Die Energiewende ist möglich, theoretisch. Praktisch aber wird sie an zwei Kleinigkeiten scheitern: an den Strompreisen und an der Netzstabilität.
Niemand kann gegen erneuerbare Energien sein. Aber die Kernfragen lauten: Wie binden wir die Erneuerbaren ein? Wie sichern wir die Netzstabilität? Wie bleibt Strom bezahlbar, wenn wir bereits zwei Jahre nach dem Start der Energiewende über eine Strompreisbremse diskutieren?
Weil sich Strom nicht ohne Weiteres speichern lässt, wurde er - physikalisch richtig - immer analog zur Nachfrage produziert. Wirft die Hausfrau die Waschmaschine und der Schreiner die Hobelmaschine an, wird auch der Strom dafür erzeugt. Der schwankenden Nachfrage entsprechen die elektrizitätswirtschaftlichen Betriebsweisen der Grund-, Mittel- und Spitzenlast. Mit der Energiewende geht Deutschland zu einer angebotsorientierten Stromversorgung über. Strom wird erzeugt, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Die Waschmaschine wird um 3 Uhr nachts gestartet – das nennen wir dann Smart Grid.
Bisher hat die Politik die Frage nicht beantwortet, warum wir ohne Not eine noch halbwegs wirtschaftliche, aber gesicherte Stromversorgung verlassen und auf eine unwirtschaftliche und vor allem unsichere Stromversorgung umsteigen. Man schaue mal in die Energieprogramme der Achtziger- und Neunzigerjahre hinsichtlich der Aussagen zur Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Umweltfreundlichkeit der Stromversorgung! Eine Energiewende nach heutigem Muster wäre schlicht wegen fehlender Wirtschaftlichkeit bereits im Ansatz verworfen worden. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ist auch heute bei jeder betriebswirtschaftlichen Rechnung gültig – nur nicht bei der Energiewende. Christoph Schmidt, Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), benennt ebenfalls das Manko der fehlenden Rentabilität und nennt mögliche Nachahmer als einzigen vertretbaren Grund zugunsten der Energiewende. Doch diese gibt es nicht! Wer aus der Kernenergie aussteigt, sollte so ehrlich sein und auf den preiswertesten heimischen Energieträger, die Braunkohle, setzen, um die Grundlastlücke zu schließen. Erinnern wir uns: Die Laufzeitverlängerung, die kein Jahr hielt, war genau diesem Argument geschuldet! Doch auf zusätzliche Braunkohle verzichten wir, um CO2 einzusparen – global betrachtet in homöopathischen Dosen. Die Beispiele Moorburg und Datteln zeigen, dass man in Deutschland ohnehin kein neues Kohlekraftwerk mehr gegen die Proteste der NGOs durchsetzen kann. Die Nimby-Haltung (Not in my backyard) behindert auch den notwendigen Netz- und Speicherausbau.
Nur begrenzt grundlastfähig
Gleichwohl ist die Elektrizitätsversorgung des Industriestaates Deutschland heute noch relativ sicher. An 8.760 Stunden im Jahr kommt ausreichend Strom aus der Steckdose. Dies wird insbesondere durch ausreichende Grundlastkapazität gewährleistet, die je nach Nachfrage zwischen 50 und 60 Prozent der Gesamtlast beträgt. Diese gesicherte Leistung wird insbesondere durch Kernkraft-, Braunkohle- und Laufwasserkraftwerke erzeugt. Aufgrund dieser Grundlastkapazität sowie der vorhandenen Mittel- und Spitzenlastkraftwerke ist die bisher benötigte Speicherkapazität für Strom sehr gering, sie beträgt etwa 60 bis 70 Millionen Kilowattstunden (kWh) pro Tag. Deutschland hat aber einen Stromverbrauch von 1,6 bis 2 Milliarden kWh pro Tag. Mit der vorhandenen Speicherkapazität könnte Deutschland also nicht einmal eine Stunde mit Strom versorgt werden!
Chronik der Energiewende
Der von einem Erdbeben ausgelöste Tsunami überschwemmt und zerstört in Fukushima-Daini 250 Kilometer nordöstlich von Tokio Teile des Kernkraftwerks.
Die Bundesregierung ordnet an, sieben ältere Kernkraftwerke sofort vom Netz zu nehmen, die übrigen zehn Reaktoren kommen auf den Prüfstand.
Union und FDP einigen sich auf einen kompletten Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022, die sieben älteren Meiler müssen endgültig stillgelegt werden.
Das Kabinett segnet das Atom- und Energiepaket ab und präsentiert die energie- und klimapolitischen Ziele bis 2050.
Die EU-Kommission reklamiert für sich Kompetenzen bei der Energiewende. Der Strommarkt müsse europäischer werden.
