Empörte Reaktionen auf den enttarnten Islamisten Der Feind im eigenen Haus

Die Bundesregierung wertet die Enttarnung eines Islamisten beim Verfassungsschutz als Beleg für funktionierende Schutzvorkehrungen. Innenpolitiker von Koalition und Opposition sehen das anders – und fordern Aufklärung.

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Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU, r.) und Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz: Nachdem im Bundesamt ein mutmaßlichen Islamist enttarnt worden ist, stehen beide unter Aufklärungsdruck. Quelle: dpa

Berlin Die Enttarnung eines Islamisten beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sorgt für Alarmstimmung in Berlin. „Auch wenn die Anschlagspläne noch nicht konkret waren, handelt es sich um einen gravierenden Vorgang, den wir sehr ernst nehmen müssen“, sagte der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach dem Handelsblatt. „Der ebenso schlichte wie richtige Hinweis, dass der Beschuldigte behördenintern als Gefährder enttarnt wurde, ist wenig beruhigend.“

Ähnlich äußerte sich der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka. „Ich finde es dramatisch, wenn Extremisten gleich welcher Couleur als Mitarbeiter bei einem deutschen Nachrichtendienst anheuern können“, sagte Lischka dem Handelsblatt. Es gebe zwar strenge Sicherheitsüberprüfungen. „Doch es muss ja etwas schiefgelaufen sein, wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Islamisten einstellt. So etwas kann man auch nicht mit einem vermeintlichen Mangel an Personal erklären“, betonte der SPD-Politiker.

„Die Verantwortlichen müssen rasch aufklären. Es geht um die Frage, ob bereits ein Schaden entstanden und wie groß dieser möglicherweise ist. Ich gehe davon aus, dass Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen uns das heute Nachmittag in der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums erläutert.“ Lischka forderte eine rasche Aufklärung des Vorgangs. „Es geht um die Frage, ob  bereits ein Schaden entstanden und wie groß dieser möglicherweise ist.“

Auch André Hahn, Bundestagsabgeordneter der Linken und stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, erwartet nun zwingend eine Aufklärung der Hintergründe. Zudem fordert Hahn Auskunft darüber, wer die Rekrutierung des Maulwurfs zu verantworten hat. Schon jetzt zeige sich, dass die Einstellungspraxis des Verfassungsschutzes "überdacht" werden müsse, sagte der Abgeordnete dem Handelsblatt. Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass ein solcher Fall passieren könne. "Ich bin sehr geschockt über diesen Vorgang", so Hahn. "Ganz offensichtlich ist bei der Sicherheitsüberprüfung im Umfeld der Einstellung des Mannes etwas gründlich schiefgelaufen."

Das Bundesinnenministerium versuchte indes, die Brisanz des Falles herunterzuspielen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) lobte die Enttarnung als „gute Leistung“. Alles Weitere müssten jetzt die Ermittlungen zeigen. Eine Ministeriumssprecherin wertete zuvor die Enttarnung als einen Beleg für die funktionierenden Schutzvorkehrungen. Die Sicherheitsmechanismen hätten schnell gegriffen, sagte sie. Es zeige sich zudem, dass das Bundesamt die islamistische Szene relativ gut im Blick habe.

Bei dem aufgeflogenen Islamisten handelt es sich nach Angaben von Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen um einen „deutschen mehrfachen Familienvater“. Dieser stamme „aus geordneten Verhältnissen, der dann auch im Dienst gute Arbeit gemacht hat“. Er sei schon vor der Einstellung zum Islam konvertiert – ob er damals schon die Absicht eines Anschlag gehabt habe, müsse noch festgestellt werden, so Maaßen. Nach bisherigem Erkenntnisstand habe es noch „keine konkreten Planungen“ gegeben.


