Schleswig-Holsteins Energieminister Robert Habeck (Grüne) wird als Vertreter Schleswig-Holsteins der Kommission zur Suche eines Atommüll-Endlagers angehören. Er kritisiert, dass insbesondere unionsgeführte Länder nicht bereit sind, Atommüll zwischenzulagern. Über die verzwickte Lage und den aus seiner Sicht historischen Fehler Atomenergie sprach Habeck im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.
Mit welchen Hoffnungen gehen Sie in die Kommission zur Suche nach einem Atommüll-Endlager in Deutschland?
Robert Habeck: Die Kommission soll dafür bürgen, dass sich die Fehler der Vergangenheit, wie sie mit der Festlegung auf Gorleben gemacht wurden, nicht wiederholen. Sie muss die Kriterien für eine Endlagersuche öffentlich nachvollziehbar und im steten Austausch mit der Gesellschaft entwickeln und darlegen. Wir haben mit dem Einstieg in die Atomenergie einen historischen Fehler gemacht. Niemand will für ihn geradestehen. Das ist verständlich, aber letztlich nicht möglich. Der Atommüll muss irgendwo hin.
Die Arbeit der Kommission ist auf zwei Jahre angelegt. Was muss am Ende nach Ihrer Überzeugung als Ergebnis stehen?
Nach zwei Jahren müssen übergeordnete Bewertungsmaßstäbe festgelegt sein, die für alle möglichen Endlagerorte gleichermaßen gelten. Sie sind die Bedingung dafür, dass man zu einem späteren Zeitpunkt wird sagen können: Dies ist der bestmögliche Standort. Man muss sich klar darüber sein: Der Atommüll muss nicht nur für einige Jahrzehnte, sondern für eine Million Jahre gelagert werden. Die Vorbereitung auf die Kommissionsarbeit zeigt mir einmal mehr, welch ein unverantwortlicher Irrsinn die Atomkraft ist.
Die lange Suche nach einem Atommüllendlager
Am 11. November 1976 bringt der niedersächsische Wirtschafts- und Finanzminister Walther Leisler Kiep (CDU) laut eigenen Aufzeichnungen Gorleben ins Spiel. Zuvor waren die Salzstöcke Wahn, Lutterloh und Lichtenhorst (alle Niedersachsen) favorisiert worden.
Die niedersächsische Landesregierung unter Ernst Albrecht (CDU) beschließt, in Gorleben an der Grenze zur damaligen DDR ein nukleares Entsorgungszentrum zu gründen. Ein transparentes Auswahlverfahren fehlt - die Hoffnung ist auch, dass der arme Kreis Lüchow-Dannenberg durch Investitionen der Atomindustrie einen Aufschwung erfährt.
Tiefbohrungen beginnen, um den Salzstock auf seine Eignung als Atommüllendlager zu erkunden.
Die Bauarbeiten für das oberirdische Zwischenlager Gorleben starten. Es liegt nur einige hundert Meter entfernt vom Salzstock.
Die Erkundung des Salzstocks unter Tage beginnt. SPD und Grüne werfen der Regierung von CDU-Kanzler Helmut Kohl vor, politischen Einfluss bei der Durchsetzung von Gorleben genommen zu haben. 2010 wird dazu ein Bundestags-Untersuchungsausschuss eingerichtet.
Von massiven Protesten begleitet, trifft im oberirdischen Zwischenlager der erste Castor-Behälter mit Atommüll ein.
Nach dem Regierungswechsel richtet Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) den Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AK End) ein. Er soll Ideen für ein neues Suchverfahren entwickeln.
Im Atomkonsens vereinbart die rot-grüne Bundesregierung mit den Stromversorgern den Ausstieg aus der Kernenergie. Die Erkundung in Gorleben wird bis spätestens 2010 ausgesetzt.
Trittin legt einen Entwurf für ein Standortauswahlgesetz vor: In einem bundesweiten Verfahren sollen neben Gorleben auch andere Standorte untersucht werden. Die Neuwahl lässt den Plan scheitern.
Nach der Wahl vereinbart die große Koalition, das Problem „zügig und ergebnisorientiert“ zu lösen. Während die Union an Gorleben festhält, fordert Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ein neues Auswahlverfahren. Es gibt keinen Fortschritt.
Norbert Röttgen (CDU), Bundesumweltminister in der seit 2009 amtierenden schwarz-gelben Bundesregierung, teilt die Aufhebung des Erkundungsstopps mit. Gorleben habe weiter „oberste Priorität“.
Am 30. Juni 2011 beschließt der Bundestag den Atomausstieg bis 2022. Über Gorleben hinaus sollen andere Endlager-Optionen geprüft werden. Bayern und Baden-Württemberg zeigen sich offen für eine neue Suche.