Angela Merkel fordert eine Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG): „Wenn die EEG-Umlage so weiter steigt, dann haben wir mit der Energiewende ein Problem.“
Steigt der Anteil an erneuerbarem Strom, sinkt die notwendige Leistung und Auslastung konventioneller Kraftwerke, also auch der Grundlastkraftwerke. Als Folge werden bereits heute konventionelle Kraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt; notwendige Neubaupläne werden zurückgestellt oder storniert. Strom aus erneuerbaren Energien ist aber nur begrenzt grundlastfähig, dies gilt zum Beispiel für Biomasse und Geothermie. Fotovoltaik ist natürlicherweise nicht grundlastfähig, und Windstrom wird mit zehn Prozent Grundlastfähigkeit gerechnet. Steigt der Anteil der erneuerbaren Stromerzeugung auf bis zu 80 Prozent, stellt sich unabhängig von der Wirtschaftlichkeit die Frage der Netzstabilität. Um ausreichend konventionelle Kraftwerkskapazität in Reserve zu halten, sollen nun Kapazitätsmärkte geschaffen werden und/oder es wird entsprechende Speicherkapazität aufgebaut. Diese müsste aber das 100-Fache der bisherigen betragen; diese Dimension ist offensichtlich der breiten Öffentlichkeit nicht klar. Neue Vorhaben, die kapazitätsmäßig nur den „Tropfen auf den heißen Stein“ darstellen würden, scheitern bereits am Widerstand der Bevölkerung. Jüngstes Beispiel dafür ist die Aufgabe der Pumpspeicherprojekte im Schwarzwald und in der Eifel. Andere Alternativen, wie Wasserstoffspeicherung und Batterietechnologie, haben bisher nicht den Stand, um die Dimension der notwendigen Speicherkapazitäten von bis zu zehn Milliarden kWh (fünf Tage Windflaute) bereitzustellen.
Die Energiewende wird immer teurer
Die gesamte Kraftwerksleistung betrug 2010 gut 170.000 Megawatt (MW). Davon stammten etwa 100.400 MW aus konventionellen Kraftwerken, gesichert waren rund 90.000 MW, die Kernkraft steuerte rund 21.500 MW bei. Geht man für die nächsten Jahre von einer Höchstlast von 77 000 MW aus, wird wegen Ausfällen und Revision von einer benötigten gesicherten Leistung von mindestens 85.000 MW (Durchschnittswert von Dena, Prognos und BDEW) ausgegangen. Die Daten zeigen, dass die Leistung bereits das Zweifache beträgt, die gesicherte Leistung gerade mal gut über dem Faktor 1 liegt.
Temporärer Strom im Überfluss
Der weitere Verlauf der Energiewende sei im Zeitraffer einfach erklärt: So wie der Anteil an erneuerbarer Stromerzeugung weiter rapide steigt, sinkt der Anteil an konventioneller Stromerzeugung und damit an gesicherter Leistung. Mit Abschaltung aller KKW (bis 2022) und der Stilllegung konventioneller Kraftwerkskapazität sinkt die gesicherte Leistung trotz moderatem Zubau auf rund 73.000 MW. Die Kapazität Erneuerbarer übersteigt mit 80.000 MW bis 100.000 MW (Prognos: 2020 - 120 000 MW) alleine die notwendige Kapazität um bis zu 50 Prozent, wird aber nicht annähernd zur Versorgungssicherheit und zur Netzstabilität beitragen. Im Gegenteil! Windenergie an Land zum Beispiel hat eine Volllastzeit von rund 1.400 bis 2.200 Stunden (Offshore: 3.300 bis 4.000 Stunden). Zur Erinnerung: Das Jahr hat 8.760 Stunden! Spätestens hier wird klar, welche Dimension die Energiewende erfordert. Es ist deshalb höchst irreführend, zu behaupten, ein Windpark versorge mehrere 1000 Haushalte mit Strom. Wären diese Haushalte ausschließlich mit dem Windpark verbunden, würden sie die Hälfte der Zeit oder mehr im Dunkeln sitzen. Mit jedem Wind- und Solarkraftwerk wird der Strom volatiler und die Netzstabilität sinkt. Von 2011 auf 2012 haben die Netzschwankungen (Unter-/Übereinspeisungen) deutlich zugenommen.