De Maizière vermeidet Festlegung auf Konsequenzen

Dem Deutschen wird vorgeworfen, sich im Internet unter falschem Namen islamistisch geäußert, Amtsinterna preisgegeben und sensible Informationen angeboten zu haben. Gegen den 51-Jährigen wurde Haftbefehl erlassen. Das Ermittlungsverfahren liegt bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Der Mann, der erst im April beim Verfassungsschutz eingestellt worden war, flog nach Angaben aus Sicherheitskreisen auf, als er im Internet anbot, Gleichgesinnten Zugang zum BfV zu ermöglichen. Sein Chat-Partner sei jedoch ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gewesen.

Für den CDU-Innenpolitiker Bosbach stellen sich nun wichtige Fragen, die möglicherweise schon heute bei einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Sprache kommen. Bosbach will etwa wissen, auf welchem Weg der mutmaßliche Islamist Mitarbeiter des Verfassungsschutzes geworden sei und welche Erkenntnisse die vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfung ergeben habe. „Hatte er Zugang zu besonders sensiblen Daten und Vorgängen? Und: Gibt es Erkenntnisse über eine Kooperation mit oder einer gezielten Steuerung durch islamistische oder gar terroristische Organisationen?“

Der SPD-Politiker Lischka schließt Defizite bei der Überprüfung des beschuldigten Mannes nicht aus. „Entweder es wurden nur bei diesem Einzelfall die Sicherheitsüberprüfungen lax angewendet – warum auch immer. Denn nach allem, was mir bekannt ist, gab es bei dem Verdächtigen Brüche in der Biografie, die bei der Sicherheitsüberprüfung hätten auffallen müssen“, sagte Lischka. Oder es gebe generell „gefährliche Lücken“ bei diesen Sicherheitsüberprüfungen, dann müssten diese „schnellstens“ abgestellt werden. „Wir können es uns nicht leisten, dass Extremisten bei einem Nachrichtendienst arbeiten“, betonte Lischka. „Ich möchte mir nicht ausmalen, was passieren könnte, wenn etwa ein Islamist in einem Bereich arbeitet, wo es eigentlich um die Bekämpfung des Islamismus gehen soll.“

Innenminister de Maizière wollte sich nicht konkret zu möglichen Konsequenzen aus dem Fall äußern und verwies dazu auch auf die nun anstehenden Ermittlungen. Er forderte aber Sorgfalt bei Einstellungen beim Bundesamt. Zugleich hob der CDU-Politiker hervor, dass er keine Hinweise darauf habe, dass in diesem Fall nicht sorgfältig vorgegangen worden sei.


Grüne warnen vor Innentätern auch in anderen Bereichen

Chef-Verfassungsschützer Maaßen kündigte indes an, die Einstellungspraxis seiner Behörde zu überprüfen. „Wir werden natürlich diesen Vorgang gründlich aufarbeiten, um zu sehen, was wir daraus lernen können“, sagte er. Sein Amt habe „einen außerordentlich hohen Standard bei der Einstellung von Personen“. Man müsse sehen, ob möglicherweise auch für die Einstellungspraxis anderer Behörden Konsequenzen gezogen werden müssten.

Laut Maaßen sind in der Vergangenheit schon eine ganze Reihe von Personen im Rahmen des Auswahlverfahrens gefiltert und ausgesiebt worden, „wo wir den Eindruck haben, es sind Extremisten oder Personen, die für ausländische Nachrichtendienste arbeiten“. Vor der Einstellung habe es eine „gründliche Sicherheitsprüfung“ gegeben, „wo fünf Referenzpersonen befragt und wo sämtliche Register abgecheckt wurden“.

Der aktuelle Fall wirft allerdings generell ein neues Schlaglicht auf die innere Sicherheit in Deutschland, zumal es Unterwanderungsversuche durch Extremisten auch schon in anderen Bereichen gegeben hat. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warnt daher vor einer zunehmenden Gefahr durch diese sogenannten Innentäter. Ihn beunruhige, „dass man auf den Verdächtigen offenbar nur durch Zufall aufmerksam geworden ist“. Nach 20 bekanntgewordenen Islamisten bei der Bundeswehr und den Reichsbürgern bei der bayerischen Polizei müsse ein stärkeres Augenmerk auf die Gefahr der Innentäter aus dem rechtsextremen und islamistischen Bereich gerichtet werden.

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