen 4000 börsennotierten US-Unternehmen etwa ein halbes Dutzend. Verschwindend.

Ist das Topmanagement deutscher Konzerne vergleichsweise besonders wenig internationalisiert?

Nein, eher im Gegenteil. Deutschland liegt mit einem Ausländeranteil von 14 Prozent unter den CEO der 100 größten Konzerne weltweit sogar in der Spitzengruppe. Die globalisierte Wirtschaftselite ist eine Legende.

Gilt das auch für die zweite und dritte Führungsebene?

Vor einigen Jahren hat der Kollege Pohlmann den Anteil ausländischer Manager dieser Ebenen bei deutschen Auto- und Elektrokonzernen untersucht. Da war der Anteil noch geringer als auf der Vorstandsebene. Für andere Industrieländer dürfte ähnliches gelten.

Spielt die Größe der Konzerne eine Rolle?

Ja. Erwartungsgemäß steigt die Wahrscheinlichkeit der Internationalität im Vorstand mit der Größe des Unternehmens.

Sind internationale Erfahrungen für Managerkarrieren ein Vorteil?

Anders als allgemein behauptet, ist das so generell nicht der Fall. Es gibt Studien über Expatriates, also Deutsche, die von ihren Konzernen in Auslandsvertretungen geschickt werden, die zeigen, dass das für die spätere Karriere sogar eher ein Hindernis sein könnte. Denn die wesentlichen Entscheidungen über die großen Karriereschritte finden immer in den Zentralen statt. Längere Auslandsaufenthalte schwächen oft die wichtigen Kontakte.

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