Der kleine Unterschied zwischen Kilowatt (kW) und Kilowattstunde (kWh) wird das große Problem der Energiewende. Wir produzieren schon heute und künftig noch mehr temporären Strom im Überfluss, wenn er nicht gebraucht wird und können keinen produzieren, wenn er gebraucht wird (kein Wind, keine Sonne). Entscheidend ist deshalb die Unterdeckung an gesicherter Leistung von rund 12.000 MW beginnend 2015 und spätestens ab 2022, die zwangsläufig zu Netzengpässen und Blackouts führen wird. Denn gibt es eine Störung im Bereich des Netzbetreibers, muss es nach dem n-1-Kriterium einen alternativen Umweg geben, um die Netzstabilität aufrechtzuerhalten. Dabei wird aber immer von einem lokalen Netzengpass (z. B. Trafo) ausgegangen. Bereits im vergangenen Jahr gab es in einer Netzwarte an mehr als 200 Tagen Engpässe, und an mehreren Blackouts sind wir selbst bei gesicherter Leistung gerade mit Not vorbeigeschrammt. Der eigentliche Grund für den Stromausfall in München vom 15. November 2012 wurde verschwiegen und zwischen den Stadtwerken München und E.On hin und her geschoben: Tatsächlich war es eine Stromspitze im Netz; ein Fingerzeig der Energiewende!
Zwischenfazit: Die Netzstabilität wird mit zunehmendem Ausbau erneuerbarer Energien zwangsläufig instabiler und kann wegen massiver Unterdeckung gesicherter Leistung nicht mehr gewährleistet werden. Dies wird für den Industriestaat Deutschland fatale Auswirkungen haben. Der erste flächendeckende Blackout insgesamt oder einer der vier Regelzonen wird vermutlich nicht wegen zu wenig, sondern wegen zu viel Strom erfolgen, fatalerweise!
War da mal was mit Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Stromversorgung? Würde das EEG so weitergeführt, steigt die EEG-Umlage auf 15 Cent. Der Strombereich würde die Erneuerbaren mit etwa 45 Milliarden Euro pro Jahr subventionieren. Wo bleibt da die Kugel Eis, mit der Grünen-Chef Jürgen Trittin die Kosten für einen Verbraucher verglichen hat? Und bei den Beschlüssen zur beschleunigten Energiewende hieß es vor zwei Jahren, die EEG-Umlage bleibt bei 3,5 Cent/kWh...
Der deutsche Michel zahlt?
Bundesumweltminister Peter Altmaier beziffert die Kosten der Energiewende mit einer Billion Euro. Der Versorger RWE rechnet intern mit drei Billionen Euro. Niemand protestiert, obwohl klar ist, wer das alles zahlt: der Deutsche Michel und die Industrie, die ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert. Wozu das alles? Das Weltklima retten wir nicht, denn die CO2-Minderung, die wir dann bis 2050 erreichen, wird bereits in einem Jahr globalen Wachstums wieder aufgezehrt. Am Ende wird klar: Deutschland hat nicht zum ersten Mal seine Kräfte überschätzt!
Das EEG ist die gigantischste Subventionsmaschine der Nachkriegszeit. 80 Millionen Deutsche subventionieren seit 20 Jahren und für die nächsten 20 Jahre rund ein Prozent der Bevölkerung. Noch in diesem Monat wird die nächste Erhöhung der EEG-Umlage bekannt gegeben, und man kann mit dem Dreisatz ausrechnen, wo wir in den nächsten Jahren landen – im zweistelligen Bereich, wenn nichts passiert. 40 000 Euro bringt die Pacht pro Jahr für einen Windturm – und auf der anderen Seite gefährden wir die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen notfalls bis zur Insolvenz. Wir erzeugen negative Strompreise und bezahlen für Strom, der nicht erzeugt wird. Wollen wir dieses System so lange betreiben, bis es von selbst explodiert, oder ziehen wir die Notbremse? Das EEG braucht eine Rosskur: Die Erneuerbaren müssen sich voll dem Wettbewerb stellen, der bisherige Bestandsschutz muss auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand.
Die EU-Kommission sollte bei ihrer Prüfung das EEG als wettbewerbsverzerrendes Element für Deutschland insgesamt infrage stellen und nicht die besondere Ausgleichsregelung, denn damit würden Ursache und Wirkung verkehrt – das wäre im wahrsten Sinne des Wortes nur noch schizophren!
Auch mit einer Rosskur des EEG werden die Strompreise weiter drastisch steigen, wenn wir an der Energiewende unverändert festhalten. Der Druck kommt dann von zwei Seiten: von den sozial Schwachen unter den Privatabnehmern und von der energieintensiven Grundstoffindustrie.
Es gibt nur eine Lösung: Rückkehr zur energie- und wirtschaftspolitischen Vernunft: Rentabilität und Sicherstellung der Energieversorgung bei geordnetem Ausbau konventioneller und erneuerbarer Energien unter den Bedingungen des Wettbewerbs!
Werner Ressing (65) war bis Juli 2013 Leiter der Industrieabteilung im Bundesministerium für Wirtschaft