Bei zwei Spitzentreffen von Bund und Ländern gibt es Fortschritte. Eine Einigung scheint zum Greifen nahe.
Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wird für den CDU-Spitzenkandidaten Röttgen zum Debakel. Er wird von Kanzlerin Angela Merkel entlassen. Nachfolger wird Peter Altmaier (CDU).
SPD und Grüne werfen Altmaier vor, eine Lösung zu verzögern - aber beide Parteien lähmen selbst den Prozess, weil sie uneinig sind, was den künftigen Umgang mit Gorleben betrifft.
Am 27. September 2012 weist Merkel vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss Vorwürfe zurück, sie habe in ihrer Zeit als Umweltministerin in den 1990er Jahren versucht, Gorleben als Endlager durchzudrücken.
Am 20. Januar 2013 gewinnt Rot-Grün die Landtagswahl in Niedersachsen, SPD und Grüne in Hannover wollen ein Aus für Gorleben durchsetzen.
Am 24. März 2013 gelingt Altmaier ein vorläufiger Durchbruch: Bis 2015 soll eine aus 24 Personen bestehende Enquetekommission Grundlagen und Vergleichskriterien für die Suche erarbeiten. Gorleben soll im Topf bleiben - Niedersachsen setzt aber auf ein rasches Ausscheiden. In einem Suchgesetz soll festgelegt werden, dass am Ende zwischen den beiden besten Optionen entschieden wird. Atommülltransporte in das Zwischenlager Gorleben soll es vorerst nicht mehr geben.
Erwarten Sie, dass auf Grundlage wissenschaftlicher Kriterien die Kommission am Ende selber einen oder mehrere Standorte als geeignet für ein Endlager nahelegt?
Die Kommission wird nicht einen Standort empfehlen. Sie soll die Kriterien für einen Standort definieren, und auf dieser Basis muss die Suche beginnen. Das Standortauswahlverfahren für das Endlager soll dann nach dem Standortauswahlgesetz bis 2031 abgeschlossen sein.
Lange hat der BUND gehadert, überhaupt in der Kommission mitzuwirken. Ist die Gefahr groß, dass Atomenergie-Gegner - wie übrigens auch Sie - nur in der Kommission eingebunden werden sollen, um sie gefügiger zu machen?
In einem gewissen Maße verstehe ich das Zögern der Umweltverbände. Die Debatte um ein Endlager ist über viele Jahre von großem Misstrauen geprägt, genährt von Union, FDP und Betreibern, die eigentlich gar kein Interesse an einer Alternative zu Gorleben hatten. Es war unglaublich schwer, das Fenster für eine neue, offene Endlagersuche aufzustoßen. Es bedurfte der Bereitschaft des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), zuzusagen, dass er ein Endlager auch in seinem Land akzeptieren würde, wenn es dort den am besten geeigneten Standort geben sollte.
Bis 2023 sollen die möglichen Regionen für ein Endlager eingeengt werden und 2031 soll der Standort des Endlagers feststehen - also etwa 60 Jahre nach Beginn der Nutzung der Atomenergie in Deutschland. Hat die Politik schlichtweg versagt?
Die Politik hat nicht bei der Endlagersuche versagt, sondern mit dem Einstieg in die Atomenergie. Wie konnte man eine Technik beginnen, deren Folgen sich letztlich nicht beherrschen lassen? Die Energiewende bedeutet vor allem eines: Die Rückkehr des Prinzips Verantwortung in die Energiepolitik. Wir verschieben sie nicht mehr auf unsere Kinder und Kindeskinder.
Die Zwischenlagerung des Atommülls bleibt eine wichtige, aber ungelöste Aufgabe. Was passiert mit dem lecken Atommülllager Asse, wann steht das Endlager Schacht Konrad in Salzgitter zur Verfügung? Bisher ist nicht einmal das dritte Bundesland gefunden worden, das neben Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg die 26 aus La Hague und Sellafield noch kommenden Castoren mit hochradioaktivem Müll aufzunehmen bereit ist. Muss auch ein unionsgeführtes Bundesland aus der Deckung kommen und Verantwortung übernehmen?
Habeck: Die Genehmigung und damit die Inbetriebnahme von Schacht Konrad als Endlager für schwach- bis mittelradioaktiven Müll verschiebt sich immer weiter. Jetzt redet man von 2022. Und die Castor-Frage ist weiterhin ungelöst. Es gab vermehrte Gespräche im Frühling - ohne eine Lösung. Gerade die Länder, die bis zum Schluss für die Atomenergie gekämpft und von ihr - auf Kosten der Zukunft - profitiert haben, verweigern sich. Das vereinbarte Vetorecht für die Länder in dieser Frage führt offenbar dazu, dass keiner Verantwortung übernimmt. Das ist eine erbärmliche Form von Politik.